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Politik

"Ultimative Abstimmung" in Italien

3. Dezember 2016

Auf dem Wahlzettel steht eine komplexe Staatsreform, doch die Italiener stimmen am Sonntag über alles Mögliche ab: Premier Renzi, die EU, Kanzlerin Merkel und vieles mehr. Ausgang offen. Bernd Riegert aus Rom.

Italien Premierminister Matteo Renzi und die 'Ja' Kampagne in Florenz
"Es geht um Wohl und Wehe Italiens": Ministerpräsident RenziBild: picture-alliance/abaca/C. Bressan

Die Zeitungen am Zeitungskiosk quellen über. Die Fernsehkanäle kennen nur noch ein Thema. Das Referendum zur Verfassungsänderung am Sonntag wird zur Schicksalswahl erklärt. "Die ultimative Abstimmung!", schrieb ein Blatt. Ein bisschen ist die Abstimmung wie eine Lotterie. Niemand weiß am Ende, was genau die Folgen sein werden und um was es genau geht. Ministerpräsident Matteo Renzi selbst hat in einem 45 Minuten langen Monolog via Facebook behauptet, es gehe hier nicht um ihn, sondern um das Wohl und Wehe Italiens. Sein ärgster Widersacher, der Anführer der linkspopulistischen Fünf-Sterne-Bewegung, Beppe Grillo, lacht über die angebliche Schicksal-Wahl. "Es wird keine Katastrophe geben, wenn ihr Nein sagt", schreibt er in seinem Blog. Grillo verspricht seinen Anhängern ein weiteres Referendum über die Abschaffung des Euro.

Der Hund sagt Nein für die 5-Sterne-Populisten, viele Werbetafeln bleiben leer und rostenBild: DW/B. Riegert

Seit zwei Wochen dürfen keine Umfragen mehr veröffentlicht werden. Die letzte sah das Nein-Lager bei 53 Prozent. Den Zahlen traut niemand so recht. Die Töne im Wahlkampf, der sich hauptsächlich im Fernsehen und im Netz abspielt, wurden schriller. Beppe Grillo, früherer Komiker, wirft Renzi und den übrigen Parteien "politischen Serienmord" vor. Die etablierten Parteien mokieren sich über die angeblich unfähige "Fünf-Sterne"-Bürgermeisterin von Rom und Wahlfälschung, die den "Grillini"  bei den letzten Kommunalwahlen vorgeworfen wird.

 

"Das ist alles überflüssig"

Marco Solazzo: Wir haben andere ProblemeBild: DW/Bernd Riegert

Marco Solazzo arbeitet als Zahnarzt in Rom. Ihn lässt das Wahlkampfgetöse kalt. In den letzten 20 Jahren habe sich nur wenig verändert. Ministerpräsident Matteo Renzi sei auch nicht besser oder anders als seine vielen Vorgänger. Das Referendum zur Verfassungsreform, die die Gesetzgebung verschlanken und das Regieren stabiler machen soll, findet Marco Solazzo sinnlos. "Es ist völlig überflüssig für die Bürger, denn die Probleme Italiens liegen nicht in der Verfassung. Es geht um vernünftige Löhne für alle und darum, was die Regierung hier tut." Mit seinen Reformen hat der sozialdemokratische Regierungschef Matteo Renzi es nicht geschafft, die italienische Wirtschaft anzukurbeln. Noch immer ist die Wettbewerbsfähigkeit international eher schwach. "Es ist nicht die Wirtschaft allein. Es ist ein Problem unseres Lebensstils. Die Arbeitslosigkeit ist schon lange da, aber niemand tut irgendetwas. Niemand führt strukturelle Reformen durch, stattdessen erfindet man ein neues System, um Menschen nur noch tageweise anzuheuern." Für die jungen Leute sei das sehr schwierig, kritisiert Marco Solazzo. In der Tat liegt die Jugendarbeitslosigkeit in Italien immer noch bei über 37 Prozent.

"Das wird nicht das Ende der Welt"

Silvia Francescon: Renzi hofft auf die schweigende MehrheitBild: DW/B.Riegert

Die Politologin Silvia Francescon kann der Verfassungsreform schon eher etwas abgewinnen. Premier Renzi müsse zeigen, dass es in Italien irgendwie vorwärts gehe. Die Reform würde dazu führen, dass die Gesetzgebung, die zwischen den gleichberechtigten Parlamentskammern oft steckenbleibt, schneller von der Hand ginge. Silvia Francescon leitet das römische Büro der Denkfabrik "European Council on Foreign Affairs". Deshalb hat sie auch ein Auge auf die Europa-politischen Auswirkungen des Votums am Sonntag. Sie glaubt nicht, dass die Euro-Krise zurückkehren würde. "Es wird Unsicherheit geben, aber das wird nicht das Ende der Welt, wenn wir die Finanzmärkte betrachten." Vieles sei schon eingepreist an den Märkten. Ohne ein stabiles Italien werde die Arbeit in der EU sicher schwieriger, aber Italien sei nicht mit Großbritannien zu vergleichen. Das Land wolle in Europa bleiben. "Wenn Renzi gewinnt, ist er natürlich sehr gestärkt in Europa. Frankreich ist schwach und Bundeskanzlerin Angela Merkel hat einen schwierigen Wahlkampf vor sich."

"Renzi wird überleben"

Lutz Klinkhammer: Brisante Mischung aus Verfassungs- und WahlrechtsreformBild: DW/B. Riegert

Die Renovierung der Verfassung findet auch der deutsche Historiker Lutz Klinkhammer nicht überflüssig, nur die Verquickung mit einer Wahlrechtsreform habe die ganze Sache zu einem Machtpoker gemacht. Lutz Klinkhammer lebt seit vielen Jahren in Italien und forscht am Deutschen Historischen Institut in Rom. Das neue Wahlrecht schreibt fest, dass die stärkste Partei die absolute Mehrheit der Sitze im Parlament erhält und ohne Koalitionspartner regieren kann. Das birgt die Gefahr, dass auch Populisten vom Schlage Beppe Grillos die Parlamentsmehrheit erobern könnten. Deswegen lehnen viele Italiener diese Reform ab und werden mit Nein stimmen, vermutet Lutz Klinkhammer. Trotz dieser möglichen Option, an die Macht zu gelangen, lehnt auch Beppe Grillo die Reform vehement ab. "Die scheinen kein Interesse daran zu haben, denn die sind für ein striktes Nein", sagt Lutz Klinkammer. Er glaubt, dass die Grillini  lieber opponieren wollten, weil sie das Regieren wahrscheinlich überfordern würde. Der Italien-Kenner geht davon aus, dass Matteo Renzi eine Niederlage am Sonntag politisch überleben könnte. "Es ist sehr unwahrscheinlich, dass der Staatspräsident ein eventuelles Rücktrittsgesuch von Renzi annehmen würde. Andere Szenarien sind wahrscheinlicher. Und selbst Silvio Berlusconi hat in seinem Brief an die Italiener gesagt, dass Renzi bei einem Nein nicht wird zurücktreten müssen."

Ex-Premier Berlusconi mischt mit

Sagte da jemand gerade Berlusconi? Ja, Berlusconi ist auch wieder da. Der inzwischen 80 Jahre alte Ex-Premier, der seine Strafen abgearbeitet hat, taucht wieder als Strippenzieher der Konservativen im Hintergrund ab. Noch ist er für öffentliche Ämter gesperrt, aber das ändert sich bald. "Berlusconi ist wieder da", bestätigt Lutz Klinkhammer. "Die Frage ist, ob es ihm gelingt, noch einmal eine Koalition zusammen zu bringen, zu der dann die Lega Nord gehören müsste, und auch Teile der Neo-Faschisten."

Berlusconi? Marco Solazzo lächelt. Er ist zwar zutiefst frustriert über das politische System in Italien, aber "Berlusconi wird noch zehn Jahre mitmischen." Davon ist der selbstständige Mediziner überzeugt. Und dann hat er im DW-Gespräch noch einen Tipp für Angela Merkel. Wenn die Bundeskanzlerin wirklich wolle, dass Ministerpräsident Renzi überlebt, sollten weder sie noch ihr Finanzminister Wolfgang Schäuble, Renzi öffentlich unterstützen. Das komme bei den Italienern überhaupt nicht gut an, wenn sich jemand von außen einmische. Er und viele seiner Landsleute lehnten "La Merkel" wegen ihrer Sparpolitik weiter ab. "Leute in einer schwierigen Lage brauchen immer ein Hassobjekt, das an allem Schuld ist. Für uns ist das eben la Merkel." So gilt Marco Solazzos Nein, das er am Sonntag ankreuzen wird, auch ein bisschen der Bundeskanzlerin.

 

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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