Ukraine-Krise gefährdet Atomreaktoren
13. Juni 2014 Die jüngste Nachricht von einer Wasserknappheit durch eine gebrochene Pipeline im Osten der Ukraine bedeutet nichts Gutes für die Sicherheit der Kernkraftwerke des Landes. Tausende Menschen waren in der umkämpften Region von der Wasserversorgung abgeschnitten. Um einen sicheren Betrieb der Atomkraftwerke zu gewährleisten, ist jedoch die Zuverlässigkeit der kritischen Infrastrukturen eines Landes - wie etwa des Stromnetzes und der Wasserversorgung - von entscheidender Bedeutung. "Wenn man sich entschieden hat, ein Kernkraftwerk zu betreiben oder - wie in diesem Fall - einen ganzen Reaktorpark, muss man garantieren können, dass das Land sozial stabil ist. Keinesfalls darf es einen Krieg geben", erklärt Michael Sailer, Mitglied der deutschen Reaktorsicherheitskommission, im Gespräch mit der DW.
Potenzial für menschliche Fehler
"Von Kernkraftwerken geht ein hohes Risiko aus, auch wenn sie gut gebaut und gewartet sind", so Sailer, der auch das Freiburger Öko-Institut leitet. "In der Ukraine gibt es aber weitere Probleme. Das Potenzial für menschliche Fehler ist dort höher, da die Kernkraftwerksbetreiber weniger motiviert sind als anderswo. Außerdem sind die Sicherheitseinrichtungen dieser Anlagen viel schwächer als die der modernen Reaktoren."
Die Ukraine hat derzeit vier Kernkraftwerke mit 15 Reaktoren am Netz. Sie decken etwa die Hälfte des Energiebedarfs des Landes. Daher ist es praktisch unmöglich, sie während der Krise herunterzufahren. Alle Reaktoren stammen aus der Sowjetzeit. Sie sind in den 1980er Jahren ans Netz gegangen und sind vergleichbar mit dem Tschernobyl-Reaktor, der 1986 das schlimmste Atomunglück in der Geschichte verursachte. Die größte Anlage der Ukraine befindet sich in Saporoschje. Die Stadt liegt nur etwa 200 Kilometer von Donezk entfernt, einem Epizentrum des Konflikts zwischen militanten Separatisten und der Kiewer Regierung.
Gefahr durch Sabotage
Die älteren Reaktoren sowjetischen Stils seien ohnehin schon weniger sicher als die in Westeuropa, so Lothar Hahn, ehemaliger Direktor der Gesellschaft für Anlagen-und Reaktorsicherheit (GRS). "Aber das wird von der Gefahr durch Sabotage oder Krieg noch in den Schatten gestellt. Sie brauchen dafür keine Armee, nur 20 oder 30 gut ausgebildete Menschen", sagt Hahn. "Diese Dinge sind völlig unberechenbar."
Die NATO schickte daher bereits im April ein kleines ziviles Expertenteam in die Ukraine, um die dortigen Behörden bei der Verbesserung der Sicherheit von Kernkraftwerken und anderen kritischen Infrastruktureinrichtungen zu beraten. Die Experten erstellten einen vertraulichen Bericht, der den ukrainischen Beamten übergeben wurde.
Unterstützung durch die NATO
Die Unterstützung durch die NATO sei nützlich, aber auch begrenzt, meint Michael Sailer von der Reaktorsicherheitskommission. So könne man zwar die Verantwortlichen in der Ukraine beraten, wie man seine Anlagen besser gegen mögliche Eindringlinge schützt. "Wenn Sie aber ein Team haben, das mit den prorussischen Separatisten sympathisiert und der Konflikt weiter eskaliert, dann hat man ein großes Problem." Auch in Bezug auf die Sicherheit und Stabilität des Stromnetzes könne die NATO nichts ausrichten. Da es in der Ukraine keine klaren Befehlsstrukturen gebe, sei die Stabilität des gesamten Stromnetzes bedroht, mahnt Sailer. "Und ein Atomkraftwerk ohne mehrere Verbindungen zu einem stabilen Stromnetz ist extrem gefährlich."
Trotz der NATO-Unterstützung werde bislang nicht genug Augenmerk auf die Sicherheit der Kernkraftwerke in der Ukraine gelegt, argumentieren die Experten. "Atomexperten legen ihren Fokus in der Regel nicht auf politisch instabile Situationen wie diese. Und die Menschen, die sich mit solchen Situationen beschäftigen, wie etwa Diplomaten, erkennen in der Regel nicht, wie empfindlich ein Kernkraftwerk ist."