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Ukraine-Krise: Olaf Scholz in heikler Mission

13. Februar 2022

Die US-Nachrichtendienste schlagen Alarm, auch Deutschland fordert seine Bürger zur Ausreise aus der Ukraine auf. Bundeskanzler Scholz reist jetzt nach Kiew und Moskau. Die Lage ist extrem gefährlich.

Bundeskanzler Olaf Scholz
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD)Bild: Christophe Gateau/Pool/AP/picture alliance

Ein Tag in Kiew beim ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, ein Tag in Moskau beim russischen Präsidenten Wladimir Putin. Jeweils frühmorgens hin und am sehr späten Abend zurück - so ist es geplant. Wäre die geopolitische Lage nicht so angespannt, das Verhältnis zwischen Russland und der Ukraine nicht so vergiftet, dann wären diese Reisen ganz normale Antrittsbesuche des noch neuen Bundeskanzlers Olaf Scholz.

Es wäre ein erstes Abtasten der Staats- und Regierungschefs, ein Versuch, sich gegenseitig einzuschätzen, zu schauen, ob die zwischenmenschliche Chemie stimmt und wie viel politische Harmonie möglich ist. Davon hängt viel ab im bilateralen und geopolitischen Geschäft. Doch für einen so soften und geordneten Start bleibt dem neuen Kanzler keine Zeit.

Extrem gefährliche Lage

Die US-Geheimdienste warnen vor einem russischen Angriff auf die Ukraine noch vor dem kommenden Wochenende. Nach den USA und anderen westlichen Staaten hat auch das Auswärtige Amt in Berlin deutsche Staatsbürger aufgefordert, die Ukraine zu verlassen. Die Bundesregierung schätzt die Lage als extrem gefährlich ein, Bundeskanzler Olaf Scholz sprach am Sonntagam Rand der Bundespräsidentenwahl in Berlin von "einer sehr, sehr ernsten Bedrohung des Friedens".

In Belarus, das an die Ukraine grenzt, hält Russland derzeit gemeinsame Militärmanöver mit belarussischen Einheiten abBild: BelTA/AP/dpa/picture alliance

Scholz hat eine diplomatische Offensive gestartet. Vor einer Woche war er in Washington bei US-Präsident Joe Biden, anschließend gaben sich im Berliner Kanzleramt europäische Staats- und Regierungschefs die Klinke in die Hand. Scholz hatte den französischen Präsidenten Macron und den polnischen Staatschef Duda zu Gast, ebenso wie die Regierungschefin von Dänemark und der drei baltischen Staaten. Der EU-Ratspräsident Charles Michel war in Berlin und am Donnerstag fand auf Beraterebene ein zehnstündiges Gespräch im sogenannten Normandie-Format zwischen Russen und Ukrainern statt, moderiert von Deutschen und Franzosen.

Verhandeln und abschrecken

Nun also Kiew und Moskau. Auf Scholz lasten hohe Erwartungen, auch, wenn die Bundesregierung im Vorfeld versucht, die Messlatte niedrig zu hängen. Man gehe nicht davon aus, am Dienstagabend mit einem konkreten Ergebnis aus Moskau nach Berlin zurückzufliegen, heißt es aus Regierungskreisen. Das Gespräch sei Teil der intensiven diplomatischen Bemühungen aller Verbündeter. Mit dem Ziel, den Gesprächsfaden mit Russland über eine Deeskalation mit konkreten Schritten aufrecht zu erhalten.

Will der russische Präsident Wladimir Putin überhaupt noch zuhören?Bild: Thibault Camus, Pool/AP/picture alliance

Von einer "Doppelstrategie" spricht der Kanzler. Auf der einen Seite wird verhandelt, auf der anderen Seite gedroht. "Im Fall einer militärischen Aggression gegen die Ukraine, die ihre territoriale Integrität und ihre Souveränität gefährdet, führt es zu harten Reaktionen und Sanktionen, die wir sorgfältig vorbereitet haben und die wir sofort wirksam werden lassen können. Zusammen mit unseren Verbündeten in Europa und in der NATO." Das Bündnis sei geschlossen und entschlossen, hatte Scholz vor ein paar Tagen schon gesagt. "Niemand sollte damit rechnen, dass wir auseinandergehen, sondern wir werden einheitlich handeln."

Deutsche Beziehungen mit Russland sind besonders

Und trotzdem ist der Besuch des Bundeskanzlers in Kiew und Moskau anders zu werten, als beispielsweise die Reise des französischen Präsidenten Emmanuel Macron vor einer Woche. Die deutschen bilateralen Beziehungen könnten nie ahistorisch gesehen werden, heißt es aus Regierungskreisen.

In deutschem Namen sei der Region unendliches Leid zugefügt worden. Man müsse dankbar sein, dass es in den letzten Jahrzehnten gelungen sei, die Beziehungen zwischen den Menschen der Länder wieder herzustellen. Eine deutsche Sonderrolle ergebe sich daraus aber nicht. "Da sind wir eingebunden, eingebettet in das, was alle versuchen."

Differenzen um Waffenlieferungen

Nicht eingebunden ist Deutschland allerdings in Waffenlieferungen in die Ukraine, da weigert sich die Bundesregierung auch mit dem Hinweis auf die Historie. Selbst für eine Anfrage aus Estland, ob man alte Haubitzen, die noch aus den Beständen der nationalen Volksarmee der DDR stammen, an die Ukraine weitergeben könnte, gibt es nach wie vor keine Freigabe.

Die baltischen Staaten fühlen sich von der russischen Militäroffensive bedroht, das sagten der litauische Präsident Gitanas Nauseda (l), die estnische Ministerpräsidentin Kaja Kallas und der lettische Ministerpräsident Krisjanis Kariņs Bundeskanzler Olaf Scholz am Donnerstag sehr deutlichBild: Christophe Gateau/pool/dpa/picture alliance

Der Kanzler werde auch in Kiew voraussichtlich keine Zusagen für Waffenlieferungen machen, heißt es aus Regierungskreisen. Geprüft werden soll hingegen eine Wunschliste für militärische Ausrüstung, auf der unter anderem elektronische Ortungssysteme, Minenräumgeräte, Schutzanzüge, digitale Funkgeräte, Radarstationen oder Nachtsichtgeräte stehen.

"Das eine oder andere" davon könne man sich "genauer anschauen", das werde jetzt geprüft, heißt es in Berlin. Neben der politischen Entscheidung gehe es dabei auch um die tatsächliche Verfügbarkeit des Materials. "Wir haben bei der Bundeswehr nichts übrig, da liegen keine 1000 Nachtsichtgeräte rum."

Wirtschaftshilfe möglich

Wie es aussieht, wird Olaf Scholz der Ukraine weitere wirtschaftliche Unterstützung anbieten. Auch das wird aus Kiew gefordert. Deutschland war in den letzten Jahren mit rund zwei Milliarden Euro der größte Geldgeber, um die Wirtschaft zu stabilisieren. Aktuell ist die ukrainische Währung stark unter Druck, das dürfte die Lage weiter erschweren. "Die Ukraine kann sich sicher sein, dass wir die notwendige Solidarität zeigen, so wie in der Vergangenheit", betont Scholz.

Gesprächsthema in Kiew und Moskau dürfte auch die deutsch-russische Gaspipeline Nord Stream sein. Mit Befremden wurde von Seiten der europäischen Verbündeten und den USA registriert, wie die Bundesregierung lange versuchte, die noch nicht in Betrieb gegangene Ostseepipeline Nord Stream 2 aus der Liste möglicher Sanktionen herauszuhalten. Die durch die Ostsee von Russland nach Deutschland laufende Pipeline sei ein "privatwirtschaftliches Vorhaben" und der Genehmigungsprozess "ganz unpolitisch", sagte Olaf Scholz noch im Dezember.

Nicht alle Sanktionen auf den Tisch legen

"Wenn Russland zum Beispiel mit Panzern und Truppen die Grenze zur Ukraine überquert, wird es Nord Stream 2 nicht mehr geben", sagte US-Präsident Joe Biden am vergangenen Montag in Washington im Beisein des deutschen Bundeskanzlers mit Nachdruck. Der neben ihm stehende Olaf Scholz hingegen wand sich. Er weigert sich seit Wochen beharrlich, den Namen "Nord Stream 2" auch nur auszusprechen.

Auch der Antrittsbesuch von Bundeskanzler Olaf Scholz bei US-Präsident Joe Biden drehte sich vornehmlich um die Ukraine-KriseBild: Alex Brandon/AP Photo/picture alliance

Die Zurückhaltung hat vielerlei Gründe. Die offizielle Lesart ist, dass die Bundesregierung nicht über konkrete Sanktionen sprechen und "alles auf den Tisch legen will", wie der Kanzler sagt. Der russische Präsident müsse im Unklaren gelassen werden, um sich nicht konkret ausrechnen zu können, welche Kosten Sanktionen mit sich bringen würden.

Die SPD und Russland

Tatsächlich aber hat Olaf Scholz noch andere Beweggründe. Zum einen will er im Fall eines Falles die Hauptlast auszusprechender Sanktionen nicht allein in Deutschland sehen. Was beispielsweise ist mit den US-amerikanischen Ölkäufen in Russland, müssten die nicht auch ausgesetzt werden?

Dazu kommt, dass der Sozialdemokrat Scholz Rücksicht auf Stimmungen in seiner Partei nehmen muss. Nord Stream 2 kommt im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern an, wo die SPD-Politikerin Manuela Schwesig als Ministerpräsidentin seit Jahren alles daransetzt, dass die Pipeline in Betrieb genommen wird und Gas fließt.

Die Wirtschaft hofft

Die deutsche Industrie hat ebenfalls ein großes Interesse daran, dass die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland nicht allzu sehr belastet werden. Trotz der sich weiter zuspitzenden Ukraine-Krise hält der Ostausschuss der deutschen Wirtschaft unverdrossen an seinem traditionell einmal im Jahr stattfindenden Wirtschaftsgespräch mit dem russischen Präsidenten fest.

Wegen Corona wollen sich 20 deutsche Top-Manager zwar nicht wie üblich in Moskau oder Sotschi mit dem russischen Präsidenten treffen, sondern nur virtuell bei einer Video-Konferenz. Der Termin Anfang März aber ist - in Absprache mit der Bundesregierung, wie es heißt - fest eingeplant.

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