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Politik

Ukraine: Was kostet der Krieg Deutschland und dem Westen?

17. Dezember 2022

Europa und die USA helfen der Ukraine mit vielen Milliarden Euro. Wie viel Militärhilfe das Land genau erhält, ist schwer zu berechnen. Dennoch versucht es das Kieler Institut für Weltwirtschaft.

Ukraine - Zerstörung in Kharkiv nach russischem Luftangriff
Zerstörung durch russischen Angriff: Das von der ukrainischen Armee befreite Dorf Petropavlivka in der Region CharkiwBild: Sergey Bobok/AFP

André Frank und sein Team vom Institut für Weltwirtschaft (ifw) im norddeutschen Kiel wühlen sich jede Woche durch einen Berg von öffentlich zugänglichen Informationen über die westliche Hilfe für die Ukraine. In ihrem bislang einzigartigen "Ukraine Support Tracker" versuchen sie die tatsächliche Hilfe an Militärgerät, humanitäre Leistungen und Finanzhilfen für das von Russland angegriffene Land unabhängig zu errechnen

Die größte Herausforderung ist für die Ökonomen dabei, den finanziellen Anteil der Militärhilfen an den gesamten Ausgaben der westlichen Ukraine-Hilfe von mittlerweile gegebenen und zugesagten 100 Milliarden Euro zu errechnen.

Es ist kein leichtes Unterfangen: Die offiziellen Angaben aus den USA oder Großbritannien bei den Militärhilfen sind lückenhaft. Das gilt auch für die Veröffentlichungen der deutschen Bundesregierung, die regelmäßig eine Liste von Militärgütern, die geliefert werden aktualisiert. "Auf den ersten Blick sieht das sehr transparent aus, weil die Stückzahlen mit angegeben sind", sagt iwf-Ökonom André Frank im DW-Gespräch. "Aber wir wollen den Lieferungen an die Ukraine ja einen monetären Wert geben", also abbilden, was die Hilfen tatsächlich kosten. 

Für Deutschland ist das besonders schwierig, weil Berlin in den vergangenen bald zehn Kriegsmonaten Militärgerät aus Beständen der Bundeswehr abgegeben hat, das schon längst ausgemustert oder abgeschrieben war - und somit auch keine aktuell gültige Preisbewertung hat. Zum Beispiel der Flugabwehrpanzer Gepard, der noch aus der Zeit des Kalten Krieges stammt. Mittlerweile wurden aus Deutschland 30 Stück von diesem System geliefert, das der ukrainischen Armee hilft, sich gegen russische Raketenangriffe zu wehren. Und dort von großem militärischem Wert sei, heißt es aus Kiew. 

Deutsche Verteidigungsministerin Lambrecht (zweite von rechts) im Oktober in Odessa mit ihrem ukrainischen Amtskollegen Resnikow (rechts) vor einem Flakpanzer Gepard: Weitere sieben sollen bald geliefert werdenBild: Jörg Blank/dpa/picture alliance

Eigene Preisliste für Waffen

Die Ökonomen aus Kiel entwickeln deshalb beständig eine lange "Preisliste" von Militärgütern und anderen Hilfslieferungen immer weiter, um am Ende die Hilfen doch noch finanziell berechnen zu können. Einen Gepard bewerten sie nach intensiven Beratungen so mit 1,2 Millionen US-Dollar. Ähnlich verhält es sich bei den polnischen T-72-Panzern, die ursprünglich aus sowjetischer Produktion stammten und von Warschau an Kiew abgegeben worden sind. Hier rechnen die Forscher mit einem Stückwert von 1,6 Millionen US-Dollar.

Ein anderes Beispiel sei die Lieferung von Schlafsäcken, so iwf-Ökonom Frank. Ein Teil davon helfe humanitär, ein anderes Kontingent sei ausschließlich für die ukrainischen Soldatinnen und Soldaten an der Frontlinie gedacht. 

Deutschland liefert offenbar mehr als bekannt 

Für Deutschland gibt der "Ukraine Support Tracker" nun bisherige Militärhilfen und weitere Zusagen über 2,3 Milliarden Euro aus, während auf der Liste der deutschen Regierung von Anfang Dezember ein Betrag von 1,9 Milliarden Euro angegeben ist. Beide Werte liegen demnach unter den geleisteten Hilfen. "Wir gehen davon aus, dass die deutsche Militärhilfe noch höher ist als der Wert, den wir gerade ausgeben", beschreibt Frank die konservative Buchhaltung seiner Arbeitsgruppe. So würde die Bundesregierung keine Angaben über den Umfang der Munitionslieferungen für das hochmoderne Raketenabwehrsystem Iris-T machen.

Iris-T Flugabwehrsystem der deutschen Firma Diehl: Berlin hat bislang eines dieser Geräte an die Ukraine geliefert, weitere sollen 2023 folgen. Bild: Jens Krick/Flashpic/picture alliance

Das Gerät schützt seit dem Herbst offenbar die Region der ukrainischen Hauptstadt Kiew vor russischen Raketenangriffen. Das lässt sich aus Social Media Posts aus ukrainischen Regierungskreisen über erfolgreich abgeschossene russische Raketen schließen. Operationale Details der ukrainischen Armee gibt Kiew nicht bekannt. Seit dem Herbst greift die russische Armee jede Woche mit massivem Beschuss gezielt das ukrainische Energiesystem an. Eine Iris-T-Rakete kostet auf dem Weltmarkt 616.000 US-Dollar. "Je nachdem wie viele Raketen da sind, kann das natürlich auch viel ausmachen", sagt ifw-Forscher Frank. "Aber das ist es eben auch wieder so, dass die offiziellen Angaben, die wir von Deutschland haben, uns gar keine Chance lassen, einen Gesamtwert zu schätzen." Wie viele Abwehrraketen die ukrainische Luftverteidigung mit Iris-T bislang verschossen hat, wie viele nachgeliefert werden – ist unklar. "Es gibt keine Möglichkeit für uns, das mit den offiziell verfügbaren Quellen richtig festzustellen." 

Ähnlich verhält es sich mit dem sogenannten Ringtausch: Also, wenn östliche NATO-Staaten wie die Slowakei oder Slowenien alte sowjetische Panzer an die Ukraine abgeben und im Gegenzug von Deutschland Militärgerät bekommen. "Der komplette Ringtausch wird von uns nicht als Hilfe von Deutschland an die Ukraine kategorisiert, weil es eben nicht direkt der Ukraine zugutekommt", so iwf-Forscher Frank. 

Am meisten Militärhilfe aus den USA

Und doch sind die Kieler Ökonomen überzeugt, dass ihre Berechnungen auch mit der letzten Aktualisierung von Anfang Dezember sehr nah an den Realitäten dieses Krieges liegen. Der Ansatz mit einer eigenen "Preisliste" für die gelieferten Militärgüter zu arbeiten, erleichtere die Vergleichbarkeit. "Auch wenn wir bei einzelnen Waffen und anderen Gütern die Militärhilfe überschätzen", so Frank, "das wird an anderer Stelle wieder ausgeglichen." Bei der bilateralen Lieferung von Militärgerät bleiben die USA mit großem Abstand der wichtigste Unterstützer der Ukraine mit 23 Milliarden Euro an der Spitze, gefolgt von Großbritannien mit 4,1 Milliarden Euro gefolgt von den 2,3 Milliarden Euro errechneten Militärhilfen aus Deutschland. 

Einfacher ist der Überblick über die großen Gesamtsummen der Ukraine-Hilfe: also aller Leistungen der westlichen Ukraine-Unterstützerstaaten für humanitäre Hilfe, Finanzhilfe und Militärgüter gemeinsam. Mit ihrem Beschluss der Ukraine ab Januar mit weiteren 18 Milliarden Euro zu helfen, ziehen die EU-Staaten und die Institutionen der Europäischen Union bei den Hilfen für die Ukraine an den USA vorbei. Europa unterstützt Kiew dann mit insgesamt 52 Milliarden Euro gegenüber 48 Milliarden Euro aus den USA für "militärische, finanzielle und humanitärer Hilfe", schreiben die Kieler Ökonomen in ihrer Stellungnahme zum aktuellen "Ukraine Support Tracker", der gegebene und angekündigte Hilfsleistungen bis zum 20. November dieses Jahres abbildet.