Ukraine: Neue Minister verschieben Machtverhältnisse
22. März 2007Das ukrainische Parlament hat am 21. März den von Präsident Wiktor Juschtschenko vorgeschlagenen Kandidaten für das Amt des Außenministers bestätigt. Der frühere Wirtschaftsminister Arsenij Jazenjuk wurde mit deutlicher Mehrheit von den Regierungsparteien und der Opposition gewählt. Das zeige, dass er ein Politiker sei, der weithin Zustimmung finde, meint der ehemalige deutsche Botschafter in der Ukraine, Dietmar Stüdemann. Über den 32-jährigen Minister sagte er der Deutschen Welle: "Jazenjuk hat bisher seine Qualifikation in wirtschafts- und finanzpolitischen Fragen bewiesen, er ist ein ausgesprochen guter Organisator, er hat Erfahrung sammeln können als Minister und stellvertretender Leiter des Präsidialsekretariats."
Stüdemann meint, das Parlament habe eingesehen, dass eine Politik der Konfrontation zwischen Koalition und Opposition nicht zum Ziel führe: "Ich denke, dass gegenwärtig alle Voraussetzungen geschaffen sind, dass das Land nach außen wieder mit einer Stimme spricht, und das ist wichtig vor allen Dingen in grundlegenden Fragen der Außenpolitik, insbesondere in den Fragen der europäischen Perspektive der Ukraine, der europäischen und transatlantischen Beziehungen, in Fragen des Verhältnisses zu Russland, in Fragen der internationalen Energiesicherheitspolitik."
Stabilisierung oder Verrat?
Anatolij Kinachs Wechsel in die Regierung wird von der Opposition hingegen als Verrat bezeichnet. Der Führer der Partei der Industriellen und Unternehmer der Ukraine (PPPU) wurde sofort aus der präsidentenfreundlichen Fraktion Unsere Ukraine ausgeschlossen. Die Motive für sein Vorgehen können Mitglieder der PPPU verstehen. Sie meinen, seine gemäßigte Haltung werde innerhalb der Regierung Wiktor Janukowytsch im Konflikt zwischen Opposition und Koalition ein stabilisierender Faktor sein. Der Abgeordnete Mykola Onischtschuk, Mitglied der PPPU, sagte der Deutschen Welle, Kinachs Haltung mäßige diejenigen in der Anti-Krisen-Koalition, die auf einen Konflikt ausseien: "Möglicherweise denkt Kinach, dass er in der Regierung für das Land und das Staatsoberhaupt mehr erreichen kann als in der Opposition."
Onischtschuk weist darauf hin, dass nicht alle Abgeordneten der PPPU bereit seien, ihrem Führer zu folgen. Die meisten von ihnen würden wohl der Fraktion Unsere Ukraine treu bleiben und die Opposition unterstützen. Entscheidend sei die persönliche Haltung jedes Abgeordneten: "In der Ukraine gilt für die Abgeordneten kein imperatives Mandat. Jeder Abgeordnete ist in seiner Entscheidung frei." Onischtschuk selbst hat sich festgelegt: er bleibt sowohl in der PPPU als auch in der Fraktion Unsere Ukraine, weil er auch künftig Präsident Wiktor Juschtschenko unterstützen möchte.
Pragmatisch zurück an die Macht
Rainer Lindner von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik meint, mit Kinach komme ein Minister zurück ins Amt, der im Grunde die gesamte Transformationszeit in der Ukraine in verschiedenen Ämtern dominant war, auch in der Kutschma-Zeit: "Er ist nur bedingt ein Oppositionspolitiker, sondern ein Mann, der eher für einen pragmatischen Kurs steht."
Lindner vermutet, Kinachs Vorgehen könnte die Auflösungsprozesse im Bündnis Unsere Ukraine beschleunigen, es könnte ein Versuch sein, auch andere zu ermuntern, die sich mit dem Gedanken tragen würden, ihre Fraktion zu verlassen: "Es gibt etwa 20 beim Block Julija Tymoschenko und etwa acht bei Unsere Ukraine, von denen man das sagt." Lindner sieht aber auch noch andere Gründe für Kinachs Schritt: "Man will natürlich gleichzeitig auch mit einem Mann wie Kinach versuchen, die Unternehmer - er steht ja dem Unternehmerverband vor - in die Entscheidungsprozesse mit einzubinden, und einen Profi, was zumindest die Wirtschaftpolitik betrifft, in dieses Amt zu holen."
Opposition weiter geschwächt
Die politischen Grundüberzeugungen haben in den letzten Jahren eine untergeordnete Rolle in der ukrainischen Politik gespielt, meint Lindner. Es sei immer darum gegangen, zu schauen, wo die Macht sei und wie man sich auf sie am besten einstellen könne: "Diejenigen, die wirklich Oppositionspolitik vertreten, sind in der Minderzahl und werden mit solchen Personalentscheidungen weiter dezimiert. Es ist in der Tat leider so, dass es keine gefestigte Oppositionsgruppe gibt."
Lindner sieht in Kinachs Ernennung zum Wirtschaftsminister jedoch auch einen Vorteil: "Er ist jemand, der immer von extremen Formen des Protests, etwa das Parlament ständig zu verlassen, abgeraten hat. Er hat gesagt, wir sind dumm, wenn wir das tun, hier werden die Entscheidungen getroffen, und insofern steht er eher für einen Kurs des Ausgleichs. Er ist nicht der Radikal-Reformer, er hat sich immer zögerlich verhalten gegenüber umfassenden Reformprozessen, auch im Bereich Privatisierung, aber er steht in gewisser Weise für einen gewissen Ausgleich unter den Elitengruppen und den verschiedenen Parteiengruppierungen innerhalb der Ukraine."
Lilija Hryschko, Wolodymyr Medyany, Eugen Theise
DW-RADIO/Ukrainisch, 21.3.2007, Fokus Ost-Südost