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Politik

Präsident Selenskyj schließt territoriale Zugeständnisse aus

22. Februar 2022

Nach dem Vorpreschen Russlands in den Separatisten-Gebieten erwartet der ukrainische Präsident Selenskyj "wirksame" Hilfe vom Westen. An der Diplomatie will er festhalten. In New York tagte der UN-Sicherheitsrat.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij spricht zu seinem Volk
Der ukrainische Präsident Selenskyj setzt jetzt auf die geschlossene Unterstützung des Westens Bild: Офіс Президента України/Youtube

Nach der Anerkennung der Separatisten-Gebiete in der Ostukraine durch Russland schließt der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj jegliche territoriale Zugeständnisse aus. "Die internationalen Grenzen der Ukraine bleiben ungeachtet russischer Äußerungen bestehen. Wir werden niemandem etwas schenken", sagte Selenskyj am frühen Dienstagmorgen in einer Ansprache an die Nation.

Wer ist ein wirklicher Freund?

Er prangerte eine Verletzung der Souveränität seines Landes durch Moskau an. Die Ukraine erwarte eine "deutliche" und "wirksame" Unterstützung vom Westen, sagte Selenskyj weiter. Jetzt werde sich zeigen, wer ein "wirklicher Freund und Partner" sei - und wer Russland weiterhin nur mit Worten ängstigen wolle.

Kiew habe nur einen Traum: "Frieden in der Ukraine." Der 44-Jährige betonte, man bleibe dem diplomatischen Weg treu und werde nur auf diesem weitergehen. Er habe einen Notgipfel im Normandie-Format einberufen. Die Ukraine verpflichte sich weiter zu Frieden und Diplomatie. Mit Blick auf die militärischen Absichtserklärungen Russlands fügte Selenskyj hinzu: "Wir haben keine Angst vor nichts und niemandem."

In Donezk, Ostukraine, feiern Russland-Anhänger am Montagabend die Anerkennung der Separatisten-Region durch Präsident PutinBild: Alexei Alexandrov/AP Photo/picture alliance

Russlands Präsident Wladimir Putin hatte zuvor die Entsendung russischer Truppen in die Ostukraine angeordnet. Die Armee solle in den Separatisten-Regionen für die Aufrechterhaltung des "Friedens" sorgen, heißt es in einem Dekret an das Verteidigungsministerium. Davor hatte er die Unabhängigkeit der pro-russischen, selbsternannten "Volksrepubliken" Donezk und Luhansk anerkannt.

Die Minsker Vereinbarungen für einen Frieden in der Ostukraine erklärte Putin für gescheitert. In den von ihm unterzeichneten Abkommen mit den pro-russischen Milizen in den beiden "Volksrepubliken" wurde auch eine gemeinsame Nutzung von Militärstützpunkten und die gemeinsame Verteidigung der Grenzen vereinbart. 

Separatisten-Gebiete besiegeln engere Zusammenarbeit mit Russland

Von der Ukraine forderte Putin die "sofortige" Einstellung aller militärischen Aktivitäten im Osten des Landes. Andernfalls werde Kiew "die gesamte Verantwortung für die mögliche Fortdauer des Blutvergießens" tragen. Er warf Kiew erneut vor, in der Ostukraine einen "Genozid" an der russischen Bevölkerung zu begehen und in den Besitz von Atomwaffen gelangen zu wollen.

Keine 24 Stunden nach der Anerkennung ihrer Unabhängigkeit durch Moskau besiegelten die selbsternannten "Volksrepubliken" eine engere Zusammenarbeit mit Russland. Die Parlamente der Gebiete Donezk und Luhansk stimmten in getrennten Sitzungen einem Vertrag über "Freundschaft und Beistand" zu. Fernsehbilder zeigten die Separatistenvertreter nach der Entscheidung mit stehenden Ovationen ihrer Anhänger.

Russlands Präsident Putin unterzeichnet Dekrete zu den pro-russischen Regionen in der Ostukraine Bild: Alexey Nikolsky/Kremlin/SPUTNIK/REUTERS

Militärfahrzeuge und Panzer in Donezk

In der Nacht zuvor hatte ein Reporter der Nachrichtenagentur Reuters bereits berichtet, er habe in Donezk, der Hauptstadt einer der beiden abtrünnigen Regionen in der Ostukraine, Kolonnen von Militärfahrzeugen gesehen. Es seien auch mindestens sieben Panzer in der Stadt, die keine Insignien tragen würden.

Die USA reagieren noch abwartend. "Wir werden beobachten und bewerten, was Russland in den kommenden Stunden tut", sagte ein Regierungsvertreter in Washington. Russische Soldaten befänden sich schon seit Jahren verdeckt in der umkämpften ostukrainischen Donbass-Region, auch wenn Moskau dies bestreite. "Wenn russische Soldaten in den Donbass einmarschieren, wäre das kein neuer Schritt. Russland hatte in den vergangenen acht Jahren Kräfte in der Donbass-Region." Es sei möglich, dass diese Soldaten nun "offener" auftreten würden.

UN-Sicherheitsrat berät Verhalten Russlands 

Mit der Eskalation in dem Konflikt befasste sich in der Nacht auf Dienstag auch der UN-Sicherheitsrat in New York. Deutschland nahm mit UN-Botschafterin Antje Leendertse an der Sondersitzung teil. Leendertse erklärte, man werde zusammen mit den Verbündeten entschiedene und angemessene Maßnahmen ergreifen, um auf den Verstoß Russlands gegen das Völkerrecht zu reagieren.

Die amerikanische UN-Botschafterin Linda Thomas-Greenfield bezeichnete den Entsendungsbefehl russischer Truppen in den umkämpften Osten der Ukraine als ersten Schritt zum vollständigen Einmarsch. "Sie nennen sie Friedenstruppen", sagte Thomas-Greenfield an Russland gerichtet. "Das ist völliger Unsinn." Putin habe das Minsker Abkommen mit seiner Anerkennung der Regionen Luhansk und Donezk "in Stücke gerissen". Er träume von einem russischen Großreich, sagte sie in New York.

Die meisten Mitglieder des Sicherheitsrats, darunter Frankreich, Norwegen, Irland, Kenia, Ghana und die Vereinigten Arabischen Emirate, kritisierten Russlands Vorgehen. Die britische UN-Diplomatin Barbara Woodward wies auf das große Leid unter der Zivilbevölkerung hin, falls russische Truppen in die Ostukraine einmarschieren sollten. Sie rief die russische Führung zur Deeskalation auf. 

Russlands Botschafter bei den UN, Wassili Nebensia, betonte, dass sein Land für eine diplomatische Lösung offen bleibe. Moskau werde "kein neues Blutbad" im Donbass zulassen. Er bezog sich damit auf angebliche Angriffe durch ukrainische Regierungstruppen. Nebensia warnte die westlichen Staaten, die Situation in der Ukraine nicht zu verschlimmern. 

Russlands engster Partner im Sicherheitsrat, China, verurteilte Russlands Schritte hingegen nicht explizit, sondern rief alle Konfliktparteien zur "Zurückhaltung" auf. Alle Seiten müssten Handlungen vermeiden, "die Spannungen anheizen", sagte UN-Botschafter Zhang Jun. Sein Land würde "alle Bemühungen um eine diplomatische Lösung begrüßen und ermutigen".

Am Ende des fast zweistündigen angespannten Treffens sagte der ukrainische Vertreter Kyslyzja enttäuscht, dass die UN "krank" und von einem "vom Kreml verbreiteten Virus befallen" seien.

Biden verhängt erste Sanktionen

Der Westen verurteilt die Anerkennung der "Volksrepubliken" durch Putin einhellig. Die USA, Frankreich und Deutschland kündigten eine abgestimmte Reaktion an. Dessen ungeachtet verhängt US-Präsident Joe Biden bereits erste Sanktionen, wie seine Sprecherin Jen Psaki mitteilte. So würden Geschäfte in oder mit den beiden von Russland anerkannten Separatisten-Regionen in der Ostukraine verboten.

Biden, Bundeskanzler Olaf Scholz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sind sich darin einig, dass das einseitige Vorpreschen des Kremls "ein klarer Bruch des Minsker Abkommens ist", wie der Sprecher der Bundesregierung, Steffen Hebestreit, deutlich machte.

Die von der Europäischen Union angekündigten Strafmaßnahmen gegen Russland sollen an diesem Dienstag auf den Weg gebracht werden. Wie die derzeitige französische EU-Ratspräsidentschaft ankündigte, wird es dazu am Vormittag ein Treffen der ständigen Vertreter der EU-Staaten in Brüssel geben.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat ein ganzes Bündel von Sanktionen gegen Russland im Blick Bild: Julien Warnand/EPA/dpa/picture alliance

Was für Sanktionen genau verhängt werden, ist bislang offen. Als wahrscheinlich gilt allerdings, dass vor allem Personen ins Visier genommen werden. Darauf deutet eine Erklärung von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel hin. In ihr heißt es: "Die Union wird Sanktionen gegen diejenigen verhängen, die an dieser rechtswidrigen Handlung beteiligt sind."

se/rb (dpa, rtr, afp, ap)

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