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Ukraine: Volle Getreidesilos, gesperrte Häfen

Barbara Wesel
21. Mai 2022

Europas Kornkammer kämpft gegen Blockaden beim Export von Getreide. Nicht nur die Seewege sind versperrt, auch der Transport über Land gestaltet sich schwierig. Die UN warnen vor einer globalen Ernährungskrise.

Odesa Hafen
Im Hafen von Odessa gibt es Silos voller Getreide, Weizen und Mais sowie 57 voll beladene SchiffeBild: imago images/unkas_photo

"Es gibt keine Lösung für die (globale) Nahrungsmittelkrise ohne die Integration der Agrarproduktion der Ukraine", warnte UN Generalsekretär Antonio Guterres bei einem Treffen in New York. Er hoffe auf eine Vereinbarung mit Russland trotz des Krieges.

US Außenminister Anthony Blinken sprach von der größten "Ernährungskrise" der Gegenwart, und der Chef des UN Welternährungsprogramms WFP fügte hinzu, es gehe nicht nur um die Ukraine, sondern die Ärmsten der Armen. "Ich bitte Präsident Putin, wenn er überhaupt ein Herz hat, diese Häfen zu öffnen (...), so dass wir Hungersnöte verhindern können, wie wir es in der Vergangenheit getan haben", appellierte David Beasley.

Der Schlüssel sind die Schwarzmeerhäfen

Das Welternährungsprogramm hat bisher die Hälfte seiner Getreidevorräte in der Ukraine gekauft. Aber seit Kriegsbeginn liegen die Exporte still, weil die Häfen an der Schwarzmeerküste gesperrt sind. In Odessa bewege sich seit Kriegsbeginn nichts, "weil die Seeverbindung nicht sicher ist", berichtete Petr Obouchov vom Stadtrat der Hafenstadt bei France 24. "Einige Frachter wurden von den Russen getroffen (...) und vor Odessa liegen eine Menge Seeminen, die Durchfahrt ist nicht sicher."

Rumänien, Polen und Litauen bieten alternative Transportrouten für den Getreideexport aus der Ukraine an

Er hält auch die Bemühungen, einen humanitären Seekorridor einzurichten, kurzfristig kaum für eine Lösung: "Selbst wenn der Krieg heute enden würde, bräuchten wir wenigstens ein halbes Jahr, um die See zu säubern und den Hafen wieder zu aktivieren."

Normalerweise transportiert die Ukraine durch ihre Häfen rund sechs Millionen Tonnen Getreide und Ölsaaten pro Monat. Aber inzwischen sind an Land die Silos übervoll, weil der Export still liegt.

Darüber hinaus liegen bei Odessa 57 Schiffe mit mehr als einer Million Tonnen Getreide an Bord fest, wie der ukrainische Landwirtschaftsminister Mykola Solskyi erklärte. Wie lange das Getreide an Bord sich aber hält, wüssten selbst die Kapitäne nicht. Nach drei Monaten "beginnen die Probleme, und ein Teil der Ladung kann verderben".

EU-Ratspräsident Charles Michel machte sich in der vorigen Woche vor Ort selbst ein Bild der Lage:

"Ich habe im Hafen von Odessa Silos voller Getreide, Weizen und Mais gesehen, die bereit für den Export sind. Diese dringend benötigten Nahrungsmittel sind wegen des Kriegs in der Ukraine und der Blockade der Schwarzmeerhäfen gestrandet. Das hat dramatische Konsequenzen für ärmere Nationen. Wir brauchen eine globale Antwort."

Der Miteigentümer des Cargohafens Yuzhne bei Odessa hält eine geschützte Seepassage wiederum für möglich. Andryi Stavnitser beschreibt die derzeitige Lage in den Hafenanlagen bei Radio Free Europe: "Es ist absolut still. Nur Möwen und Krähen. 5000 Arbeiter sitzen zu Hause."

Es gebe aber Vorbilder für Seekorridore, zum Beispiel in Somalia oder anderen Konflikten: "Türkische Militärschiffe könnten unsere Transporte begleiten. (...) Die UN könnten das organisieren, eine Art humanitärer Korridor für den Transit."

Das Problem sind die riesigen Mengen

Der nächstgelegene Schwarzmeerhafen von Odessa ist Constanta in Rumänien. Dort leistet man inzwischen Nothilfe. 240.000 Tonnen Getreide aus der Ukraine sind bereits auf Lastkähnen über das Donaudelta, per Bahn und Laster eingetroffen und weitertransportiert worden.

"Mit großer Mühe schaffen wir das", sagt der Chef von Hafeneigner Comvex. Aber man könne nicht über Nacht die Transitrouten für so riesige Mengen ersetzen. "Wir brauchen dringend Ausrüstung", erklärte Viorel Panait der Nachrichtenagentur Reuters.

Der rumänische Hafen Constanta wird zur neuen Drehscheibe für ukrainisches Getreide Bild: Jack Parrock/DW

Man brauche EU-Hilfe für Kräne, Ladeeinrichtungen und andere Geräte, um den Getreidetransport abwickeln zu können. Normalerweise bewegt Constanta rund 25 Millionen Tonnen Getreide pro Jahr aus Ungarn, Serbien und Österreich.

Soll der Hafen auch noch für Odessa einspringen, müsste massiv in die Infrastruktur investiert werden. So will die Regierung in Bukarest zum Beispiel alte Schienenanlagen in Constanta wieder in Betrieb nehmen - aber die Arbeiten beginnen erst im Sommer.

Das Hauptproblem ist in jeder Hinsicht die schiere Menge der ukrainischen Exporte. EU-Transportkommissar Adina Valjean nannte die Herausforderung "gigantisch". "Es ist essentiell, die Logistikketten zu optimieren, neue Routen einzurichten und Engpässe zu vermeiden." 

In den nächsten drei Monaten müssten 20 Millionen Tonnen Getreide aus der Ukraine heraus gebracht werden, bevor die neue Ernte eintrifft, die Speicherkapazität im Land erschöpft ist und weltweit eine Nahrungsmittelkrise eintritt.

EU will neue Transportrouten schaffen

Brüssel hat inzwischen an alle Mitgliedsländer appelliert, Lastwagen, Eisenbahnwaggons und Ladegeräte zur Verfügung zustellen, um Ausweichtransporte über Straße und Schiene möglich zu machen. Gebraucht wird logistische Unterstützung beim Grenzübertritt. Außerdem müssten Versicherungsfragen geklärt und Personal für die Abfertigung eingestellt werden.

Derzeit kann die EU nur rund ein Fünftel des Getreides über alternative Routen aus der Ukraine bringen Bild: John Moore/Getty Images

Die Schwierigkeiten beginnen allerdings schon mit der Spurbreite der Züge: In Russland und der Ukraine sind sie historisch etwa 10 Zentimeter breiter als im Rest Europas. Das heißt, die Waggons müssen an der Grenze umgeladen oder auf passende Fahrgestelle umgesetzt werden.

Außerdem sei das EU-Schienennetz auf solche Mengen nicht eingerichtet, erklärt der technische Direktor der Ukrainischen Eisenbahn Valeryi Tkachev nach einem Bericht der Agentur Interfax. "In der Ukraine werden 65 Prozent, in der EU nur bis zu 35 Prozent des Güterverkehrs auf der Schiene abgewickelt."

Polens Landwirtschaftsminister Henryk Kowalczyk räumte inzwischen ein, man könne nur ein bis zwei Millionen Tonnen Getreide aus der Ukraine transportieren, für größere Mengen fehle die technische Ausrüstung.

Beim Transport nach Westen gibt es zudem derzeit noch massive Staus an den Grenzen mit Wartezeiten zwischen 16 und 30 Tagen. Die EU appelliert hier an die Mitgliedstaaten, die Formalitäten dringend zu beschleunigen.

Litauen bietet Lösung an

Die Transporte über Polen könnten zum Ostseehafen Gdansk weiter geleitet werden. Eine andere Lösung bietet Litauen an. Wenn Belarus zustimmen würde, Getreidetransporte über einen humanitären Korridor in den baltischen Nachbarstaat rollen zu lassen, würde sich das Problem der Spurbreite der Bahnwaggons erledigen. Und Litauen bietet seinen Ostseehafen Klaipeda als Ort zur Verschiffung und für den Weitertransport an. 

Teures Grundnahrungsmittel: Die Brotpreise sind in Abnehmerländern wie Ägypten drastisch gestiegen Bild: Khaled Desouki/AFP/Getty Images

Diese alternativen Transportwege sind allerdings nur eine Notlösung. Auch für Cargo-Riesen wie die Deutsche Bahn ist die Aufgabe eine Herausforderung: "Wir sind bereits mit regelmäßigen Getreidetransporten im europäischen Schienennetzwerk der DB Cargo unterwegs. Nun geht es darum, in enger Abstimmung mit der EU und dem Bund diese Agrarexporte auszuweiten." 

Bis zu 100 Züge am Tag müssten rollen und tragfähige Verbindungen zu den Häfen an Nord- und Ostsee, am Schwarzen Meer wie am Mittelmeer hergestellt werden, so ein Unternehmenssprecher von DB-Cargo. "Das wird alles extrem teuer. Aber über die zusätzlichen Kosten für die Abnehmerländer, vor allem in Nordafrika oder bei den UN-Organisationen, hat bisher noch niemand gesprochen."

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