1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikUkraine

Ukraine-Krieg: Wie gut sind Atomkraftwerke geschützt?

30. Oktober 2023

Dank Luftverteidigungssystemen konnten nach Angaben von Kiew jüngst russische Angriffsdrohnen nahe dem AKW Chmelnyzkyj abgeschossen werden. Wie gefährlich ist die Lage?

Außenansicht des ukrainischen Atomkraftwerks Chmelnyzkyj
Kann das ukrainische Atomkraftwerk Chmelnyzkyj effektiv geschützt werden?Bild: Anatolii Stepanov/AFP/Getty Images

In der Nacht des 25. Oktober meldeten die ukrainischen Behörden den Abschuss russischer Kamikaze-Drohnen vom Typ Shahed in der Nähe des Atomkraftwerks Chmelnyzkyj, im Westen der Ukraine. Durch herabfallende Trümmer und eine Detonationswelle kam es zu erheblichen Schäden in der Stadt Netischyn, in der Mitarbeiter des Werks leben. Auch die nahegelegene Stadt Slawuta war betroffen. Schäden gibt es aber auch an Gebäuden der Atomanlage selbst, die, wie der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj erklärte, wahrscheinlich das Ziel der russischen Drohnen gewesen sei.

Experten der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), die sich im AKW aufhalten, bestätigten zwei laute Explosionen in der Nähe der Anlage. Später wurden sie informiert, dass zwei Drohnen in etwa fünf beziehungsweise 20 Kilometern Entfernung abgeschossen worden seien.

IAEO-Generaldirektor Rafael Grossi weist auf nukleare Gefahren hinBild: Leonhard Foeger/REUTERS

IAEO-Generaldirektor Rafael Grossi erklärte dann auf der Website der IAEA, dass in jener Nacht heftige Explosionen das Gebiet in der Nähe des Kraftwerks erschüttert hätten und die Stromversorgung einiger Messstationen, die die Strahlung überwachen, vorübergehend ausgefallen wären. Ihm zufolge hatten die Explosionen aber keine Auswirkungen auf den Betrieb des Werks. Auch der Anschluss an das Stromnetz sei nicht betroffen gewesen. Die Detonationswelle habe jedoch die Fenster mehrerer Gebäude der Anlage beschädigt. "Dieser Vorfall verdeutlicht einmal mehr die äußerst instabile nukleare Sicherheitslage in der Ukraine, die so lange anhalten wird, wie dieser tragische Krieg andauert. Dass zahlreiche Fenster auf dem Gelände zerstört wurden, zeigt, wie nah das war. Beim nächsten Mal haben wir vielleicht nicht so viel Glück", so Grossi.

Was Atomkraftwerke aushalten können

Atomkraftwerke sind in der Ukraine die wichtigsten Anlagen zur Stromerzeugung. Ihr Schutz ist besonders wichtig, da das ukrainische Energiesystem ohne sie im Herbst und Winter nur schwer funktionieren kann, sagen Experten. Daher seien im Sommer mehrere Blöcke verschiedener AKWs wegen Reparaturarbeiten heruntergefahren und vor dem Herbst wieder hochgefahren worden, mit dem Ziel, im Winter eine maximale Leistung zu erreichen, sagt die Atomenergie-Expertin Olha Koscharna. "Ohne Atomkraftwerke werden wir nicht durch den Winter kommen, da im letzten Winter viele Wärmekraftwerke zerstört wurden und es uns nicht gelungen ist, sie schnell und vollständig wieder instand zu setzen", erläutert sie.

Löscharbeiten nach einem russischen Angriff auf ein Wärmekraftwerk in Kiew (Oktober 2022)Bild: State Emergency Service of Ukraine via REUTERS

Die Reaktoren des Atomkraftwerks sind zuverlässig geschützt und können sogar einem Absturz eines Kleinflugzeugs standhalten. Das betont Dmytro Humenjuk, Leiter der Abteilung für Sicherheitsanalysen des Staatlichen Wissenschaftlich-Technischen Zentrums für nukleare und Strahlensicherheit der Ukraine. Deswegen sind seiner Meinung nach Trümmer, die beim Abschuss von Drohnen oder Raketen entstehen, für AKWs selbst nicht so gefährlich wie für andere Energieinfrastrukturen, die den Betrieb von Atomkraftwerken gewährleisten. Gleichzeitig würden aber jegliche militärische Aktivitäten in der Nähe nuklearer Anlagen eine erhebliche Gefahr darstellen.

"Der Reaktor befindet sich in einer Schutzhülle und ist so konzipiert, dass er extremen äußeren Einflüssen standhält, wie Tornados, Hurrikanen, Erdbeben und sogar einem Absturz von Leichtflugzeugen und theoretisch auch herabfallenden Trümmern. Aber welchen Trümmern? Ein Teil einer russischen Kalibr-Rakete, die nicht explodiert, gilt als ein Bruchstück, das die Sicherheit der Anlage gefährden kann", sagt Humenjuk der DW.

Besonderer Schutz für Umspannwerke notwendig

Dem Experten zufolge besteht ein AKW nicht nur aus einem Reaktor, sondern es ist eine komplexe Anlage aus Sicherheitssystemen mit einem Netz, das einerseits Strom für die Anlage selbst bereitstellt und auf der anderen Seite produzierten Strom abtransportiert. Schäden durch herabfallende Trümmer oder durch Beschuss von Leitungen und Umspannwerken könnten zu einem Stromausfall im AKW führen und eine gefährliche Situation auslösen, betont Humenjuk.

Gerade die Hochspannungs-Umspannwerke, über die der im Atomkraftwerk produzierte Strom in das Verbundnetz eingespeist wird und ohne die ein AKW nicht sicher funktionieren kann, müssen heute besonders sowohl vor direkten Raketen- und Drohnenangriffen als auch vor herabfallenden Trümmern geschützt werden. Das betont Olha Koscharna und ergänzt: "Wenn diese Umspannwerke beschossen werden, wird der Notschutz des Atomkraftwerks aktiviert. Ein solcher Notstopp ist für die Anlagen sehr gefährlich."

Aktiver und passiver Schutz

Der staatliche Konzern "Ukrenergo", der auch die ukrainischen Energienetze betreibt, versucht nach eigenen Angaben einen mehrstufigen Schutz der Infrastruktur aufzubauen, insbesondere von Hochspannungs-Umspannwerken, die den Betrieb von Atomkraftwerken sichern. Der Vorstandsvorsitzende von Ukrenergo, Wolodymyr Kudryzkyj, sagt im Gespräch mit der DW, wichtig sei vor allem ein aktiver Schutz von Energieanlagen durch Luftverteidigungssysteme.

Wolodymyr Kudryzkyj sieht vor allem Bedarf an LuftverteidigungssystemenBild: DW

Gleichzeitig komme auch ein passiver technischer Schutz zum Einsatz, der aus mehreren Ebenen bestehe. Die erste schützt Kudryzkyj zufolge die Anlage vor Trümmern von Raketen oder Drohnen, die zweite direkt vor Drohnen und die dritte, die komplexeste, vor dem Einschlag von Raketen. "Dieser passive Schutz hilft, dass unsere Anlagen unbeschädigt bleiben oder das Ausmaß der Schäden minimiert wird, damit beispielsweise nicht ein ganzes Hochspannungs-Umspannwerk ausfällt, was schwerwiegende Folgen hätte", erläutert er.

Aus diesem Grund hofft die Ukraine, weiterhin mit Luftverteidigungssystemen versorgt zu werden, sagt Jurij Ihnat, Sprecher der ukrainischen Luftstreitkräfte im Gespräch mit der DW. Auf die Frage, wie der Schutz der Energieinfrastruktur gestärkt werden könne, und ob man die ukrainische Luftabwehr darauf konzentrieren werde, antwortete er, dass es nicht möglich sei, Luftverteidigungssysteme um ein Kraftwerk herum zu konzentrieren. Er fügte hinzu: "Es ist natürlich möglich, lokal mit Flugabwehrgeschützen zu arbeiten, aber das sind Waffen, die eine kurze Reichweite haben. Sie können per Radar das Ziel anpeilen und eine Drohne automatisch zerstören. Wenn also eine Drohne schon beim Anflug verfehlt wurde und sie herangeflogen kommt, dann sind diese Geschütze die letzte Hoffnung, dass sie das Objekt zerstören." 

Adaption aus dem Ukrainischen: Markian Ostaptschuk

Krieg der Drohnen

05:28

This browser does not support the video element.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen

Mehr zum Thema

Weitere Beiträge anzeigen