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PolitikBulgarien

Ukrainerinnen in Bulgarien: "Wir sind keine Nazis"

Nikoleta Atanasova | Alexander Andreev
26. Mai 2023

Viele ukrainische Flüchtlinge in Bulgarien fühlen sich isoliert und angefeindet. Häufig werden sie als Nazis beschimpft. Das hat auch mit der tief verwurzelten Russland-Sympathie vieler Bulgaren zu tun.

Bulgarien | Demonstration in Sofia | für Solidarität mit der Ukraine
Demonstration in Sofia (7.04.2022): Es gibt auch Solidarität mit der UkraineBild: Alexandar Detev/DW

Die Ukrainerin Olena (Name von der Redaktion geändert) hat Angst. Die 46-jährige Kunsttherapeutin aus Kiew ist Anfang März 2022, wenige Tage nach Beginn der russischen Invasion in der Ukraine, nach Bulgarien geflohen. Aber auch in Sofia, wo sie zurzeit wohnt, fühlt sie sich nicht sicher: "Ein bulgarischer Junge, zwölf Jahre alt, hat meiner gleichaltrigen Tochter gesagt, alle Ukrainer sollten sterben. Seitdem will sie, dass wir nach Hause fahren. Die Raketen dort seien weniger schlimm als das hier", erzählt die schockierte Mutter. Der Junge habe behauptet, alle Ukrainer seien Nazis und Russland werde sie bald bezwingen.

Prorussische Demonstration vor einem Denkmal der sowjetischen Armee in der bulgarischen Hauptstadt Sofia (4.05.2022)Bild: Valentina Petrova/AP/dpa/picture alliance

Alltag in Bulgarien, das als sehr Russland-freundlich gilt. Bulgarien ist gleichzeitig das "unfreundlichste Land" gegenüber Flüchtlingen aus der Ukraine - das geht aus einem Bericht des UN-Flüchtlingskommissariats UNHCR vom Januar 2023 hervor. Laut dem Bericht sind seit Kriegsbeginn insgesamt 148.451 Ukrainerinnen und Ukrainer nach Bulgarien gekommen. Zwei Drittel von ihnen haben das Land jedoch wieder verlassen.

Das plant auch Julija (Name von der Redaktion geändert) aus Dnipro, die im März 2022 in Bulgarien Zuflucht gesucht hat. Die 60-Jährige beklagt sich über die feindliche Einstellung vieler Bulgaren und Bulgarinnen: "Von Anfang an haben wir uns unerwünscht und isoliert gefühlt in Bulgarien. Keine Ahnung, warum uns die meisten Bulgaren, die ich getroffen habe, so böse angucken. Ich schätze, weil Menschen wie Kostadinow dauernd suggerieren, dass die ukrainischen Flüchtlinge auf Kosten der Bulgaren leben, da sich angeblich der Staat um ihre Versorgung kümmere."

"Russischer Riss" durch die Gesellschaft

Julija meint den Vorsitzenden der ultranationalistischen Partei Wazraschdane (Wiedergeburt), Kostadin Kostadinow, der die drittstärkste parlamentarische Fraktion in Sofia anführt. Unlängst behauptete Kostadinow, die Ukrainer seien alle Nazis und seine Partei, einmal an die Macht gekommen, werde die als Flüchtlinge getarnten ukrainischen "Touristen" umgehend ausweisen.

Kostadin Kostadinow ist der Vorsitzende der ultranationalistischen Partei WiedergeburtBild: BGNES

Kostadinow und Wazraschdane lassen sich recht eindeutig als prorussisch und antieuropäisch einordnen. Auf den "Friedensmärschen" von Wazraschdane sieht man häufig russische Fahnen und Putin-Bilder. Vor Kurzem beschmierten die Teilnehmer einer derartigen Demonstration die Vertretung der EU-Kommission in Sofia mit roter Farbe.

Es ist nur eine kleine, lautstarke Minderheit, die in Bulgarien auf diese Weise in Erscheinung tritt. Doch dass viele Menschen im Land mit Russland sympathisieren, ist unbestritten. Die Wurzeln dieser Sympathien reichen weit in die Geschichte zurück. Das Zarenreich half gegen Ende des 19. Jahrhunderts, nicht ohne eigene Interessen zu verfolgen, dass sich die Bulgaren von der 500-jährigen osmanischen Herrschaft befreien konnten. Nach dem Zweiten Weltkrieg pflegten die bulgarischen Stalinisten unter allen Ostblock-Staaten das engste Verhältnis zur Sowjetunion. Sie erwägten zeitweise sogar den Beitritt zur UdSSR - was in Moskau abgelehnt wurde.

Heute geht in der Russland-Frage ein tiefer Riss durch die bulgarische Gesellschaft. Der eine Teil der Bevölkerung ist strikt antirussisch eingestellt und verlangt eine harte Abkehr vom einstigen "großen Bruder". Der andere Teil hält die Mythen der bulgarisch-russischen Brüderschaft hoch. Zum Ausdruck kommen darin auch antiwestliche und Anti-EU-Narrative.

"Hier spielt bulgarische Musik"

So wie bei der Partei Wazraschdane. Olena ist von den Drohungen des Parteichefs Kostadinow und vom Vandalismus seiner Sympathisanten erschüttert. Sie kann es nicht fassen, dass die Polizei in einem EU-Land Angriffe auf diplomatische Vertretungen zulässt, ohne zu reagieren.

Sofia: Anhänger der prorussischen Partei Wiedergeburt haben die Vertretung der EU-Kommission mit roter Farbe beschmiertBild: BGNES

Olena ist den freundlichen Bulgarinnen und Bulgaren, die ihr und ihrer Familie am Anfang halfen, zwar dankbar. Doch die feindselige Stimmung in anderen Teilen der Bevölkerung konnte sie anfangs nicht nachvollziehen: "Langsam stellten wir dann fest, dass es gewisse bulgarische Politiker sind, die solche negativen Gefühle gegen die Ukraine anstacheln", sagt sie. "Wir haben auch gesehen, wie ihre Sympathisanten provoziert haben - während Demonstrationen zur Unterstützung der Ukraine zum Beispiel."

Am Rande eines proukrainischen Konzerts habe sie erlebt, erzählt Olena, wie Männer mit bulgarischen Fahnen den Ukrainern zugerufen hätten, sie seien Nazis und sollten aus Bulgarien verschwinden. "Wenig später versammelten sich Menschen auf dem benachbarten Platz vor dem Nationaltheater", berichtet sie. "Sie spielten bulgarische Volksmusik und tanzten dazu. Zuerst dachte ich: Wie schön, dass auf zwei benachbarten Plätzen die Musik zweier Kulturen zu hören ist und die Menschen sich quasi gemeinsam freuen. Ich ging auf sie zu und fragte, ob ich mittanzen dürfe. Aber als sie feststellten, dass ich Ukrainerin bin, erwiderten sie unhöflich, ich solle auf dem anderen Platz mit der ukrainischen Musik tanzen. Hier spiele bulgarische Musik", erzählt Olena.

Sie und ihre Familie werden nicht in Bulgarien bleiben. Sie glaubt, dass alle Ukrainer nach Hause gehen wollten, sobald der Krieg vorbei sei. "Dass jemand hierbleiben würde, daran zweifele ich", sagt sie mit trauriger Stimme. Und dann muss sie wieder an Kostadinow denken: "Ich fürchte, die Bulgaren haben ein dauerhaftes Problem mit solchen Politikern und Parteien. Denn Kostadinow verbreitet Lügen - und alle glauben ihm."

Zahlen die Bulgaren für die Flüchtlinge?

Die Behauptung Kostadinows, dass allein die bulgarischen Steuerzahler und Steuerzahlerinnen die Zeche für die ukrainischen Flüchtlinge zahlten, wird nicht nur von der Tatsache widerlegt, dass Sofia bereits über 100 Millionen Euro von der EU als Flüchtlingshilfe für Menschen aus der Ukraine bekommen hat.

Ukrainische Frauen renovieren das Flüchtlingszentrum in der zentralbulgarischen Stadt PlowdiwBild: Vesselina Bojilova/DW

Julija hat noch ein anderes Argument. "Ich bin Grafik-Designerin und arbeite von zuhause für eine ausländische Firma", sagt sie. "Ich bekomme keine Hilfsleistungen oder sonstige Unterstützung. Viele meiner Landsleute hier in Bulgarien arbeiten auch aus dem Home Office für unterschiedliche Arbeitgeber. Täglich geben wir in Bulgarien Geld aus: für Lebensmittel, für Kleider, für alles, was unsere Kinder brauchen. So helfen wir auch der bulgarischen Wirtschaft. Warum spricht keiner darüber?"

Stattdessen sprechen viele Bulgaren über die angeblich sehr teuren und großen Autos, die die Ukrainer fahren. Das sei sehr unfair, findet Olena. "Wir sollten nicht pauschal als Nation verunglimpft werden", sagt die Ukrainerin empört. "Wenn wir Nazis sind, wie einige Leute hier behaupten, wie kommt es dann, dass wir zur Achtung der menschlichen Werte und Rechte erzogen wurden?" Dann kommt sie wieder auf den Vorfall mit ihrer Tochter zu sprechen: "Was für Nazis sind meine Tochter und ich? Und warum sollten wir nach Ansicht eines 12-jährigen Jungen sterben? Das ist eine sehr gefährliche Sache."