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PolitikUkraine

Ukraine nach Wagner-Abzug: Zähe Fortschritte an der Front

28. Juni 2023

Die Wagner-Truppen fehlen erstmal in der russischen Frontlinie. Es ist zwar fraglich, ob Kiew unmittelbar profitiert. Eine Lücke könnte sich dennoch auftun für die ukrainische Gegenoffensive.

Ukraine Soledar Donetsk Region: Artillerie-Kanone und ukrainischer Soldat
Ukrainische Artilleriestellung an der Front in der Ost-Ukraine bei Soledar in der Oblast DonetskBild: REUTERS

Die Wagner-Soldaten hätten drei Möglichkeiten, sagte Wladimir Putin nach dem Ende der Wochenend-Meuterei Ende Juni: Sie könnten nach Belarus umsiedeln, sollten zu ihren Familien nach Hause gehen oder sich in die russischen Streitkräfte integrieren. Doch was genau mit den rund 20.000 Kämpfern des Kriegsunternehmers Jewgeni Prigoschin passiert "ist völlig unklar", sagt der deutsche Ukraine- und Russlandkenner Nico Lange im DW-Interview. Wird jetzt also die ukrainische Armee profitieren, weil die Kampfkraft der Wagner-Söldner ausfällt?

Lange, der auch für die Münchner Sicherheitskonferenz arbeitet, verweist darauf, dass Wagner teilweise über modernere Schützenpanzer und andere Waffen verfügte als zuletzt auf Videos von Nachschubtransporten der regulären russischen Armee gesichtet worden waren. Der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu und seine Kommandeure dürften vor allem an diesen Waffen interessiert sein. Doch die Integration in die russischen Streitkräfte könnte dauern.

Vorteile des Machtspiels für die Ukraine

Das "Machtspiel" zwischen Putin, Prigoschin und Lukaschenko, dem belarussischen Diktator, der die Vereinbarung zum Ende der Rebellion ausgehandelt hatte, sei noch nicht vorbei, analysiert das amerikanische Institute for the Study of War (ISW). Die US-Forscher kommen zu dem Schluss, dieses Machtspiel "wird weiterhin kurz- und langfristige Folgen haben, die der Ukraine zugutekommen können."

Doch: Welche verbesserten Optionen haben der Oberkommandierende der ukrainischen Streitkräfte, Walerij Saluschnyj, und seine Kommandeure jetzt tatsächlich? Über Kiews weitere Pläne der laufenden ukrainischen Gegenoffensive dringt nichts nach draußen.

Langsame Fortschritte der ukrainischen Gegenoffensive

Trägt man Informationen aus frei zugänglichen Quellen zusammen, also Social-Media-Videos, Satelliten-Aufnahmen aus dem freien Handel und den wenigen Stellungnahmen der ukrainischen Armee, dann ergibt sich folgendes Bild: Die Streitkräfte Kiews konnten an drei Stellen entlang der Front östlich der ukrainisch gehaltenen Stadt Saporischschja Dörfer und Siedlungen befreien, zudem nördlich und südlich der Stadt Bachmut.

Doch immer wieder tauchen auch Drohnenvideos mit ukrainischen Schützenpanzern auf, die in russischen Minenfeldern stecken bleiben – also in den russischen Verteidigungslinien, die über Monate hinweg mit Minen und Panzersperren verbarrikadiert worden sind. "Klar ist, dass man immer noch an der ersten Hürde arbeitet, dieser Kombination aus Minenfeldern und fehlender Luftüberlegenheit, und das scheint schon sehr problematisch zu sein", sagt Nico Lange im DW-Gespräch mit Blick auf die ukrainischen Fortschritte.

Der Analyst Brady Africk von der Denkfabrik American Enterprise Institute in Washington hat zuletzt eine von ihm erstellte Karte russischer Verteidigungslinien auf Grundlage von Satellitenbildern aktualisiert. Offenbar verstärkt Russland diese Linien weiter.

Africks Karte des Frontverlaufs lenkt den Blick allerdings auch wieder auf die andere Wegmarke dieses Krieges im Juni, noch vor der Wagner-Prigoschin-Revolte in Russland: Die Sprengung des Damms am Kachowka-Stausee Anfang des Monats. Die Ukraine macht dafür Russland verantwortlich, Moskau wiederum Kiew. Die New York Times kam in einer umfangreichen Recherche zu dem Schluss, dass nur die russische Armee die Möglichkeit zur Sprengung des von ihr kontrollierten Damms hatte.

Flussbett versteppt

Mittlerweile ist der Stausee weitgehend leergelaufen. Fotos in Kanälen des Messenger-Dienstes Telegramm und auf Twitter zeigen ein Flussbett, das in weiten Teilen versteppt. Auf Facebook tauschen ukrainische Schatzsucher ihre Erfahrungen aus, die mit Metaldetektoren den Boden nach Wertgegenständen absuchen.

Der ehemalige Kachowka-Stausee bei der von der ukrainischen Armee gehaltenen Stadt Nikopol Mitte JuniBild: Dmytro Smolienko/Ukrinform/ABACAPRESS/picture alliance

Und der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge prüft laut einer Pressemitteilung Meldungen "nach denen im Süden der Ukraine Überreste deutscher Soldaten aufgefunden wurden und diese Funde mit der Zerstörung des Kachowka-Staudammes in Verbindung stehen". Die Organisation sichert sterbliche Überreste der Kriegstoten aus dem Zweiten Weltkrieg in ganz Europa und sorgt für ihre Umbettung auf Friedhöfe.

Tut sich eine Lücke auf für die ukrainische Armee?

Auf alten Wehrmachts-Landkarten sind gleich mehrere historische Straßen zu sehen, die das spätere Flussbett des Kachowka-Stausees durchzogen – und von denen jetzt augenscheinlich das Wasser abgeflossen ist.

Der Kachowka-Stausee vor der Sprengung am 6. Juni 2023

Der ehemalige Meteorologe der US Air Force David Helms hat den Zustand des ehemaligen Stausees auf Satellitenbildern untersucht und diesen alten Wehrmachts-Karten gegenüber gestellt. Helms ist Teil einer weltweit verstreuten Unterstützergruppe für die Ukraine, die ihre Erkenntnisse unter dem Hashtag #NAFO vor allem auf Twitter verbreitet. Er hat in dem jetzt weitgehend leergelaufenen Stausee sieben Straßen identifiziert, die noch im Zweiten Weltkrieg genutzt worden waren.

Heute steht nördlich des ehemaligen Stausees und des Flusses Dnjepr, der hier jetzt in seinem historischen Flussbett fließt, die ukrainische Armee, südlich davon die russischen Streitkräfte.

Auffallend ist, dass westlich der von der russischen Armee gehaltenen Stadt Wassyliwka zumindest auf der durch Satellitenbilder gestützten Karte des US-Analysten Brady Africk nur wenige russische Armee-Stellungen zu sehen sind. Es scheint zumindest eine Möglichkeit, dass sich hier für die ukrainische Armee eine Lücke auftut - mit vielen Unwägbarkeiten, zumal die russischen Streitkräfte immer auch aus der Luft angreifen können. Allerdings habe er bei der ukrainischen Gegenoffensive den Eindruck, so Lange, dass "die Ukraine sich den großen Hammer noch aufhebt."

Mitarbeit: Mykola Berdnyk

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