1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikEuropa

"Nie wieder in die ehemalige Sowjetunion!"

Sabina Fati das
6. März 2022

Hauptsache weg. Auch nach Rumänien fliehen tausende Menschen aus der Ukraine vor dem Krieg. Die meisten kommen mit dem Auto und reisen weiter gen Westen. Eine Reportage aus dem Grenzort Giurgiulesti.

Die Bibliothekarin aus Kilia und ihre zwei Kinder sind erleichtert, dass sie es nach Rumänien geschafft haben
Die Bibliothekarin aus Kilia und ihre zwei Kinder sind erleichtert, dass sie es nach Rumänien geschafft haben Bild: Sabina Fati/DW

Sie überließen den Nachbarn ihre Hühner, Ziegen und Hunde. Die beiden Rentner Ludmila und Vasile haben es ins Dreiländereck geschafft, wo Rumänien, die Republik Moldau und die Ukraine aufeinandertreffen.

Das Ehepaar kommt aus einem Dorf in der Nähe der ukrainischen Stadt Tatarbunari, etwa auf halber Strecke zwischen Odessa und der rumänischen Hafenstadt Galati. Ihre wichtigsten Habseligkeiten packten sie in einen kleinen roten Koffer, der nur knapp zehn Kilo wiegt.

Anderthalb Stunden schleppten sich die beiden Senioren zu Fuß vom ukrainischen Grenzposten bis zum moldauisch-rumänischen Ort Giurgiulesti im Dreiländereck. Ihre Gesichter sind vor Kälte gerötet, draußen sind es nur zwei Grad Celsius, ein starker Wind weht. Sie frieren ständig. Der lange Fußweg hat sie erschöpft, aber nicht aufgewärmt.   

               

Ludmila ist traurig und angespannt. Ihr Mann und sie waren die ganze Nacht unterwegs, aber vom Grenzkontrollpunkt bis nach Giurgiulesti wollen sie trotzdem nicht mit dem Bus fahren.

"Es wäre noch schmerzhafter gewesen, im Bus so viele einsame Mütter mit ihren Babys zu sehen", sagt Ludmila im Gespräch mit der DW. Ihr Ehemann Vasile fügt hinzu: "Ich kann es seelisch nicht mehr ertragen, diese armen Kinder weinen zu hören, von denen man nicht weiß, wann sie jemals wieder ein Zuhause haben werden."

Bevor sie geflüchtet sind, hatten sie in den Nachrichten gehört, zwischen zwei Uhr nachts und fünf Uhr morgens müsse man mit Bomben rechnen. "Wann soll man noch schlafen, wie soll man so leben?" fragt Ludmila.

Tabuthema Russland 

Das Ehepaar will nicht über Russland, die Politik und den Krieg sprechen. Sie scheinen immer noch Angst zu haben, jemandem für ihre dramatische Lage die Schuld zu geben.

Freiwillige Helfer unterstützen die Flüchtlinge, die in Giurgiulesti ankommen Bild: Sabina Fati/DW

Eigentlich hatten sich die beiden auf einen ruhigen Lebensabend gefreut. "Nach Jahrzehnten harter Arbeit wollten wir noch ein paar schöne Jahre genießen, stattdessen müssen wir jetzt vor einem Krieg fliehen", sagt Vasile.  Sie seien ihr ganzes Berufsleben lang Arbeiter gewesen.

Eine rumänische Grenzpolizistin ruft von ihrem eigenen Handy aus Ludmilas Cousin an, der das Rentnerpaar in Giurgiulesti abholen will. Bis sie weiterfahren, warten die beiden in einem großen Raum, in dem rumänische Freiwillige ihnen heißen Tee und Kaffee anbieten.

Doch Ludmila und Vasile wollen nichts trinken oder essen. Sie wollen nur so weit weg wie möglich von der Grenze zur Ukraine. Wohin die Reise geht? Sehr zögerlich erzählen sie nach einem längeren Gespräch, dass sie zwei erwachsene Kinder haben, die seit längerer Zeit in Österreich leben. Sie hoffen, es bis dorthin zu schaffen.

Im Luxuswagen nach Westen 

Tausende Flüchtlinge aus der Ukraine passieren die Grenze täglich in Giurgiulesti, die meisten im eigenen Auto. Nach Angaben der lokalen Behörden reisen etwa 75 Prozent von ihnen weiter, in Richtung der westlichen Grenze des EU-Staates Rumänien. Am Samstag meldete das rumänische Innenministerium, dass fast 2400 ukrainische Flüchtlinge einen Asylantrag in Rumänien gestellt haben.

Im Grenzgebiet der drei Länder sind auffällig viele teure Autos zu sehen. Die meisten gehören wohlhabenden Flüchtlingen aus der Region um Odessa. Ein weißer Audi Q7 beschleunigt energisch, nachdem der Fahrer und seine Partnerin den rumänischen Grenzbeamten ihre Papiere gezeigt haben.

Ukraine: Auf der Flucht in die EU

01:59

This browser does not support the video element.

Flüchtlingshelferin Mariana, die seit drei Stunden in der Kälte steht und kostenlose Telefonkarten anbietet, murmelt verärgert: "So viele Flüchtlinge frieren jämmerlich und haben keine Transportmöglichkeit, und die da sind nur zu zweit in so einem riesigen Auto."

Mariana ist Ukrainerin und lebt seit 15 Jahren in Rumänien. Seit der Krieg begonnen hat, engagiert sich die Hausfrau als Freiwillige für die Flüchtlinge und hilft auch beim Übersetzen. Glücklicherweise waren ihre Eltern genau einen Tag vor Kriegsbeginn aus der Ukraine zu Besuch zu ihr nach Rumänien gekommen.

"Ich werde jede Arbeit annehmen"

In dem großen Raum, in dem die Neuankömmlinge versorgt werden, sind zuweilen mehr rumänische Freiwillige als Flüchtlinge zu sehen. Auf der rumänischen Seite ist alles gut organisiert, es geht schnell voran. Wer allerdings in diesem Dreiländereck in Richtung Rumänien reist, kommt am moldauischen Grenzkontrollpunkt nicht vorbei - dort sind meistens die längsten Staus. Sowohl in Rumänien als auch in der Republik Moldau ist die Solidarität mit den Flüchtlingen aus der Ukraine groß: Etliche Freiwillige unterstützen sie und auch die staatlichen Behörden bieten kostenlosen Transport und Notunterkünfte an. In Giurgiulesti sind viele Busse mit moldauischen Nummernschildern zu sehen, die Flüchtlinge in die größere rumänische Stadt Galati bringen. 

Auch eine Bibliothekarin aus dem ukrainischen Ort Kilia und ihre Freundin sind in Giurgiulesti angekommen, jede mit zwei Kindern. Es ist schon ihre zweite Flucht, erzählt sie der DW-Reporterin. Ihr Zuhause auf der Krim musste sie 2014 zurücklassen, nachdem Russland die Halbinsel annektierte.

Sie will nie wieder von den Russen hören, nie wieder zurückkehren. In Kilia schloss sie die Tür zu der Eigentumswohnung ab, die sie gerade gekauft hatte - und drehte sich nicht mehr um.

Die 46-Jährige ist geschieden und muss sich schon seit langer Zeit als alleinerziehende Mutter von zwei Kindern durchschlagen. "Ich werde jede Arbeit annehmen", sagt sie im Gespräch mit der DW.

Der Neubeginn in einem fremden Land wird nicht leicht sein - vor allem, wenn man eine neue Sprache lernen muss. Die Mutter sagt, sie werde alles tun, um ihren Kindern später ein Studium und eine bessere Zukunft zu ermöglichen, "damit sie niemals in die ehemalige Sowjetunion zurückkehren müssen". Dort sei sie nie glücklich gewesen, nicht einmal in der frühen Jugend. 

Im Grenzort Giurgiulesti fühle sie sich schon viel besser, weil keine Sirenen zu hören sind. Wie es für sie und ihre Kinder weitergeht, ist noch völlig unklar. Einer ihrer größten Wünsche gilt dem Politiker, dessentwegen sie zwei Mal ihr Zuhause zurücklassen musste: "Ich möchte, dass Putin ins Gefängnis kommt."

Der Text wurde aus dem Rumänischen von Dana Alexandra Scherle adaptiert.