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PolitikEuropa

Ukrainische Biowaffen? Keine Belege für Russlands Vorwürfe

Roman Goncharenko
3. Mai 2022

Seit dem Einmarsch in die Ukraine wirft Russland Kiew vor, Biowaffen zu entwickeln - und zwar im US-Auftrag. Auch Deutschland wird indirekt beschuldigt. Was Experten sagen, die ukrainische Labors von innen kennen.

Virenalarm: Eine Visualisierung zeigt Erreger über einer Stadt
Ein Albtraum: Der Einsatz von Biowaffen in bewohnten GebietenBild: picture alliance

Entwickelt Kiew in geheimen Labors im US-Auftrag Biowaffen? So lautet eine der Behauptungen zur Rechtfertigung des russischen Angriffs auf die Ukraine. Wladimir Putin sprach Ende April über ein "Netzwerk westlicher Biolabors" als eine der Bedrohungen, die Moskau mit seinem Einmarsch bekämpfe. Und das russische Verteidigungsministerium will in der Ukraine Beweise gefunden haben, wonach Kiew "unter direkter Beteiligung des Pentagons an Komponenten für Biowaffen" forsche. Kiew und Washington haben das dementiert.

Biologische Waffen sind laut dem Internationalen Übereinkommen über das Verbot der Entwicklung, Herstellung und Lagerung bakteriologischer (biologischer) Waffen (BWÜ) seit 1975 verboten. Die Grenze zwischen militärischer und ziviler Forschung sei jedoch fließend, so Experten gegenüber der DW. Das mache Propaganda einfach und deren Widerlegung schwierig. Bei den russischen Vorwürfen ging es um Krankheitserreger von zum Beispiel Pest, Milzbrand oder Diphterie.

Kampfstoff-Experte Richard Guthrie: Biowaffen haben auch "einen psychologischen Effekt"Bild: OPCW/henryarvidsson.com

Für Richard Guthrie, britischer Experte für chemische und biologische Waffen, sind solche Vorwürfe im Zusammenhang mit Propaganda nichts Ungewöhnliches. Denn bei biologischen Waffen gehe es vor allem "um einen psychologischen Effekt". Solche Waffen, sagt er, seien nicht in erster Linie dafür gedacht, eine große Zahl von Menschen krank zu machen. Sie sollten vor allem dafür sorgen, dass Menschen bestimmte Gebiete verlassen, weil sie Angst haben, dort zum Beispiel das Wasser zu trinken oder bestimmte Dinge zu essen, weil die verseucht sein könnten. 

Vor dem Schüren solcher Ängste in der Bevölkerung warnen auch mehrere deutsche Biowaffenexperten, die für das Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (ISFH) die russischen Vorwürfe analysiert haben. Sie sprechen von "Falschinformationen". Gunnar Jeremias ist einer von ihnen. "Es gibt in der Ukraine biologische Labore, die von Staaten wie den USA, aber auch Deutschland, unterstützt werden", sagt Jeremias. Was diese Labore machten, sei jedoch kein Geheimnis, sondern "ausgesprochen transparent."   

Was Washington finanziert

"Das sind entweder bewusste Lügen oder bewusste Tatsachenverdrehungen", sagt John Gilbert, früher US-Inspekteur im Bereich ABC-Waffen, der in der ehemaligen Sowjetunion, darunter in der Ukraine, im Einsatz war und heute für die Washingtoner Nichtregierungsorganisation Center for Arms Control and Non-Proliferation tätig ist. Eine Zusammenarbeit gebe es zwar, allerdings im zivilen Bereich. Die US-Regierung arbeite seit den frühen 1990er Jahren mit Biolabors im postsowjetischen Raum im Rahmen des "Kooperativen Bedrohungsreduzierungsprogramms", auch bekannt als Nunn-Lugar-Gesetz, zusammen, so Gilbert. Es ging ursprünglich um die Vernichtung der von der UdSSR geerbten Massenvernichtungswaffen. Eines der Ziele sei es, Krankheitserreger und die Verbreitung von Krankheiten zu erforschen, sagt Gilbert und: "Russland weiß über diese Zusammenarbeit sehr gut Bescheid."

Milzbrand Anthrax Bacillus anthracisBild: Getty Images/Anthrax Vaccine Immunization Program

Seit 2005 sei die Kooperation zwischen Kiew und Washington durch ein neues Abkommen geregelt, sagt  Richard Guthrie. Hintergrund seien die Milzbrand-Anschläge 2001 in den USA sowie die erste SARS-Epidemie 2003. Washington habe danach seine Kooperation mit Biolaboren in diversen Ländern ausgebaut. Sie werde tatsächlich vom US-Verteidigungsministerium finanziert.

Biowaffen vom Bundeswehrinstitut?

Auch Deutschland werfen russische Diplomaten inzwischen vor, ein "eigenes militärisch-biologisches Programm" in der Ukraine zu betreiben. Gemeint ist wohl das 2013 gegründete Deutsche Biosicherheitsprogramm des Auswärtigen Amtes. Das Ziel ist nach dessen Angaben, vor allem Ländern in Afrika, Zentralasien und Osteuropa bei der "Kontrolle von biologischen Sicherheitsrisiken zu helfen", etwa beim "Missbrauch biologischer Erreger" oder bei Pandemien.

Kriegsschäden in Charkiw, April 2022Bild: Alex Chan Tsz Yuk/SOPA/ZUMA/dpa/picture alliance

Im Rahmen des Programms arbeitet seit 2016 das Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr in München mit dem tiermedizinischen Institut in Charkiw zusammen. Das teilte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums auf DW-Anfrage mit. Durch das Bundeswehr-Institut würden Studien zum Vorkommen der Erreger des Milzbrandes, des Mittelmeerfiebers (Brucellose), der Weil-Krankheit (Leptospirose) oder der Afrikanischen Schweinepest durchgeführt. All diese Tierkrankheiten können auch auf den Menschen übertragen werden.

Professor Roman Wölfel leitet das Münchner Bundwehr-Institut. Die russischen Vorwürfe gegen die Ukraine seien aus seiner Sicht völlig "aus der Luft gegriffen". Wölfel war selbst in der Ukraine und kennt das Labor in Charkiw. Dort beschäftige man sich mit Krankheiten von Nutztieren wie Kühen oder Schweinen. Sein Institut sei sowohl in der Beratung als auch in der Forschung tätig. "Wir haben junge Menschen ausgebildet, um moderne Methoden der molekularen Diagnostik anzuwenden", sagt Wölfel. Die Teilnahme von Bundewehrforschern an einem zivilen Projekt erklärte er mit besonderen Techniken, die eine schnelle Reaktion auf Ausbrüche von Krankheiten ermöglichen.

Forschung an "ethnischen Waffen"?

Ein russischer Vorwurf gegen die Ukraine lautet, Kiew würde Washington helfen, sogenannte "ethnische Waffen" zu entwickeln. Also Waffen, die man gezielt gegen bestimmte ethnische Gruppen, etwa Russen einsetzen könne. Das behauptete unter anderem der Kommandeur der russischen ABC-Waffenabwehr, General Igor Kirillow. Die Experten sind sich sicher: Das sei unmöglich, zumindest jetzt.

Russischer General Igor KirillowBild: picture-alliance/dpa/TASS/M. Pochuyev

"Tatsächlich ist es so, dass sich die Menschen sehr viel ähnlicher sind als man sich das allgemein vorstellt, insbesondere die Ethnien", sagt Roman Wölfel. "Es ist völlig unrealistisch, etwas zu entwickeln, was eine bestimmte Bevölkerungsgruppe betrifft und eine andere nicht." Solche Pläne habe es während der Apartheid in Südafrika gegeben, sie seien jedoch nie umgesetzt worden. Gespräche über ethnische Waffen gebe es seit den 1970er Jahren, sagt der britische Experte Richard Guthrie. Die Menschheit sei derzeit davon aber "sehr weit entfernt".

Einladung ausländischer Experten?  

Guthrie glaubt, dass Russland das Thema Biolabore in der Ukraine als Propaganda benutzt und zwar "ziemlich effektiv": Er verweist darauf, dass Russland zwar eine Frage danach vor dem UN-Sicherheitsrat stellte, auf eine formelle Beschwerde nach Artikel 6 des BWÜ jedoch verzichtete.

Vor nicht langer Zeit erhob Russland ähnliche Vorwürfe gegen Georgien. Die US-Regierung finanziert dort das Lugar-Forschungslabor in Tiflis. Die Georgische Regierung lud 2018 internationale Experten ein, sich das Labor anzusehen, auch Experten aus Russland. Doch Moskau verzichtete. Nach dem Besuch hieß es in einem Gutachten, das Labor entspreche dem Übereinkommen über das Verbot biologischer Waffen. Auch die Ukraine könnte diesen Weg gehen, empfehlen Experten. Doch während des Krieges dürfte das schwer umzusetzen sein.