1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Ukraine warnt vor russischer Invasion

18. November 2021

Nutzt Russland die Migrationskrise an der Grenze zwischen Belarus und Polen, um von Truppenkonzentrationen an der Grenze zur Ostukraine abzulenken? Diesen Verdacht äußert der ukrainische Botschafter in Berlin.

Deutschland l Dr Andrij Melnyk Botschafter der Ukraine
Eine rhetorische Breitseite gegen Moskau: Botschafter Andrij MelnykBild: Thomas Trutschel/photothek/imago images

Angesichts der verdächtigen russischen Truppenbewegungen an der Grenze zur Ukraine hat der ukrainische Botschafter in Berlin vor dem wachsenden Risiko einer Invasion gewarnt. "Noch nie seit 2014, als die Russen die Krim und Teile der Ostukraine mit Waffengewalt besetzt haben, war die Gefahr eines neuen, groß angelegten Einmarsches akuter als dieser Tage", sagte Andrij Melnyk den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Auch die Bundesregierung sollte "diese Bedrohung viel ernster nehmen", mahnte er.

Die ukrainischen und westlichen Nachrichtendienste hätten seit Tagen eine massive Verstärkung der russischen Truppenkonzentration beobachtet, erklärte Melnyk. Er sprach von 114.000 russischen Soldaten, die "vor der Ostgrenze der Ukraine und im besetzten Donbass" stünden. Auf der annektierten Halbinsel Krim seien "rund 32.000 Kräfte stationiert, auch in Belarus sind es wohl mehrere Tausend", sagte er weiter.

Dieses Satellitenfoto vom 1. November zeigt eine massive Konzentration von Panzern und Truppentransportern in der russischen Region SmolenskBild: Maxar Technologies/AFP

Der ukrainische Botschafter nannte es beunruhigend, dass das russische Militär nach den letzten großen Manövern im April und im Herbst schwere Waffen in der Region zurückgelassen habe. "Es befinden sich zum Beispiel Artillerie, Panzer, Raketensysteme und Mehrfachraketenwerfer zum großen Teil entlang der Ostgrenze." Darüber hinaus könnten "zusätzliche Truppen innerhalb weniger Tage für einen Angriff zurückbeordert werden". "Bei uns herrscht Alarmstufe dreimal Rot", betonte Melnyk.

Drahtzieher Russland?

Nach Ansicht des ukrainischen Diplomaten steht Russland hinter der aktuellen Flüchtlingskrise an der belarussischen Grenze zur EU. "Die inszenierte Migrantenkrise an der Grenze zu Polen ist auch eine Nebelkerze, um die Militäraktivitäten Russlands vor der Ostgrenze der Ukraine und im Donbass zu verschleiern", unterstrich Melnyk. "Es ist ein großes Ablenkungsmanöver."

Wladimir Putin bei einer militärischen Zeremonie beim Tag der Einheit am 4. November auf der KrimBild: Mikhail Metzel/AP/picture alliance

Melnyk appellierte im Namen seiner Regierung an die Spitzen der Ampel-Parteien in Berlin, "harte Signale" an den russischen Präsidenten Wladimir Putin zu senden, um klar zu machen, "dass er mit seiner Destabilisierungstaktik und seinen Erpressungsversuchen - seien es Gaslieferungen, Migranten oder Truppenverlegungen - keinen Erfolg hat". Der geplante Koalitionsvertrag in Berlin müsse "viel schärfere Sanktionsforderungen" wie etwa ein Embargo von russischen Öl- und Gasimporten beinhalten, forderte der ukrainische Botschafter. Auch die umstrittene Ostseepipeline Nord Stream 2 "als Hauptwaffe des Kreml" sollte "für immer gestoppt" werden. "Das würde Putin zum Nachdenken bringen."

Appell an die Ampel-Parteien

Auch mit Blick auf eine mögliche Mitgliedschaft seines Landes in EU und NATO setzt Melnyk auf die voraussichtliche neue Regierungskoalition in Berlin. "Die Ampelregierung sollte einen EU- und NATO-Beitritt der Ukraine sehr klar im Koalitionsabkommen in Aussicht stellen."

Im März hatte Russland bei einem massiven Truppenaufmarsch tausende Soldaten, schwere Militärausrüstung, Marineschiffe und Luftwaffenflugzeuge nahe der ukrainischen Grenze und in der Region der annektierten Krim-Halbinsel zusammengezogen. Nach Wochen erklärte Moskau das angebliche Manöver schließlich für beendet und zog seine Soldaten wieder ab. Mittlerweile gibt es aber wieder starke Truppenbewegungen an der Grenze zur Ukraine.

Stoltenberg warnt

Zuvor hatte die NATO Moskau vor militärischen Übergriffen an der Grenze zur Ukraine gewarnt. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg rief Russland am Montag auf, "alle weiteren Provokationen oder aggressiven Handlungen" zu unterlassen. "Die NATO steht an der Seite der Ukraine", betonte Stoltenberg. Er sprach bei einem Treffen mit dem ukrainischen Außenminister Dmitri Kuleba in Brüssel von "großen und ungewöhnlichen" russischen Truppenaufmärschen an der ukrainischen Grenze. Auch die Regierungen in Berlin und Paris zeigten sich höchst besorgt. Im Gegenzug nannte der russische Präsident Wladimir Putin US- und NATO-Militärübungen im Schwarzen Meer "provokativ".

Am Mittwoch warnte der britische Premierminister Boris Johnson Russland vor "militärischem Abenteurertum". "Wir müssen sicherstellen, dass jeder versteht, dass die Kosten einer Fehlkalkulation an den Grenzen der Ukraine und Polens enorm wären", sagte Johnson. "Ich denke, es wäre ein tragischer, tragischer Fehler, wenn der Kreml glauben würde, dass er durch militärisches Abenteurertum etwas gewinnen könnte."

Premierminister Boris Johnson will kein "militärisches Abenteurertum" erlebenBild: Jon Super/AP Photo/picture alliance

Britische Rüstungsgüter für Kiew

Mit einem Besuch von Verteidigungsminister Ben Wallace in Kiew sowie zugesagten Rüstungshilfen hatte Großbritannien bereits am Dienstag seine Unterstützung für die Ukraine demonstriert. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj begrüßte einen Rahmenvertrag, durch den mit britischen Geldern die Marine aufgerüstet werden soll. "Das Vereinigte Königreich ist unser Schlüsselpartner beim Aufbau der ukrainischen Marine geworden", sagte Selenskyj. Geplant ist der Kauf von Raketen, der Bau von Kriegsschiffen sowie die Anlage eines Marine-Stützpunkts am Asowschen Meer.

Die ukrainische Armee kämpft seit der Annexion der Krim durch Russland im Jahr 2014 gegen pro-russische Separatisten im Osten des Landes. Der Westen wirft Russland vor, die Separatisten zu unterstützen. Die Führung in Moskau bestreitet das.

kle/mak (afp, rtr, dpa)