Ukraine: Mit Abfangdrohnen gegen Russlands Angriffe?
26. Juni 2025
Die Intensität der russischen Luftangriffe auf ukrainische Städte im Hinterland nimmt rapide zu. In nur 20 Tagen im Juni startete die Russische Föderation 3681 Shahed-Drohnen und Fake-Drohnen, die der Desorientierung der ukrainischen Flugabwehrkräfte dienen. Noch vor einem Jahr wurden pro Monat im Durchschnitt rund 600 eingesetzt. Um den russischen Angriffen etwas entgegenzusetzen, sucht die Ukraine nach unkonventionellen Lösungen. Eine davon ist der Einsatz von Abfangdrohnen.
Schwierigkeiten für Flugabwehr-Gruppen
Im Laufe des mehr als dreijährigen Krieges hat Moskau nicht nur die Produktion von Drohnen gesteigert, sondern diese auch modernisiert. Zudem hat sie die Taktik ihres Einsatzes geändert. Die jetzigen Drohnen können in großer Höhe manövrieren und fliegen, weshalb sie für die ukrainischen mobilen Flugabwehr-Gruppen mit Maschinengewehren nicht erreichbar sind.
"In letzter Zeit schickt die Russische Föderation Drohnen in einer Höhe von etwa zwei Kilometern", sagt Jurij Ihnat, Leiter der Kommunikationsabteilung der ukrainischen Luftstreitkräfte der DW und fügt hinzu: "Deswegen wird es für unsere mobilen Gruppen immer schwieriger, die Shahed-Drohnen abzufangen. Wenn Drohnen niedriger fliegen, kann man sie sehen und auf sie schießen. Zunächst vernimmt man sie akustisch, dann visuell sowie mit Hilfe von Wärmebildkameras und Sichtgeräten. Das Feuer auf sie zu eröffnen, ist nur dann effektiv, wenn eine Drohne in einer Höhe von bis zu einem Kilometer fliegt." Ihnat zufolge sind die ukrainischen Flugabwehr-Gruppen aber nach wie vor nützlich, da russische Drohnen in unterschiedlicher Höhe fliegen.
Experten, Freiwillige und Spezialisten schlagen angesichts der neuen Taktik Russlands Alarm. "Russland wird unser ganzes Land mit Shahed-Drohnen zerbomben. Sie haben die Produktion deutlich gesteigert und werden sie noch weiter erhöhen. Wenn wir nicht sofort handeln, wird es mit unserer Infrastruktur, unserer Produktion und unseren Verteidigungsanlagen vorbei sein", warnt in sozialen Medien der Militär- und Kommunikationsexperte Serhij Beskrestnow, der auch unter dem Namen "Flash" bekannt ist. Er findet, man müsse auf eine Massenproduktion von Abfangdrohnen setzen und Drohnenpiloten ausbilden.
Abfangdrohnen eine bewährte Technologie
An der Front ist der Einsatz von Abfangdrohnen nichts Neues. Das ukrainische Militär nutzt seit einiger Zeit FPV-Drohnen, die mit Kameras ausgestattet sind und die dem Drohnenpiloten Bilder in Echtzeit liefern. Sie werden gegen verschiedene russische Drohnen, darunter Aufklärungs- und Kamikaze-Drohnen eingesetzt.
Um Shahed-Drohnen zerstören zu können, die schneller fliegen als viele andere, benötigt die Ukraine spezielle Drohnen. "Eine Orlan fliegt beispielsweise mit 100 bis 140 Kilometern pro Stunde und Shahed-Drohnen schaffen 200 bis 300 Kilometer pro Stunde", sagt der Aktivist Serhij Sternenko. Seine Stiftung stellt dem ukrainischen Militär FPV-Drohnen zur Verfügung.
"Eine Shahed fliegt nicht ihre gesamte Strecke mit 300 Stundenkilometer, aber es gibt Abschnitte, auf denen sie beschleunigt und an Höhe gewinnt", erläuterte Sternenko in einem Interview mit dem ukrainischen Portal "Liwyj Bereh". In solchen Fällen seien Drohnen mit unterschiedlichen Eigenschaften zur Verteidigung erforderlich. "Solche gibt es sogar aus ukrainischer Produktion. Unsere Truppen haben mit solchen Drohnen bereits mehrmals Shaheds abgeschossen", berichtete Sternenko.
Produktion von Abfangdrohnen
Laut Präsident Wolodymyr Selenskyj erhöht die Ukraine die Produktion und den Einsatz von Abfangdrohnen zur Verteidigung von Städten im Hinterland. "Wir arbeiten an der Entwicklung und dem Einsatz von Abfangdrohnen, um unsere Städte vor den Shaheds zu schützen", betonte er auf dem G7-Gipfel am 17. Juni und wies darauf hin, dass für die Drohnen-Produktion zusätzliche Mittel nötig seien.
Viele ukrainische Hersteller arbeiten derzeit an solchen Drohnen. Insbesondere "Wild Hornets", eine gemeinnützige Organisation, die sich auf die Herstellung von Drohnen für die ukrainischen Streitkräfte konzentriert, hat mit seiner Abfangdrohne Sting bereits mehrmals bewiesen, Drohnen vom Typ Shahed und Gerbera abfangen zu können.
Unterdessen testet das deutsche Startup Tytan Technology mit dem ukrainischen Militär eine eigene Abfangdrohne, auch das in Lwiw ansässige Unternehmen Besomar versichert, seine Drohne könne bis zu zwei Stunden in der Luft auf ein Ziel warten. Das Wichtigste sei aber, dass die Drohnen fähig sind, Shahed- und Gerbera-Drohnen einzuholen, erläutert Roman Schemetschko, Mitbegründer der Firma Besomar im Gespräch mit der DW. Das Unternehmen schult derzeit Piloten und testet seine Drohne unter Kampfbedingungen.
Ausbildungsmaßnahmen für Personal
Der Umgang mit Drohnen wird an der Dronarium Academy in Kyjiw unterrichtet. Dort werden künftige Drohnenpiloten für den Kampf in der Luft geschult. "Es gibt spezielle Anwendungen, Simulatoren, die von Programmierern für die ukrainischen Streitkräfte entwickelt wurden", sagt der Leiter des Ausbildungszentrums, der ungenannt bleiben möchte, der DW. Er betont, ein FPV-Drohnenpilot brauche etwa einen Monat, um zu lernen, eine Drohne mit hoher Geschwindigkeit zu steuern und Ziele in der Luft zu treffen.
Die ukrainischen Luftstreitkräfte laden Menschen ein, sich den neuen Einheiten für Drohnenpiloten anzuschließen, sagt der Sprecher Jurij Ihnat. "Es werden neue Einheiten gebildet, um auch die Städte im Hinterland mit Flugabwehrsystemen abzusichern, die mit Abfangdrohnen ausgestattet sind. Außerdem bilden wir Drohnenpiloten aus", so Ihnat.
Abfangdrohnen statt teurer Raketen
"Wenn alle Flugabwehr-Gruppen über Abfangdrohnen verfügen würden und damit feindliche Drohnen zerstören könnten, hätten wir schon so etwas wie Star Wars - das wäre effektiv. Man würde nicht mehr auf Wolken schießen, sondern ein Ziel verfolgen, um es auszuschalten. Das ist effektiver, als einfach auf Shaheds zu schießen, die in drei Kilometern Höhe fliegen oder eine Rakete zu verschwenden", sagt Roman Schemetschko von der Firma Besomar.
Nach Einschätzung der Experten sind Abfangdrohnen angesichts der Kosten für Flugabwehrraketen eine gute Alternative. Nach Angaben der Streitkräfte für unbemannte Systeme - ein Zweig der ukrainischen Armee, der auf Drohnen-Kriegsführung spezialisiert ist - kann der Preis für eine Flugabwehrrakete bei einer Million US-Dollar liegen, während eine Abfangdrohne etwa 5000 Dollar kostet.
Rudolf Hakobjan vom ukrainischen "Forschungszentrum für unbemannte Systeme", das Abfangdrohnen herstellt, weist darauf hin, dass es unlogisch sei, Shahed-Drohnen (30.000 bis 40.000 US-Dollar) mit teuren Flugabwehrraketen von Patriot-Systemen abzuschießen. "Deshalb müssen wir nach sehr günstigen Mitteln suchen. Ich denke, dass es sich dabei nur um Drohnen handeln kann", so der Experte.
Adaption aus dem Ukrainischen: Markian Ostaptschuk