1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikUkraine

Ukraine: Selenskyj bekämpft Korruption im Militär

17. August 2023

Nach Korruptionsvorwürfen entlässt der ukrainische Präsident sämtliche Leiter von Rekrutierungsbüros in der Ukraine. Wie will das Land künftig gegen Korruption vorgehen?

Präsident Selenskyj spricht mit zwei Soldaten in der Frontregion nahe Saporischschja
Präsident Selenskyj entlässt sämtliche Leiter von Rekrutierungsbüros Bild: President Of Ukraine/APA Images/Zumapress/picture alliance

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat sämtliche Regionalchefs von Rekrutierungsbüros in der Ukraine entlassen. Anlass für die Entlassungswelle sind zahlreiche Korruptionsvorwürfe innerhalb des Militärs. Zuvor waren alle Rekrutierungsbüros des ukrainischen Militärs in verschiedenen Regionen des Landes geprüft worden. Nach Angaben des Staatlichen Ermittlungsbüros wurden insgesamt 112 Strafverfahren gegen Vertreter der Büros eröffnet, in 33 Fällen Verdacht erhoben und gegen 15 Personen Klage eingereicht.

Präsident Wolodymyr Selenskyj hat angekündigt, stärker gegen Korruption vorgehen zu wollenBild: The Presidential Office of Ukraine

"Dieses System muss von Leuten geführt werden, die genau wissen, was Krieg ist und warum Zynismus und Bestechung in Kriegszeiten Landesverrat bedeuten", teilte Selenskyj nach einem Treffen des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates mit.

Für die Rekrutierung sollen laut Selenskyj künftig ehemalige Frontkämpfer zuständig sein, "die nicht mehr in den Schützengräben liegen können, weil sie ihre Gesundheit, ihre Gliedmaßen verloren, aber dabei ihre Würde bewahrt haben und nicht zynisch sind". 

Bestechungsgelder und gefälschte Atteste

Es ist nicht der erste Versuch des ukrainischen Präsidenten, die Korruption im Land in den Griff zu bekommen. In den vergangenen Wochen häuften sich die Skandale rund um mehrere Leiter von Rekrutierungsbüros. So wird dem ehemaligen Militärkommissar von Odessa, Jewhen Borissow, vorgeworfen, Bestechungsgelder entgegengenommen und damit seit Kriegsbeginn umgerechnet mehrere Millionen Euro verdient zu haben. Laut Recherchen von Medienberichten soll Borissow seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine auch Luxusimmobilien in Spanien und teure Autos für Angehörige erworben haben. Nach der Veröffentlichung der Recherchen wurde Borissow aus seinem Amt entlassen und verhaftet. 

Leiter der Rekrutierungsbüros sollen Bestechungsgelder entgegengenommen und Atteste gefälscht habenBild: Mykhailo Polenok/PantherMedia

Die Prüfung der Rekrutierungsbüros ergab unter anderem auch, dass der Gebietsleiter im westukrainischen Transkarpatien Soldaten beim Bau seines privaten Anwesens einsetzte. In Riwne hatte der Leiter eines Rekrutierungsbüros Untergebene anscheinend sogar misshandelt.

Der Leiter eines Büros in der Region Donezk im Osten der Ukraine wurde ebenfalls festgenommen. Den Ermittlungen zufolge soll er ihm nahestehende Untergebene in eine Kampfbrigade der ukrainischen Streitkräfte geschickt haben. Offenbar nahmen die Männer nie an Kampfeinsätzen teil, erhielten aber dennoch einen entsprechenden Sold. Bei fast 100 Durchsuchungen in Rekrutierungsbüros in Kiew und zehn weiteren Regionen wurden Hinweise auf ärztliche Atteste gefunden, die verkauft wurden, um eine angebliche Dienstunfähigkeit zu belegen.

Ukrainische opposition fordert mehr Transparenz

Unterdessen fordert die Opposition im ukrainischen Parlament den Präsidenten auf, die Kriterien öffentlich zu machen, nach denen die Regionalchefs der Rekrutierungsbüros entlassen wurden. So will Iryna Heraschtschenko von der Fraktion "Europäische Solidarität" wissen, warum alle entlassen werden: "Wenn sie alle Bestechungsgelder angenommen haben und an illegalen Handlungen beteiligt waren, dann müssen sie nicht nur entlassen, sondern festgenommen werden", schreibt sie auf Telegram.

Die regierende Präsidenten-Partei "Diener des Volkes" hat eine Mehrheit im ukrainischen ParlamentBild: Mykola Lazarenko/Ukrainian presidential press service/TASS

Selenskyj versprach inzwischen Festnahmen, aber nicht in allen Fällen. "Beamte, die Schulterklappen mit Vorteilsnahme verwechseln, kommen auf jeden Fall vor Gericht", versicherte der Präsident. Er wies zugleich darauf hin, dass entlassene Beamte, gegen die keine Beweise für Straftaten oder Verstöße vorliegen, an die Front gehen sollten, wenn sie ihren "Dienstgrad behalten" und ihre "Würde beweisen" wollten.

Kampf gegen die Korruption in der Ukraine

Die Öffentlichkeit wünsche sich einen vollständigen Austausch der Regionalchefs und Wolodymyr Selenskyj komme diesem Wunsch erfolgreich nach, meint der Politologe vom ukrainischen Zentrum für angewandte politische Forschung "Penta", Wolodymyr Fesenko. Seiner Ansicht nach setzt der Präsident nun auf Menschen mit Kampferfahrung, die zu "moralischen Wächtern gegen Korruption im System" werden sollen. Gleichzeitig fügt der Experte hinzu, dass es sich hierbei nicht um eine Reform handele und dass die Staatsmacht keinen vollständigen Schutz vor Korruption biete. "Selbst für die neuen Leute werden die Versuchungen im System groß sein. Es sind lukrative Posten, weil viele Menschen versuchen, sich loszukaufen, um nicht in den Krieg ziehen zu müssen", so Fesenko.

Die Regionalchefs auszutauschen sei nötig, aber es müsse nicht bei allen gleichzeitig geschehen, so Hlib Kanewskyj vom Antikorruptionszentrums StateWatch im Gespräch mit DW. Denn dies würde das Rekrutierungssystem - solange sich die neuen Leiter auf ihren Posten einleben - für mindestens drei Monate "ausbremsen", so Kanewskyj.  "Alle alten durch neue Leiter zu ersetzen, bringt kurzfristig Pluspunkte, weil der Präsident den Wunsch nach Gerechtigkeit erfüllt", so Kanewskyj. "Wenn das System aber so viele Führungskräfte gleichzeitig verliert, wirkt sich das negativ auf seine Arbeit aus." Es reiche daher nicht aus, Menschen einfach auszutauschen. Er warnt davor, dass die neuen in dasselbe korrupte Umfeld geraten würden. 

Die Stellen in den Rekrutierungsbüros will er nun mit vom Geheimdienst überprüften Soldaten nachbesetzenBild: Ukrainian Presidential Press Service/REUTERS

Auf der Suche nach Lösungen

Auch Ljubow Halan vom Menschenrechtszentrum "Prinzip", das Soldaten Rechtsbeistand leistet, glaubt, dass Korruption - auch unter neuen Führungskräften - nur durch mehr Transparenz zu bekämpfen sei. "Es darf nicht nur in Einzelfällen ermittelt werden", sagt sie im DW-Interview. Sie fordert eine Reform des Systems, weil es die Wahrnehmung in der Gesellschaft und die Stimmung der Menschen, die bereits kämpfen, stark beeinflusst. "Während sich manche für kleines Geld loskaufen, liegen andere in Schützengräben", so Halan. "Das empört, ist ungerecht und untergräbt das Vertrauen in den Staat." Ihr zufolge müsste es im Rekrutierungssystem einen effizienten digitalen Austausch von Daten geben, um die Korruption einzudämmen. 

Um Korruption im Land weiter zu bekämpfen, hat die ukrainischen Nationale Agentur zur Verhinderung von Korruption einen Plan erarbeitet, der insbesondere auf den Grenzübertritt von ukrainischen Bürgern abzielt. "Am meisten wird in den Rekrutierungsbüros mit den Attesten für die Wehrunfähigkeit Missbrauch getrieben. Die ausgestellten Bescheinigungen erlauben es, das Land zu verlassen", so der Leiter der Behörde, Oleksandr Nowikow. Laut seinem Plan sollen die Regeln für den Grenzübertritt sowie für die Ausstellung entsprechender Dokumente geändert werden. So sollten die Datenbanken des Grenzdienstes und die der Rekrutierungsbüros verknüpft werden. Dies würde, so Nowikow, für mehr Transparenz im gesamten Verfahren sorgen.

Der ukrainische Präsident hatte angekündigt, verstärkt gegen die Korruption im Land vorzugehen. Grund dafür ist auch, die Verhandlungen über einen Beitritt zur Europäischen Union und zur NATO voranzutreiben. Denn Anti-Korruptions-Reformen sind eine Bedingung der EU für einen möglichen Beitritt der Ukraine. 

Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen

Mehr zum Thema

Weitere Beiträge anzeigen