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PolitikUkraine

Ukraine-Krieg: Was plant Kyjiw mit der Kursk-Offensive?

Roman Goncharenko
6. Januar 2025

Die ukrainische Armee stößt im russischen Gebiet Kursk vor, obwohl sie dort zunehmend unter Druck steht. Experten sind sich einig: Kyjiw sendet damit eine Botschaft an Donald Trump.

Ukrainische Armee im russischen Gebiet Kursk, Dezember 2024
Ukrainische Armee im russischen Gebiet Kursk, Dezember 2024Bild: DW

Einen Tag nach der überraschenden Offensive der ukrainischen Armee im russischen Gebiet Kursk ist vieles noch unklar. Kyjiw hüllt sich in Schweigen, ähnlich wie Anfang August 2024, als die Ukraine zum ersten Mal dort einmarschiert war.

Das russische Verteidigungsministerium in Moskau teilte am Montag mit, man habe einen "versuchten Vorstoß" der ukrainischen Streitkräfte Richtung Bolschoje Soldatskoje unterbunden, einer Ortschaft rund 80 Kilometer südwestlich der Gebietshauptstadt Kursk. Man habe vier Panzer, zwei Schützenpanzer, 16 gepanzerte Kampffahrzeuge und ein Minenräumfahrzeug zerstört, so Moskau. Überprüfen lassen sich solche Angaben nicht.

Die Nachrichten über einen neuen Vorstoß der Ukraine im Gebiet Kursk kamen am Sonntagmorgen. Russische Kriegsblogger berichteten über ukrainische "Kolonnen" und teilten offenbar von Drohnen aufgenommene Videos, die ein paar ukrainische Schützenpanzer auf verschneiten Feldern und Straßen zeigen sollen. Einige erwähnten den Einsatz westlicher Präzisionsraketen. Auch das ist nicht bestätigt.

Die Stimmung am Montag ist weniger angeheizt: Die russischen Medien scheinen zuversichtlicher, die ukrainische Seite hält sich mit Erfolgsmeldungen zurück. Alle warten ab, was noch kommen könnte.     

Vorstoß, um Trump zu beeindrucken?   

Ganz überraschend war der ukrainische Angriff nicht. Vermutungen dazu gab es seit Wochen. Der österreichische Militärhistoriker Oberst Markus Reisner hat ein solches Szenario in einem DW-Gespräch Mitte Dezember vorausgesagt. Aus seiner Sicht werde die Ukraine versuchen, "unmittelbar vor der Übernahme der US-Präsidentschaft durch Donald Trump" noch einmal zu zeigen,  dass es sinnvoll sei, sie zu unterstützen, sagt Reisner. Genau das sehe man jetzt. 

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj mit Donald Trump: Die Unterstützung der USA ist ungewissBild: Julia Demaree Nikhinson/AP/picture alliance

Trump hat mehrmals angekündigt, den russischen Krieg gegen die Ukraine schnell beenden zu wollen. Während des US-Wahlkampfs hat er auch eine weitere Unterstützung der Ukraine infrage gestellt.  Was Trump wirklich plant, wird sich dann nach seinem Amtsantritt am 20. Januar zeigen.

Für Reisner ist es noch zu früh von einer "tatsächlichen Offensive" der Ukraine bei Kursk zu sprechen. "Denn die Offensive würde bedeuten, dass große Verbände, Teilstreitkräfte übergreifend einen Angriff durchführen, um auf operativer Ebene Ziele zu erreichen", sagt Reisner. "Was wir sehr wohl sehen, ist ein vorgetragener Gegenangriff, wo bis zu drei Brigaden oder Teile davon beteiligt sind".

Das genaue Ziel scheint noch unklar, es könnten mehrere sein. Die ukrainische Armee gerate im Gebiet Kursk immer stärker unter Druck und habe bereits rund die Hälfte des vor fünf Monaten besetzten Territoriums verloren, so Reisner. Der aktuell ukrainisch kontrollierte Raum von rund 500 Quadratkilometern sei von drei Seiten russischen Angriffen ausgesetzt. Der aktuelle Vorstoß könne ein Versuch sein, "aus dieser Blase auszubrechen".

Shashank Joshi, Redakteur mit dem Schwerpunkt Militär beim britischen The Economist-Magazin, nennt auch andere mögliche Gründe. "Das Ziel könnte sein, russische Truppen in die Defensive zu treiben, um sie beim Aufbau ihrer anhaltenden Offensiven zu behindern", so Joshi gegenüber der DW. Die Tatsache, dass es gerade eine "ziemlich bedeutsame" russische Offensive im Gebiet Kursk gebe, mache die Analyse kompliziert, so der britische Experte.  

Ein weiteres Ziel könne zusätzliches Land als Verhandlungsmasse vor diplomatischen Verhandlungen nach Trumps Amtsantritt sein. Es könne aber auch eine Täuschung sein, um woanders zuzuschlagen.

Der österreichische Militärhistoriker Oberst Markus ReisnerBild: Kurt Kreibich/Bundesheer

Markus Reisner sieht es ähnlich und erwartet eine Fortsetzung. "Ich glaube, dass wir noch einige Überraschungen in Hinblick auf den 20. Januar sehen werden", so der Militärexperte. "Wenn Sie den Nordosten der Ukraine betrachten, so ist es so, dass die Front nicht durchgehend gesichert ist durch die russische Seite. Es gibt einige Räume, die sich anbieten würden für weitere Vorstöße, um vor möglichen Verhandlungen einen Maximalerfolg herauszuholen".

Als Bestätigung führt Reisner die jüngsten Äußerungen des US-Außenministers Antony Blinken an. Die ukrainischen Positionen in Kursk seien "wichtig", weil sie bei künftigen Verhandlungen eine Rolle spielen würden, so Blinken bei seinem Besuch in Seoul.     

Wie riskant ist der ukrainische Vorstoß?

Wie schon bei der ukrainischen Offensive in Kursk im August stellt sich wieder die Frage, ob es sich für Kyjiw lohnt, Truppen ins russische Gebiet zu schicken. Dies ist besonders wichtig, da die ukrainische Armee im Osten zurückweicht und immer mehr eigenes Land verliert. 

Vor allem die militärisch wichtige Stadt Pokrowsk im Westen der Gebiets Donezk steht seit Monaten im Mittelpunkt der Gefechte. Der neue ukrainische Vorstoß sei zwar riskant, doch die politischen Vorteile überwiegen, meinen Experten.

"Sollte Russland Pokrowsk einnehmen, stößt es Richtung Westen vor", sagt Shashank Joshi. "Das ist schlecht, aber es macht nicht zwingend einen qualitativen Unterschied beim Kräfteverhältnis und bei diplomatischen Gesprächen". Sollte die Ukraine Teile von Kursk Gebiet halten können, hätte das eine "signifikante Bedeutung". Das sei ein "kalkuliertes Risiko".

Für die Ukraine sei es wichtig, "nicht aus den Schlagzeilen zu kommen", besonders vor Trumps Machtübernahme, betont Markus Reisner. Für die Ukraine sei die Unterstützung des Westens enorm wichtig. Deshalb sei diese Maßnahme, "auch wenn es eine desparate ist", wichtig, damit diese Unterstützung erhalten bleibe. 

Es bleibt abzuwarten, wie viel die Ukraine in Gebiet Kursk halten kann und vor allem - wie lange. Reisner ist bei solchen Fragen vorsichtig. Beide Seiten seien zwar "ausgedünnt was die Kräfte betrifft", doch sollte es auf Trumps Druck nicht zum Einfrieren kommen, könnte die "Dramatik des Abnutzungskrieges wieder zuschlagen". Russland könne dann die Kräfte zusammenziehen und die ukrainische Armee langsam zurückdrängen. 

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