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PolitikEuropa

Ukraine: Russland verfolgt Priester in besetzten Gebieten

Hanna Sokolova-Stekh | Alexander Sawizkij
26. Juli 2024

Zu den Opfern der russischen Invasion in die Ukraine gehören auch Geistliche. Sie werden laut Menschenrechtsorganisationen verfolgt und inhaftiert, manche auch getötet. Was freigelassene Priester berichten.

Eine durch russischen Beschuss beschädigte Kirche im Gebiet Donezk
Eine durch russischen Beschuss beschädigte Kirche im Gebiet DonezkBild: Maxym Marusenko/NurPhoto/picture alliance

Seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine sind 20 Geistliche in den von Russland besetzten ukrainischen Gebieten verschwunden, wie die "Menschenrechtsgruppe Charkiw" berichtet. Sie dokumentiert Kriegsverbrechen, darunter auch die Verfolgung von Geistlichen. Sechs Priester seien inzwischen aus russischer Gefangenschaft entlassen worden. "Alle wurden gefoltert, man verlangte von ihnen das Geständnis, dass sie für den Sicherheitsdienst der Ukraine arbeiten", sagt Jewhen Sacharow, Leiter der Menschenrechtsgruppe, im Gespräch mit der DW.

Russland verfolgt demnach Vertreter verschiedener Kirchen in den besetzten Gebieten der Ukraine. Meist sind es Priester der Orthodoxen Kirche der Ukraine. Sie ist die eigenständige orthodoxe Landeskirche der Ukraine, gegründet aus zwei Kirchen, die sich bereits Anfang der 1990er-Jahre vom Moskauer Patriarchat losgelöst hatten.

Verfolgt von den russischen Besatzern werden aber auch pro-ukrainisch eingestellte Priester, die der Ukrainischen Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats angehören. Teile dieser Kirche, nicht aber ihre Führung, haben sich inzwischen vom Moskauer Patriarchen Kyrill I. distanziert, der von einem "heiligen Krieg aller Russen" gegen die Ukraine und den "satanischen" Westen spricht.

Verfolgt werden laut Sacharow zudem Geistliche der Ukrainischen Griechisch-Katholischen Kirche. Sie sieht den Papst als geistiges Oberhaupt an. Es seien auch Fälle der Verfolgung von Protestanten und Muslimen bekannt.

Ukrainische Priester in russischer Gefangenschaft

Unter denjenigen, die aus der Gefangenschaft entlassen wurden, ist Wasyl Wyrosub. Der Priester gehört zur Orthodoxen Kirche der Ukraine und ist Vorsteher der Pfarrei der Heiligen Dreifaltigkeit in Odessa. Er wurde im Februar 2022 an Bord des zivilen Rettungsschiffs "Sapphire" festgenommen. Dessen Mission: Die zivilen Leuchtturmwärter auf der kleinen Schlangeninsel im Schwarzen Meer in Sicherheit zu bringen und die Leichen getöteter ukrainischer Grenzsoldaten zu bergen.

Die Russen durchsuchten das Schiff und verhörten die Besatzung, berichtet Wyrosub der DW. "Sie haben uns geschlagen und gefoltert, einfach weil sie Spaß daran hatten. Ich habe erlebt, wie Männern die Genitalien abgeschnitten oder die Köpfe abgehackt wurden. Es war die Hölle auf Erden."

Der Geistliche wurde im Rahmen eines Gefangenenaustauschs Anfang Mai 2022 freigelassen. Er sei während der Verhöre immer wieder gefragt worden, in welcher Abteilung des Sicherheitsdienstes der Ukraine (SBU) er arbeite. Er habe beteuert, dass er in keiner Verbindung zum ukrainischen Geheimdienst stehe, so der Priester.

Ein weiterer Priester der Orthodoxen Kirche der Ukraine aus dem besetzten Teil der Region Cherson, der nicht namentlich genannt werden möchte, berichtet der DW, er habe acht Durchsuchungen erlebt. Ihm sei verboten worden, Gottesdienste zu feiern und er sei eine Woche lang in einer Folterkammer eingesperrt worden. "Sie kamen sie mit Minensuchgeräten und suchten bei mir nach Waffen und Sprengstoff. Bei den Verhören forderten sie, ich solle zum Moskauer Patriarchat wechseln, was ich immer kategorisch ablehnte", erzählt der Priester.

Zwei Priester der Ukrainischen Griechisch-Katholischen Kirche, Iwan Lewyzkyj und Bohdan Heleta, waren laut der "Menschenrechtsgruppe Charkiw" mehr als eineinhalb Jahre in russischer Gefangenschaft, weil angeblich Waffen auf den Kirchengeländen gefunden wurden.

Berichte von Morden an ukrainischen Geistlichen

Ferner sind vier Fälle vorsätzlicher Tötung von Priestern der Orthodoxen Kirche der Ukraine in den besetzten Gebieten bekannt. Von einem Fall berichtet die norwegische Menschenrechtsorganisation "Forum 18". Ihren Informationen nach nahmen russische Militärs im Februar dieses Jahres den Priester Stepan Podoltschak im Dorf Kalantschak im besetzten Teil der Region Cherson fest. "Er wurde barfuß mit einem Sack über dem Kopf weggebracht, angeblich zu einem Verhör. Sein geschundener Körper, wahrscheinlich mit einer Schusswunde im Kopf, wurde am 15. Februar auf der Straße des Dorfes gefunden", schreibt "Forum 18" in einem Bericht.

Rund 400 zerstörte Kirchen in der Ukraine 

Derzeit hielten ukrainische Kirchen in den besetzten Gebieten keine Gottesdienste ab, sagt Jewhen Sacharow, weil ihnen dafür die Räumlichkeiten fehlten. Die russischen Besatzer würden die Kirchengebäude entweder Priestern überlassen, die dem Moskauer Patriarchat gegenüber loyal seien oder würden sie für eigene Zwecke nutzen. Rund 400 zerstörte Kirchen hat die Menschenrechtsgruppe inzwischen dokumentiert. 

Ein ukrainischer Soldat in einer zerstörten Kirchen im Osten der UkraineBild: 128th Mountain Assault Brigade/Facebook

Auch ukrainische Gläubige im Visier russischer Besatzer

Schon der Besuch von Kirchen in den besetzten Gebieten ist gefährlich. "Forum 18" berichtet von einer Protestantin, die Anfang dieses Jahres von den Besatzungsbehörden in der Region Saporischschja verhaftet wurde. Sie sei wegen Aussagen angeklagt worden, die sie angeblich im Juli 2023 bei einem Gebetstreffen in der besetzten Stadt Melitopol gemacht haben soll. Der Vorwurf: "Öffentliche Verbreitung wissentlich falscher Angaben über den Einsatz der Streitkräfte der Russischen Föderation".

Darüber hinaus sind laut Sacharow auch muslimische Geistliche im Visier der Besatzungsbehörden. "Die Moscheegemeinden, die sich weigern, sich den von Russland kontrollierten islamischen Strukturen anzuschließen, werden unterdrückt", erzählt der Menschenrechtler.

Adaption aus dem Ukrainischen: Markian Ostaptschuk

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