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Politik

Ukraine vor Machtkampf um Neuwahlen

Roman Goncharenko
17. Mai 2019

Um eine drohende Auflösung des Parlaments zu verhindern, lässt eine Regierungspartei in Kiew die Koalition platzen. Ein Kräftemessen mit dem neu gewählten Präsidenten Selenskyj könnte die Ukraine lähmen.

Ukrainisches Parlament (Symbolbild)
Bild: picture-alliance/dpa/G. Vasilenko

Die politische Atempause nach der Präsidentenwahl in der Ukraine ist vorbei. Die "Volksfront", die Partei des ehemaligen Ministerpräsidenten Arsenij Jazenjuk, verkündete am Freitag ihren Austritt aus der Koalition im Parlament. In der Begründung wird zwar eine neue Koalition angestrebt, doch in Wirklichkeit dürfte es darum gehen, eine Auflösung des Parlaments durch den gewählten Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zu verhindern. Selenskyjs Amtseinführung ist für Montag (20. Mai) geplant, rund vier Wochen nach seinem historischen Sieg gegen Amtsinhaber Petro Poroschenko, mit 73 Prozent der Stimmen.

Präsident ohne Parlamentsmehrheit 

Seit Monaten wird darüber spekuliert, dass der 41-jährige politische Neuling und bekannte Fernsehkomiker die Gunst der Stunde nutzen möchte, um seine eigene Partei mit einer möglichst großen Zahl an Abgeordneten ins Parlament zu bringen. Ohne eine eigene Partei im Parlament sind Selenskyj in vielen Fragen die Hände gebunden, denn das eigentliche Machtzentrum ist laut Verfassung die Regierung.

Selenskyj braucht die Unterstützung des ParlamentsBild: picture-alliance/dpa/AP Photo/V. Ghirda

Umfragen sehen die bisher kaum bekannte Partei von Selenskyj, die er nach seiner beliebten TV-Serie "Diener des Volkes" benannt hatte, mit rund 30 Prozent oder sogar mehr mit großem Abstand vor anderen Parteien. Ob solche Beliebtheitswerte bis zur regulären Parlamentswahl Ende Oktober halten, ist allerdings fraglich. Deshalb dürfte Selenskyj versuchen, das Parlament aufzulösen und den Weg für Neuwahlen im Juli freizumachen: Das ist die Einschätzung vieler Beobachter. Ein Berater bestätigte in einer Fernsehsendung, dass der neue Präsident Neuwahlen anstreben werde.

Selenskyj unter Zeitdruck

Viel Zeit hat Selenskyj für seine Entscheidung nicht - nur eine Woche bis zum 27. Mai. Danach beginnt laut Verfassung eine Art Schonfrist, die eine Auflösung des Parlaments sechs Monate vor einer regulären Wahl verbietet. Die nächste Parlamentswahl würde dann planmäßig am 27. Oktober stattfinden.

Genau das strebt offenbar die "Volksfront" an. Das Parlament hat nach dem Bruch der aktuellen Koalition 30 Tage Zeit, um eine neue zu bilden. Sollte das scheitern, darf der Präsident das Parlament auflösen. Doch dann würde die in der Verfassung festgehaltene sechsmonatige Schonfrist greifen. 

Warum Selenskyj doch das Parlament auflösen könnte 

Trotzdem dürfte Selenskyj in den kommenden Tagen versuchen, das Parlament aufzulösen. Eine juristische Grundlage dafür sei bereits vorhanden, berichten ukrainische Medien. So hat ein Gericht in Kiew im Rahmen eines anderen Verfahrens Anfang März eine formelle Bestätigung der Koalition im Parlament angefordert und bisher nicht erhalten.

Tatsache ist, dass die 2014 gegründete Koalition mit dem Namen "Europäische Ukraine" bereits im Februar 2016 zerfiel. Damals wechselten drei Parteien in die Opposition, darunter die "Vaterlandspartei" der früheren Regierungschefin Julia Tymoschenko. Geblieben war eine Allianz von "Volksfront" und "Poroschenkos Block", die sich mit Hilfe von fraktionslosen Abgeordneten wechselnde Mehrheiten verschafft hat. "Es gibt faktisch seit drei Jahren keine Koalition", sagte Selenskyj am Freitag. Der gewählte Präsident nannte den Austritt der Volksfront "ein Spiel im Parlament", verzichtete jedoch auf Drohungen.    

Gefahr einer politischen Lähmung  

Ob es im ukrainischen Parlament bis zu diesem Freitag eine Koalition gab oder sie bereits früher zerbrach - diese Frage dürfte bald ukrainische Gerichte beschäftigen und am Ende vor dem Verfassungsgericht landen. Dort gab es erst vor wenigen Tagen einen Wechsel an der Spitze: Der Vorsitzende Richter wurde am 14. Mai durch ein Misstrauensvotum von seinen Kollegen abgesetzt. Ob es einen Zusammenhang mit der drohenden Parlamentsauflösung gibt, bleibt eine Spekulation. 

Der sich abzeichnende Machtkampf zwischen Präsident und Parlament um Neuwahlen dürfte die ohnehin politisch und wirtschaftlich lange geschwächte Ukraine zusätzlich lähmen. Unklar ist auch, wie sich die Zusammenarbeit zwischen dem neuen Präsidenten und dem Regierungschef Wolodymyr Hrojsman entwickeln wird. Beide sind zwar gleich alt, 41, doch Hrojsman war bisher Poroschenko-treu, während Selenskyj vor allem als ein Gegner des scheidenden Präsidenten die Wahl gewann und seinen Anhängern einen Neuanfang versprach. 

Sollte es doch nicht zu vorgezogenen Parlamentswahlen kommen, könnte sich Selenskyj - ähnlich wie bisher Poroschenko - auf wechselnde Mehrheiten im Parlament stützen. Besonders schwer dürfte es nicht sein, was eine Abstimmung über den Tag seiner Amtseinführung zeigte. Der ursprüngliche Vorschlag von Selenskyj, die Zeremonie im Parlament am 19. Mai abzuhalten, bekam 207 Stimmen und verfehlte damit nur knapp die notwendige Mehrheit von 226 Stimmen. Das scheint eine ausreichende Basis zu sein, die der neue Präsident ausbauen könnte.

 

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