Wie mich drei Jahre Krieg veränderten - ein Ukrainer erzählt
23. Februar 2025
Kostiantyn Honcharov arbeitete bis 2022 als Journalist für die Deutsche Welle. Nach Beginn des russischen Angriffskrieges meldete er sich, wie viele andere Ukrainer, freiwillig als Soldat in der ukrainischen Armee. Dies ist sein subjektiver Erfahrungsbericht nach drei Jahren Krieg in seinem Heimatland.
Der militärischen Aggression Russlands gegen die Ukraine konnte weder durch internationale Sanktionen noch durch lautstarke politische Drohungen ein Ende gesetzt werden. Wladimir Putin ließ sich auch nicht durch seine eigenen Verluste aufhalten. Im Gegenteil, jede Niederlage auf dem Schlachtfeld zwingt die Russische Föderation dazu, nach neuen Möglichkeiten zu suchen, statt den Krieg aufzugeben.
In fast drei Jahren habe ich gesehen, wie sich die russische Armee verändert, wie sich das Kampffeld wandelt, wie sich unsere Verteidigungskräfte an den Krieg anpassen - wie ein lebender Organismus, der in eine feindliche Umgebung geraten ist. Die ukrainische Armee hat gelernt, in diesem Umfeld nicht nur zu überleben, sondern es mit Hilfe modernster Erfindungen auch zu ihrem Vorteil zu verändern. Allerdings kann keine Technologie das Wichtigste in diesem Krieg ersetzen - den Infanteristen, der trotz Müdigkeit, Schmerz und Angst fest an seinem Heimatland hält.
Vom Gewehr zur Drohne
Den ersten Einsatz an der Front vergisst man nie: Der Boden bebt unter den Füßen, die Luft wird von Explosionen zerrissen, es knistern brennende Häuser und zu hören sind ein durchdringendes Pfeifen von Granatsplittern und ferne Schreie. In diesem Moment erlebte ich zum ersten Mal den wahren Krieg, sein Chaos und seine Unerbittlichkeit. Ich erinnere mich an die ersten Salven - kurz, ruckartig, wie anhaltende Schläge auf die Realität selbst, sie durchbohrten Äste von Bäumen und trafen Metall. Der Geruch von Brand und Schießpulver füllte die Lunge und schien sogar auf der Zunge zu liegen - herb, schwefelhaltig, als würden Dutzende Feuerwerkskörper gleichzeitig explodieren. Doch hier wird nichts gefeiert, es ist die bittere Realität des Krieges.
Meine Laufbahn in der Armee begann im Aufklärungszug der Luftlandebrigade, die die Gebiete Cherson und Mykolajiw befreite und in den Gebieten Donezk und Saporischschja kämpfte. Zunächst kämpften wir um jede Stellung, dann um jede Straße und Ruine in den durch Artillerieduelle und Fliegerbomben zerstörten Städten.
Nach einer Verwundung und monatelanger Rehabilitation wurde ich zur Einheit für radioelektronische Aufklärung versetzt. Jetzt sind meine Waffen keine Maschinengewehre, sondern Informationen. Mittels Analyse von Funksignalen verfolgen wir feindliche Bewegungen, Kontrollpunkte, feindliche Drohnen und Mittel zur elektronischen Kriegführung.
Nicht nur mein Weg im Krieg hat sich geändert, sondern auch der Krieg selbst. Auf dem Kampffeld gibt es einen neuen entscheidenden Faktor. Mit Kameras ausgestattete und anhand des übertragenen Bildes gesteuerte Drohnen, die zu Beginn der Invasion wie eine erzwungene Improvisation wirkten, ein verzweifelter Versuch, den Mangel an Artilleriemunition zu kompensieren, sind heute vollwertige und hochpräzise Waffen. Schützengräben, Unterstände, Panzerfahrzeuge - alles wird zum Ziel in einer Art Wettkampf zwischen den Piloten: Wer entdeckt, erreicht und vernichtet den Feind zuerst?
Mit der Entwicklung von Drohnen ging eine neue Herausforderung einher - deren Bekämpfung. Die elektronische Kriegsführung, also die Störung von Funksignalen, verbessert sich in erstaunlichem Tempo und zwingt Drohnen-Piloten dazu, täglich die Frequenzen zu ändern, die Algorithmen der Kommunikation zu verbessern und neue Steuerungsmethoden zu erfinden. Kein Vorsprung ist von Dauer. Erforderlich ist eine ständige harte Arbeit von Programmierern und Ingenieuren.
Grenze der menschlichen Belastbarkeit
Doch all diese technischen Fortschritte können das Wichtigste nicht leisten - die Kräfte derjenigen wiederherzustellen, die an der Front unter ständiger Spannung stehen. Nach drei Jahren Krieg sind die Rotationen der Infanterieeinheiten zu einem kritischen Problem für die ukrainische Armee geworden. Müde Soldaten, die wochen- oder gar monatelang an vorderster Front sind und auf Ersatz warten, verlieren an Wachsamkeit und Kampfmoral. Schlaflosigkeit trübt das Bewusstsein, der Körper wird durch Nahrungs- und Wassermangel geschwächt. In solchen Momenten denkt oder analysiert man nicht mehr, man funktioniert nur noch, man reagiert auf Gefahren und befolgt Befehle.
Soldaten kämpfen monate- und jahrelang, ohne die Gelegenheit zu haben, auch nur für ein paar Tage ins normale Leben zurückzukehren. Schon eine kurze Pause würde es ermöglichen, mit mehr Ausdauer in den Dienst zurückzukehren. Doch jede kampfbereite Einheit ist heutzutage Gold wert.
An den meisten Frontabschnitten betreiben die Streitkräfte der Ukraine eine strategische Verteidigung, weswegen das Kommando einfach nicht das Recht hat, einen Teil der Truppen zur Erholung abzuziehen. An ihrer Stelle würde sich eine Lücke auftun, die der Feind sofort auszunutzen versuchen würde. Solange der Krieg weitergeht, bleiben die Soldaten in ihren Stellungen, wo sie mit übermenschlichen Anstrengungen durchhalten.
Paradoxerweise ist der Krieg in den relativ friedlichen Städten im Hinterland jedoch oft noch stärker zu spüren. Unausgeschlafen aufgrund endloser Luftalarme leben die friedlichen Bewohner vor sich hin, als wären sie in Erwartung irgendeiner Tragödie, die sie nicht verhindern können. An der Front ist es einfacher, hier ist alles klar. Es gibt einen Befehl, eine Aufgabe und einen Feind. Die Hauptsache ist, effektiv zu sein, denn davon hängt nicht nur das eigene Überleben ab, sondern auch, wie schnell man sich einem Sieg nähert.
Kraft des Widerstands
Der Krieg hat mich verändert. Aus etwas Abstraktem oder Unverständlichem ist eine alltägliche Aufgabe geworden, in deren brutaler Realität es dennoch Platz für kleine Freuden gibt: eine Tasse heißen Tee nach einem anstrengenden Tag, die Möglichkeit, den Schmutz abzuwaschen, ein paar Stunden Stille ohne Explosionen. Eine wahre Freude ist, zu sehen, wie Drohnen feindliche Angriffe auf unsere Befestigungen zerschlagen.
Natürlich möchte ich zu meiner Familie, einem friedlichen Leben und meinen Lieblingsbeschäftigungen zurückkehren, niemals mehr Schaufeln in die Hand nehmen, in nassen Gräben frieren, Instantnudeln essen oder von heißem Wasser, einem Badezimmer und sauberer Kleidung träumen müssen. Jeder von uns ist müde, aber wir können jetzt nicht aufgeben. Wir haben keine andere Wahl, als weiterzukämpfen - nicht nur für uns selbst, sondern auch für die Gefallenen und für diejenigen, die zu Hause auf uns warten. Für das Recht, frei zu leben.
Ich glaube nicht an einen schnellen Frieden, da ich zwischen den Seiten keine Berührungspunkte für einen Kompromiss sehe. Warum sollte der Aggressor den Krieg beenden, wenn er seine "schleichende Offensive" fortsetzt und immer mehr Gebiete der Ukraine erobert? Russland wird nicht von sich aus zurückweichen, es kann nur von einem organisierten Widerstand aufgehalten werden. Nur wo Infanterie und Drohnen, Technologie und ein unbezwingbarer Kampfgeist zusammenwirken, hat der Feind keine Chance, weiter vorzudringen.
Gleichzeitig bietet jede Verzögerung bei der Bereitstellung internationaler Hilfe dem Feind die Chance, seine Positionen zu stärken. Dies ist für jeden an der Front offensichtlich. Aber unser Kampf wird trotz aller politischen Veränderungen und des Zögerns ausländischer Partner weitergehen. Auch wenn einige führende Politiker der Welt inzwischen die Verantwortung für den Kriegsausbruch vom Aggressor auf uns schieben, wird unser Widerstand nicht nachlassen. Schließlich verteidigen wir nicht nur unser Territorium, sondern auch unsere Identität und unser Recht auf Zukunft.
Übersetzt aus dem Ukrainischen von Markian Ostaptschuk