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PolitikPolen

Ukrainisches Getreide: EU-Osten blockiert den Import

19. September 2023

Polen, die Slowakei und Ungarn sind gegen die Aufhebung der EU-Handelsbeschränkungen für ukrainisches Getreide. Das Motiv: Innenpolitik.

Ein Mähdrescher erntet Getreide auf einem Feld in der Region Odessa im Süden der Ukraine
Wie geht es weiter für den Import von Getreide aus der Ukraine?Bild: Ukrinform/dpa/picture alliance

Die östlichen EU-Mitglieder waren - mit Ausnahme Ungarns - in der Union bislang die konsequentesten Unterstützer der von Russland überfallenen Ukraine. Doch nun bröckelt die Solidarität. Mehr noch: Es gibt schwere Verstimmungen zwischen der Ukraine und einigen mittelosteuropäischen Staaten.

Der Grund: Die EU hat die zeitweiligen Handelsbeschränkungen für ukrainisches Getreide und Ölsaaten Ende vergangener Woche (15.09.2023) aufgehoben. Dagegen sperren sich Polen, die Slowakei und Ungarn. Sie wollen die Einfuhrbeschränkungen beibehalten - obwohl sie damit gegen EU-Recht verstoßen würden. Die Ukraine will die drei Staaten deshalb verklagen.

Die Ukraine zählt zu den größten Getreide- und Ölsaaten-Produzenten weltweit. Die Exporte gingen bisher überwiegend in Regionen außerhalb der EU. Durch Russlands Blockade des Schwarzen Meeres ist die Ukraine jedoch von der traditionellen Exportroute abgeschnitten und auf andere Wege angewiesen, etwa auf den Landweg über ihre Nachbarn im Westen: Polen, die Slowakei, Ungarn und Rumänien.

Beim Transit von Getreidetransporten gab es vor allem in Polen immer wieder Probleme: Ein Teil der Ware kam auf den polnischen Markt, drückte die Preise oder blockierte Lagerkapazitäten, statt außer Landes geschafft zu werden. Nach Protesten von Bauern beschlossen Polen und Ungarn Mitte April 2023 einen Einfuhrstopp für ukrainische Getreidetransporte - und erzwangen von der EU einen zeitweiliges Importverbot für das gesamte Unionsgebiet. Das galt bis zum 15.09.2023 - und ist nun aufgehoben. Ausdrücklich will die EU damit ein Zeichen der Solidarität gegenüber der Ukraine setzen. Doch im Osten der Union hat das Thema längst einen anderen Stellenwert: Es ist zu einer Frage der Innenpolitik und von Machtkämpfen mit Brüssel geworden.

Polen: Es geht um den Machterhalt

In Polen geht es für die Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) um den Machterhalt. Am 15. Oktober wird ein neues Parlament gewählt - viele Beobachter sehen das als Schicksalswahl. Die Landwirte spielten bei den früheren, für die PiS erfolgreichen Wahlen 2015 und 2019 eine wichtige Rolle. Die Partei von Jaroslaw Kaczynski erlebte in diesem Frühjahr einen Schock, als wütende Bauern landesweit auf die Straßen gingen, um gegen die Agrarpolitik der Regierung und gegen die ukrainischen Getreidetransporte zu protestieren. Unter dem Druck der Proteste entließ Regierungschef Mateusz Morawiecki den Landwirtschaftsminister und bewegte die Kommission zur Verhängung des Embargos, das vergangene Woche auslief.

Protest polnischer Bauern: In Polen wird demnächst gewähltBild: Marcin Bielecki/PAP/picture alliance

Angesichts der bevorstehenden Parlamentswahl will Morawiecki nun keine erneuten Proteste riskieren und damit die Wahlchancen der PiS schmälern.  Deshalb die schnelle Entscheidung über den eigenständigen Einfuhrstopp Polens. Für das Regierungslager in Polen gilt, was Kaczynski in der vergangenen Woche sagte: "Wir wollen die Ukraine im Krieg und beim Aufbau unterstützen, aber gleichzeitig müssen wir an unsere Staatsbürger, an unsere Landwirtschaft, an unsere Dörfer denken. Unsere ukrainischen Freunde sollten das verstehen." Eine Tür zum Kompromiss bleibt dennoch offen. Das polnische Embargo gilt nicht für einen Transit von Getreide.

Slowakei: Rückkehr der Rechtsnationalisten?

Auch in der Slowakei steht der Getreide-Streit im Zeichen einer Wahl - der vorgezogenen Parlamentswahl am 30.09.2023, die ebenfalls über die weitere Ausrichtung des Landes entscheiden wird. Nach dreieinhalb Jahren Amtszeit einer prowestlich ausgerichteten Reformkoalition, die überwiegend einen chaotischen Regierungsstil zeigte, könnte nun der Ex-Premier Robert Fico an die Macht zurückkehren. Er ist nominell Sozialdemokrat und in der Praxis Rechtsnationalist, der Ungarns Premier Viktor Orban nahesteht. Fico fällt immer wieder mit antiukrainischen und prorussischen Botschaften auf und verspricht, die bisherige slowakische militärische Unterstützung der Ukraine komplett einzustellen.

Prorussisch, antiukrainisch: Der slowakische Ex-Premier Robert FicoBild: Mateusz Wlodarczyk/NurPhoto/picture alliance

In diesem Kontext dürfte auch die Entscheidung der amtierenden slowakischen Regierung gefallen sein, die Einfuhrbeschränkungen für ukrainisches Getreide beizubehalten. Zwar ist die Regierung unter Premier Ludovit Odor nur ein Interims-Kabinett mit wenigen Kompetenzen. Allerdings will das prowestliche Lager in der Slowakei offenbar nicht noch mehr Wähler in Ficos Arme treiben, indem ukrainische Getreideimporte uneingeschränkt zugelassen werden.

Ungarn: Ausbruch aus der Isolation

In Ungarn hatte der Premier Viktor Orban einen "ernsthaften Kampf" der östlichen EU-Mitglieder mit Brüssel angekündigt, bevor die EU überhaupt entschieden hatte, die Einfuhrbeschränkungen für ukrainisches Getreide aufzuheben. Er warf der EU vor, sie vertrete keine europäischen, sondern "amerikanische Interessen, weil das, was wir als ukrainisches Getreide bezeichnen, natürlich kein ukrainisches Getreide ist, das ist ein aus einem schon seit langem vermutlich in amerikanischem Besitz befindlichen Gebiet stammendes Handelsprodukt".

Während Orban mit solchen kruden Aussagen vor allem seine einheimischen Anhänger ansprechen will, dürfte hinter der Entscheidung Ungarns, den Einfuhrstopp für ukrainisches Getreide aufrechtzuerhalten, auch der Versuch stecken, seine früheren Partner wieder für eine Allianz gegen Brüssel zu gewinnen. Neben Tschechien und der Slowakei hatte sich Orban wegen seiner Putin-freundlichen und antiukrainischen Haltung in den vergangenen anderthalb Jahren auch mit Polen überworfen und ist außenpolitisch in der Region weitgehend isoliert.

Rumäniens "Jein"

Anders als die drei mittelosteuropäischen Nachbarstaaten der Ukraine nimmt Rumänien in der Getreide-Frage eine "Jein"-Haltung ein. Es will das Einfuhrverbot für ukrainisches Getreide verlängern, allerdings vorerst nur um 30 Tage. Am Montag (18.09.2023) erklärte der rumänische Premierminister Marcel Ciolacu, sein Land habe der Ukraine eine Frist gesetzt, um ein Konzept vorzulegen, durch das die rumänischen Landwirte vor unkontrollierten Getreide-Exporten aus dem Nachbarland geschützt würden. Abhängig von einem ukrainischen Aktionsplan will die rumänische Regierung über geeignete Maßnahmen zum Schutz der rumänischen Landwirte entscheiden.

Der Hafen von Konstantza ist zur Drehscheibe für ukrainisches Getreide gewordenBild: Jack Parrock/DW

In Rumänien stehen erst Ende kommenden Jahres Parlaments- und Präsidentschaftswahlen an - noch ist das Thema Ukraine nicht so aktuell wie in Polen oder der Slowakei. Allerdings gewinnt in Rumänien die rechtsextrem-nationalistische Partei AUR an Zulauf, die prorussische Positionen vertritt und zu deren Programm auch gehört, alle Rumänen in einem Staat zu vereinen, darunter auch diejenigen in der Nordbukowina, die zur Ukraine gehört.

Bulgarien: Zerreißprobe

In Bulgarien schließlich könnte sich die Frage des ukrainischen Getreides zu einer schweren innenpolitischen Zerreißprobe entwickeln. Als einziges östliches EU-Land hatte Bulgarien Importbeschränkungen Ende vergangener Woche wieder aufgehoben. Gegen die Entscheidung der proeuropäischen Koalitionsmehrheit demonstrieren bulgarische Landwirte nun landesweit. Angeheizt werden die Proteste von einer prorussischen Gerüchte- und Desinformationskampagne in sozialen Medien, derzufolge ukrainische Lebensmittel angeblich verseucht und gesundheitsschädlich seien. Bulgarien hat gerade die fünfte Parlamentswahl innerhab von zwei Jahren hinter sich - und erstmals seit langem eine stabile Regierungsmehrheit. Ob die Proteste sie gefährden, bleibt abzuwarten.

Bulgarische Bauern sind gegen die Aufhebung des EinfuhrverbotsBild: Borislav Troshev/AA/picture alliance

Abwartend reagiert erst einmal auch die EU-Kommission in Brüssel. Zwar sei sie allein für Handelspolitik und Importverbote zuständig und nicht die einzelnen Staaten, trotzdem wolle sie erst einmal prüfen, was Polen, Ungarn, die Slowakei und Rumänien nun tatsächlich praktisch machen, sagt die Sprecherin der Kommission, Miriam Garcia Ferrer. "Die EU-Kommission sieht keine Notwendigkeit für Importverbote, weil es keine Störung der Märkte mehr gibt", so Garcia Ferrer. In einem Monat will die Kommission erneut Bilanz ziehen. Danach könnte sie rechtliche Schritte gegen Polen, die Slowakei, Ungarn und gegebenenfalls Rumänien einleiten. Das wäre nach der wichtigen Wahl in Polen - für die die EU-Kommission keine zusätzliche Wahlkampf-Munition liefern will.

Ukraine – der Krieg und der Weizen

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Jacek Lepiarz Journalist in der polnischen Redaktion mit Schwerpunkt auf deutsch-polnischen Themen.
Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
Keno Verseck Redakteur, Autor, Reporter