Ukraine-Verhandlungen: Welche Rolle spielt die Türkei?
21. Februar 2025
Spätestens seit dem Telefonat zwischen US-Präsident Trump und dem russischen Staatschef Wladimir Putin und den offen zu Tage tretenden Differenzen zwischen USA und den Europäern auf der Münchner Sicherheitskonferenz hat im Russland-Ukraine-Krieg eine neue Zeitrechnung begonnen. Seitdem bestimmen teils hektische diplomatische Aktivitäten das Bild: Vor allem die Europäer und die Ukraine selbst versuchen derzeit, sich neu aufzustellen. Auch aus diesem Grund ist der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in dieser Woche in die Türkei gereist. Zwar sitzt auch die Türkei derzeit nicht mit den USA und Russland am Verhandlungstisch; dennoch hofft deren Präsident Recep Tayyip Erdogan, auch in Zukunft eine wichtige Rolle bei den Friedensverhandlungen mit Russland und in der neuen Sicherheitsarchitektur spielen zu können.
Die Türkei hat im Russland-Ukraine-Krieg stets versucht, die diplomatischen Kanäle zu beiden Seiten offenzuhalten und gleichzeitig gute Beziehungen nach Moskau und Kyjiw zu pflegen. Erdoğan will diese Politik nun fortsetzen.
Dies brachte er auch bei Selenskyjs Besuch in Ankara erneut zur Sprache. Erdoğan erklärte, dass die Türkei jede Unterstützung leisten werde, um den Verhandlungsprozess mit einem dauerhaften Frieden abzuschließen. Auch brachte er sein Land als "idealen Gastgeber für mögliche Gespräche zwischen Russland, der Ukraine und den USA" ins Spiel. Erdoğan betonte weiter, dass die Türkei von beiden Seiten als "zuverlässiger Vermittler" angesehen wird. Allein: Ob dieses Angebot auch angenommen wird, ist alles andere als sicher.
Auch die Türkei ist plötzlich außen vor
Helin Sarı Ertem, Politikwissenschaftlerin an der Istanbuler Medeniyet-Universität, führt an, dass die Türkei als aufstrebende Regionalmacht seit langem den Anspruch hat, in diesem Konflikt eine Vermittlerrolle einzunehmen. Zuletzt seien die türkischen Bemühungen hierzu allerdings ins Stocken geraten: "Die Türkei fühlt sich - wie auch die EU-Länder- seit dem amerikanisch-russischen Gipfeltreffen in Saudi-Arabien außen vor. Das muss deutlich betont werden." Ankara habe viel in seine Vermittlerrolle investiert. "Aber wird die Türkei auch in Zukunft eine Rolle spielen? Es ist durchaus möglich, dass die USA dies wollen", so Ertem, und dann sei die Türkei auch "bereit, diese Rolle zu übernehmen."
Schon bei der Errichtung des sogenannten "Getreidekorridors" im Schwarzen Meer, der den Export wichtiger Nahrungsmittellieferungen aus der Ukraine für die Welt sicherte, spielte die Türkei eine konstruktive Rolle. Fatih Ceylan, ehemaliger Botschafter der Türkei bei der NATO, erinnert daran, dass die Türkei bereits in den ersten Kriegsmonaten in Antalya und Istanbul Vermittlungsbemühungen unternommen hat. Doch das Ausschließen Europas von den Türkei habe alle europäischen Partner der Ukraine in eine schwierige Lage gebracht - auch die Türkei. "Solange nicht klar ist, welcher Plan vorgelegt wird, kann man auch keine valide Zusage zu einer Unterstützung geben. Das ist illusorisch."
Zudem, so Ceylan, dürfte der momentane Bruch zwischen den USA und Europa in Sicherheits-, Wirtschafts- und Handelsfragen auch die Türkei betreffen. "Wenn jemand denkt, dass er sich aus der Situation heraushalten kann, halte ich das für eine Illusion", sagt Ceylan. Denn eine Schrumpfung der europäischen Volkswirtschaften in einem solchen Konflikt werde auch negative Auswirkungen auf Ankaras Handelsbilanz haben: "Das würde die Türkei direkt betreffen."
Wird die Türkei in die Sicherheitsgarantien für die Ukraine einbezogen?
Selenskyj betonte bei der Pressekonferenz mit Erdoğan die Bedeutung umfassender Sicherheitsgarantien für die Ukraine. Kurz vor seiner Abreise aus Ankara wiederholte Selenskyj diese Forderung vor Journalisten und sagte: "Wenn es nicht die NATO sein wird, wer wird uns dann Garantien zusichern können? Wir haben auch mit Präsident Erdoğan über mögliche Sicherheitsgarantien von starken Ländern mit starken Armeen, einschließlich der Türkei, gesprochen."
Fatih Ceylan zufolge seien derzeit aber noch zu viele Fragen offen: "Es reicht ja nicht zu sagen: 'Ich schicke Truppen!' Dies muss entweder durch multilaterale Verhandlungen, an denen auch Europa und die Türkei beteiligt sind, festgelegt werden, oder das Thema muss an den UN-Sicherheitsrat verwiesen werden. Das heißt, zunächst müssen die bilateralen Verhandlungen zwischen den USA und Russland in einen multilateralen Rahmen überführt werden." Dann, so Ceylan, könne auch die Türkei eine wichtige Rolle spielen. Auch Helin Sarı Ertem glaubt, dass die Türkei ähnlich wie die anderen europäischen Länder zur militärischen Friedenssicherung in der Ostukraine "gedrängt" werden könnte. Ankara könnte dazu möglicherweise sogar eher bereit sein als viele EU-Länder.
Was ist die Bedeutung des Schwarzen Meeres und die der Montreux-Konvention?
Derweil stellte Erdoğan fest, dass eine neue Regelung zur Sicherheit der Schifffahrt im Schwarzen Meer vor den Gesprächen ein wichtiges vertrauensbildendes Element für den Friedensprozess sein könnte. Fatih Ceylan weist darauf hin, dass, wenn Russland nach den Friedensgesprächen die in der Ukraine eroberten Gebiete behält, die Bedeutung des Schwarzen Meeres eine neue Komponente erhalten würde. In diesem Fall müsse die Sicherheit der Schifffahrt im Schwarzen Meer neu überdacht werden. Daher könnte es unvermeidlich werden, dass die Türkei zu den Ländern gehört, die Sicherheitsgarantien geben könnten.
Wenn in Zukunft von einem schnellen Friedensprozess die Rede sein sollte, werde die Sicherheit des Schwarzen Meeres, insbesondere für den Durchgang von Handelsschiffen, weiter an Relevanz gewinnen. Politikwissenschaftlerin Ertem erinnert daran, dass während des Krieges Minen im Schwarzen Meer in der Nähe der Küsten der Ukraine und Russlands gelegt wurden, die eine Gefahr, für die von der Türkei hoch geschätzten Handelsschiffe darstellten. Zwischen Rumänien, Bulgarien und der Türkei wurde eine Vereinbarung über die Räumung dieser Minen unterzeichnet. "Seit den US-amerikanischen Gesprächen mit Russland in Riad sehen wir, dass auf der Tagesordnung insbesondere die Sicherstellung des Friedens innerhalb der Ukraine steht. Doch dies sollte nicht nur als Sicherstellung des Friedens innerhalb der ukrainischen Gebiete betrachtet werden. Auch der Frieden im Schwarzen Meer muss gesichert werden. Ich denke, das wird der Punkt sein, auf den die Türkei aufmerksam machen wird."
Dieser Text wurde von Erkan Arikan aus dem Türkischen ins Deutsche übertragen.