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Politik

Wie realistisch sind russische Reparationen?

Marina Baranovska
23. November 2022

Eine Resolution der UN-Vollversammlung fordert Russland auf, für die Zerstörungen seines Angriffskrieges Reparationen an die Ukraine zu zahlen. Sie ist jedoch nicht bindend. Lässt sich Russland trotzdem haftbar machen?

Der russische UN-Botschafter Wassili Nebensja spricht in der UN-Vollversammlung im Oktober
Der russische UN-Botschafter Wassili Nebensja spricht in der UN-Vollversammlung im OktoberBild: Bebeto Matthews/AP/dpa/picture alliance

Ein Ende des Krieges in der Ukraine scheint derzeit nicht in Sicht, und doch diskutiert die Weltgemeinschaft darüber, wie Russland dazu gebracht werden kann, finanziell für die von seiner Armee verursachten Kriegsschäden im Nachbarland aufzukommen. Eine entsprechende Resolution der UN-Generalversammlung, die Moskau zur Zahlung von Reparationen auffordert, bekam am 14. November 94 Stimmen. 14 Staaten votierten dagegen, weitere 73 enthielten sich.

Der ukrainische Ministerpräsident Denys Schmyhal schätzte im September den bislang erlittenen direkten physischen Schaden durch den Krieg auf 326 Milliarden US-Dollar. Die Summe sei von Experten der Weltbank verifiziert worden, so Schmyhal bei einem Treffen in Brüssel. Sie dürfte bis Kriegsende weiter ansteigen. Russland hat die Resolution bereits zurückgewiesen. Das Dokument sei "rechtlich unbedeutend", so der russische UN-Diplomat Wassili Nebensja.            

Wann werden Reparationen gezahlt

Reparationen sind im Grunde Entschädigungszahlungen, die ein Staat für den Schaden leistet, der durch seine verbrecherischen Handlungen entstanden ist. Die Summen und die Art der Zahlungen werden durch internationale Institutionen oder einen Friedensvertrag nach Kriegsende festgelegt, erklärt der Völkerrechtler Paul Gragl von der Universität Graz.

Einer der bekanntesten Fälle von Reparationen betraf das Deutsche Reich nach seiner 1918 feststehenden Niederlage im Ersten Weltkrieg. Im Raum standen Forderungen von über 200 Milliarden Goldmark, die über Jahrzehnte bezahlt werden sollten. Die letzte Überweisung tätigte die Bundesrepublik Deutschland als Rechtsnachfolgerin des Deutschen Reiches im Jahr 2010. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg musste Deutschland Reparationen an die Alliierten zahlen.

Folgen eines russischen Raketenangriffs in KiewBild: Oleksandr Gusev/REUTERS

In der modernen Geschichte gibt es einige weitere Beispiele für Reparationen. Dazu gehören auch die Reparationszahlungen des Irak für die Besetzung Kuwaits in den Jahren 1990/91. Grundlage für die Zahlungen waren die Resolutionen des UN-Sicherheitsrats. Sie gelten als Präzedenzfall, den auch der ukrainische ständige Vertreter bei der UN-Generalversammlung anführte, sagt Paula Rhein-Fisсher von der Akademie für den europäischen Schutz der Menschenrechte an der Universität zu Köln.

Wie könnte Russland zu Zahlungen gezwungen werden? 

Resolutionen der UN-Generalversammlung sind rechtlich nicht bindend. Sie hätten eher politisches Gewicht, weil sie die Meinung der internationalen Gemeinschaft spiegeln, sagt Paul Gragl. "Es wird damit eine politische Absicht ausgedrückt, nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, dass Russland verpflichtet wird, als Aggressor diese Schäden wiedergutzumachen", so Gragl.

Auch Paula Rhein-Fischer spricht von einem politischen Signal. Über die bestehenden internationalen Mechanismen lasse sich Russland kaum zur Zahlung von Reparationen bewegen. "Beim Internationalen Gerichtshof der Vereinten Nationen (dessen Entscheidungen rechtsverbindlich sind - Anm. d. Red.) gibt es ein Zuständigkeitsproblem. Er ist nur dann zuständig, wenn beide Staaten zugestimmt haben, Parteien des Verfahrens zu werden. Der Gerichtshof verhandelt bereits die Klage der Ukraine gegen Russland wegen Verletzung der Völkermordkonvention, aber in diesem Fall werden die Entschädigungszahlungen begrenzt sein", erklärt die Expertin.

Paula Rhein-Fischer von der Universität zu KölnBild: Privat

Eine rechtsverbindliche Entscheidung über Reparationen könnte daher vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag (ICC) getroffen werden, so Rhein-Fischer weiter. "Ihm obliegt die Verurteilung von Individuen wegen Völkermords, Verbrechens gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und des Verbrechens der Aggression, wobei der ICC das Aggressionsverbrechen russischer Entscheidungsträger nicht verfolgen kann. Denn eine Verfolgung dieses Verbrechens setzt vorliegend eine Resolution des UN-Sicherheitsrates voraus, die Russland als ständiges Mitglied des Sicherheitsrates mit einem Veto blockieren würde. Im Gespräch ist deshalb die Einrichtung eines Sondertribunals“, sagt Rhein-Fischer.

Die Anklagen gegen russische Beamte wegen der übrigen Straftaten, die in die Zuständigkeit des IStGH fallen, werden bereits gerichtlich untersucht, aber die Ermittlungen könnten sich über einen längeren Zeitraum hinziehen.

Eine dritte Instanz, die Russland theoretisch zu Reparationszahlungen verpflichten könnte, ist der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), so die Expertin. Allerdings ist Russland 2022 aus dem Europarat ausgetreten und unterliegt seitdem nicht mehr den Entscheidungen des EGMR. Nach dem Ausschluss aus dem Europarat ist Russland seit September 2022 keine Vertragspartei der Europäischen Menschenrechtskonvention mehr. Das Gericht könnte die Russische Föderation nur belangen, die Ukraine für die von Februar bis September 2022 entstandenen Zerstörungen zu entschädigen, erklärt Paula Rhein-Fischer. 

Festgesetzte russische Jacht: Vermögenswerte können nicht ohne Weiteres für Entschädigungen herhalten (Archivbild)Bild: Fabrizio Tenerelli/ANSA/picture alliance

Nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre sei jedoch zu erwarten, dass Russland ein entsprechendes EGMR-Urteil nicht umsetzen werde. "Außerdem ist sehr umstritten, ob die Europäische Menschenrechtskonvention auf andauernde Konflikte überhaupt anwendbar ist", sagt die Expertin und fügt hinzu: "Vorläufig scheint es daher unwahrscheinlich, dass die Russische Föderation in naher Zukunft Reparationszahlungen leisten wird".

Russisches Vermögen als Reparationen?

Diskutiert wird momentan auch, ob russische Gelder, die im Rahmen der gegen Moskau verhängten Sanktionen eingefroren wurden, zur Zahlung von Reparationen herangezogen werden könnten. Dabei geht es in erster Linie um Auslandsvermögen sanktionierter russischer Unternehmen, das Eigentum von Privatpersonen sowie um Devisenreserven der russischen Zentralbank.

"Es gibt hier natürlich einen rechtlichen Unterschied zwischen 'Vermögen einfrieren' und 'Vermögen konfiszieren'", sagt Völkerrechtsexperte Gragl. "Einfrieren heißt, dass das nur temporär passiert." Russisches Vermögen als Reparationsleistung zu beschlagnahmen gehe dagegen nicht ohne eine Rechtsgrundlage, so Rhein-Fischer. Eine internationale Schiedskommission existiert jedoch bislang nicht, und die Entscheidung über eine Beschlagnahmung durch nationale Gerichte ist mit großen rechtlichen Komplikationen verbunden.

Paul Gragl von der Universität GrazBild: Privat

Möglicherweise könnte ein neu zu schaffender internationaler Mechanismus Abhilfe schaffen. Die UN-Resolution vom 14. November sieht dessen Einrichtung vor. Die stellvertretende ukrainische Justizministerin Iryna Mudraja hatte bereits erklärt, dass dies zahlreichen Staaten ermöglichen werde, "von der Diskussion zum Handeln überzugehen". 

Gleichzeitig ist, wie Rhein-Fischer betont, staatliches Vermögen für hoheitliche Zwecke - zu dem in diesem Fall wohl auch die russischen Devisenreserven gehören -, nach internationalem Recht durch Immunität vor Beschlagnahme geschützt. Die Resolution der Generalversammlung könnte jedoch eine Möglichkeit bieten, eine Regelung in die Verträge zwischen der Ukraine und Drittstaaten aufzunehmen, die Russland diese Immunität entzieht.

"Meiner Meinung nach wirft dieser Punkt rechtliche Fragen auf, da Verträge nicht zum Nachteil Dritter geschlossen werden können", sagt Paula Rhein-Fischer. In diesem Fall wäre die dritte Partei, die nicht an dem Vertrag beteiligt ist, Russland. "Eine andere Frage ist aber, ob diese Praxis zu Änderungen bereits bestehender Regeln des internationalen Gewohnheitsrechts führen könnte", so die Expertin weiter. 

Friedensvertrag als ideale Lösung

Rechtlich weniger problematisch wäre es nach Ansicht Rhein-Fischers, Sanktionen gegen Russland als Gegenleistung für die Zustimmung zu Reparationszahlungen aufzuheben. Ideal sei ein Friedensvertrag zwischen den Parteien, in dem sich Russland verpflichte, den von ihm verursachten Schaden zu kompensieren. "Aber in der aktuellen Situation ist das leider unwahrscheinlich", sagt die Expertin.

Adaption aus dem Russischen: Roman Goncharenko

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