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Politik

Ukraine-Krise: Serbien in der Zwickmühle

23. Februar 2022

Das Westbalkanland Serbien und sein Präsident Aleksandar Vucic müssen in der Ukraine-Krise einen besonderen Spagat hinlegen. Denn Belgrad will nicht einfach auf der "russischen" oder der "westlichen" Seite stehen.

Wladimir Putin in Serbien
Willkommensdemonstration für den russischen Präsidenten Wladimir Putin in Belgrad, 17.01.2019Bild: picture-alliance/Pixsell/S. Ilic

"Putins Schachmatt für die Ukraine", titelte am Mittwoch (23.02.2022) das Belgrader Boulevardblatt Informer in Großbuchstaben. Das inoffizielle Sprachrohr des Staatspräsidenten Aleksandar Vucic und seiner regierenden Serbischen Fortschrittspartei (SNS) sieht die Schuld für die Ukraine-Krise bei den "Amerikanern" - sie würden gerade die ganze Welt ins Chaos stürzen. Derartige Aussagen sind in Serbien zur Zeit kein Einzelfall, sondern die Regel. An Zeitungsständen von Kiosken begegnen einem allenthalben ähnliche Schlagzeilen vorwiegend regierungstreuer Medien.

Wladimir Putin und Aleksandar Vucic (2.v.l.) in Belgrad, 17.01.2022Bild: Reuters/G. Tomasevic

Präsident Aleksandar Vucic - der den Chefredakteur von Informer, Dragan Vucicevic, als persönlichen Freund und großartigen Journalisten preist - will mit all dem nichts zu tun haben. "Bei uns sind 80 Prozent der Medien auf der russischen Seite, die restlichen 20 Prozent sind im voraus gegen die Russen", sagte Vucic am Montag (21.02.2022) in einer dramatischen Ansprache im Fernsehen. "Wir schaden uns selbst damit, anstatt die Ruhe zu bewahren und unversehrt durch diese Weltkrise zu gehen."

Ein Spagat wird gebraucht

Das Westbalkanland und sein Lenker Vucic seien offensichtlich in eine Zwickmühle geraten, meint Mladen Lisanin vom Institut für politische Studien (IPS) in Belgrad. "Serbien laviert jetzt zwischen dem Prinzip der Unverletzlichkeit der Staatsgrenzen und Pragmatismus, um die guten Beziehungen zu Russland nicht zu gefährden", so der Politologe gegenüber der DW.

Einerseits wird Russland traditionell als "orthodoxe Mutter" betrachtet, als eine Weltmacht, die Serbien fraglos unterstützt, wenn es um die "abtrünnige Provinz" Kosovo geht. Die NATO-Bombardierung von 1999 und die nachfolgende Unabhängigkeit Kosovos sind noch heute ein heißes innenpolitisches Eisen in Serbien.

Andererseits wird gerade wegen der "Causa Kosovo" der Separatismus im Donbass nicht gutgeheißen. Offiziell erkennt Belgrad die "territoriale Integrität" der Ukraine an. Und: Kiew wie Belgrad erkennen Kosovo nicht als Staat an.

Einst Nationalist, heute EU-Partner

Vucic muss nicht auf soziale Netzwerke und Kommentarspalten schauen, um zu wissen, dass die Herzen der meisten Serben für Russland schlagen. Als Neunjähriger, erzählte Vucic einmal, habe er während der Olympischen Winterspiele 1980 geweint, als das Eishockey-Team der Sowjetunion den USA unterlag.

Serbiens Staatspräsident Aleksandar VucicBild: Darko Vojinovic/AP Photo/picture alliance

In den 1990er Jahren war Vucic zeitweise Informationsminister des Diktators Milosevic und ein nationalistischer Hetzer, der ankündigte, dass man "für jeden getöteten Serben hundert Muslime töten" werde. Noch bis in die 2000er Jahre feierte er serbische Kriegsverbrecher wie Ratko Mladic offen als "Helden". Heute versucht er, auch zum Westen gute Beziehungen zu pflegen. Mittlerweile führt die serbische Armee deutlich mehr Übungen mit NATO-Staaten durch als mit Russland. Das Handelsvolumen Serbiens mit der EU ist rund zehnmal größer als das mit Russland.

"Was jetzt in politischer Hinsicht folgt, wird für Serbien nicht leicht", prophezeite der Präsident am Montag aus Monaco, wo er Fürst Albert einen Besuch abstatte. Vucic telefonierte auch mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron.

Abhängig vom russischen Gas

Beobachter in Belgrad mutmaßen, dass Serbien gezwungen sein könnte, sich für eine Seite zu entscheiden. "Man wird versuchen, politisch und sicherheitspolitisch eine neutrale Position zu behalten. Mit der Eskalation der Krise in der Ukraine wird dies jedoch zunehmend schwierig", so der Politologe Lisanin.

Serbien, ein EU-Kandidatenland, wollte sich bisher keinem Brüsseler Sanktionspaket gegen Russland anschließen, auch nach der Annexion der Krim nicht. Aus nachvollziehbarem Grund: Das Land ist auf russisches Gas angewiesen.

"Partnerschaft für die Zukunft": Gazprom-Werbeplakat mit russischer und serbischer FlaggeBild: picture-alliance/dpa/T. Brey

Im November 2021 vereinbarte Vucic mit Wladimir Putin quasi per Handschlag, dass Serbien weiterhin nur 270 Dollar je tausend Kubikmeter Erdgas bezahlt, während die Marktpreise bereits viermal so hoch lagen. Das verkaufte Vucic seinen Wählern als großen Erfolg.

Superwahljahr

So etwas kommt an. Zumal in Serbien am 3. April Superwahlen anstehen. Ein neues Parlament, ein Präsident und die Lokalregierung in der Hauptstadt Belgrad werden gewählt. Nach einem Wahlboykott im Sommer 2020 rechnet sich die Opposition diesmal Chancen aus. Und das, obwohl Vucics Regime fast alle Medien kontrolliert und viele Jobs nur an SNS-Mitglieder verteilt.

Putin-Bar in der nordserbischen Stadt Novi Sad, Oktober 2014Bild: Reuters/Marko Djurica

Doch auch in der Opposition ist Kritik an der russischen Politik selten zu vernehmen. Eine Umfrage des ISAC-Funds bestätigte jüngst, dass eine Mehrheit der Serben (59%) Russland als "wichtigsten strategischen Partner" sieht. Noch mehr Menschen betrachten Russland als "traditionellen Verbündeten" (82%) und lehnen eine Mitgliedschaft Serbiens in der NATO ab (84%).

Widersprüchliche Haltung

Mehr noch: Unter denjenigen Serben, die ihr Land als fortwährendes Opfer der Geschichte sehen und eine Auseinandersetzung mit der Kriegsvergangenheit des Milosevic-Regimes scheuen, löst die aktuelle Zerstückelung der Ukraine offenbar sogar einen Reflex der Schadenfreude aus. So diagnostiziert es jedenfalls die Belgrader Wochenzeitung Vreme. Viele Serben sähen das als "Rache für alles, was der Westen, angeführt von den USA, Serbien nach dem Zerfall des sozialistischen Jugoslawiens angetan hat".

Insofern birgt die Krise für Vucic und seine Propagandamaschinerie auch eine Chance. Vor den Wahlen wird er zu einem Helden stilisiert - dem einzigen Politiker, der Serbien sicher durch den Sturm führen kann. Vor seinem Telefonat mit Macron titelte das Boulevardblatt Alo nahezu größenwahnsinnig: "Davon hängt vielleicht das Schicksal des Planeten ab."