Umfrage: Schulz im freien Fall
11. Mai 2017In viereinhalb Monaten wird in Deutschland der Bundestag gewählt. Die große Frage, die sich viele im Ausland wie Inland derzeit stellen: Bleibt Angela Merkel Bundeskanzlerin - oder bedeutet die Wahl das Ende der Ära Merkel?
Vieles kommt auf den SPD-Kanzlerkandidaten an. Ende Januar stellten sich die Sozialdemokraten neu auf. Der langjährige SPD-Parteivorsitzende Sigmar Gabriel machte den Weg frei für Martin Schulz. Der ehemalige Präsident des Europäischen Parlaments ging mit einer Kampfansage ins Rennen: "Ich trete mit dem Anspruch an, Bundeskanzler zu werden."
"Schulz-Effekt" verpufft
Zunächst sah es gut aus für den Kandidaten. Die SPD befand sich im Höhenflug, galt plötzlich wieder als eine Partei, die Angela Merkel die Kanzlerschaft strittig machen könnte. Deutschland sprach vom "Schulz-Effekt". Doch dieser scheint nun verpufft. Das ergibt der aktuelle ARD-Deutschlandtrend des Umfrageinstituts "Infratest dimap" unter rund 1000 Befragten.
Dass die anfängliche Begeisterung für den SPD-Kanzlerkandidaten nachgelassen hat, zeigt sich im direkten Vergleich. Demnach würde, wenn man in Deutschland den Regierungschef direkt wählen könnte, knapp die Hälfte der Deutschen Angela Merkel als Bundeskanzlerin wählen, drei Prozent mehr als im Vormonat. Martin Schulz verliert vier Prozentpunkte. Noch 36 Prozent würden ihn direkt wählen. Vor gerade einmal drei Monaten sprach sich noch die Hälfte der Befragten für Schulz als Kanzler aus.
Merkel als Garantin von Wohlstand und Stabilität
Der Rückenwind, mit dem Schulz ins Wahljahr gestartet ist, ist ermattet. Der Grund: Fehlende Inhalte. Zwei Drittel vermissen eine klare inhaltliche Linie seiner Politik. Die Ernennung von Schulz zum Kanzlerkandidaten der Sozialdemokraten hat zwar für eine Mehrheit von 56 Prozent den Effekt, dass die Unterschiede zwischen den beiden großen Volksparteien SPD und CDU wieder deutlicher hervortreten. 45 Prozent hätten sich jedoch mehr vom SPD-Hoffnungsträger Schulz erwartet.
Die Amtsinhaberin hingegen gilt für eine große Mehrheit der Deutschen als Garantin für Wohlstand und Stabilität in Deutschland. Allerdings ist auch eine Mehrheit der Befragten der Ansicht, dass Merkel ihre besten Zeiten bereits hinter sich habe. Merkel ist seit zwölf Jahren Kanzlerin. Es ist bereits das vierte Mal, dass sie als Spitzenkandidatin der Union in den Wahlkampf zieht.
FDP im Aufwind: So stark wie seit 2010 nicht mehr
Der Höhenflug der Kanzlerin und der Fall von Martin Schulz spiegeln sich auch in den Umfragewerten ihrer Parteien. Das zeigt die sogenannte Sonntagsfrage. Wäre die Bundestagswahl bereits am nächsten Sonntag, könnten Merkels Unionsparteien mit 37 Prozent rechnen - ein Plus von drei Punkten im Vergleich zum Vormonat. Die Zuwächse der CDU gehen vor allem zu Lasten der SPD. Schulz‘ Sozialdemokraten kämen nach einem Verlust von vier Punkten auf nur noch 27 Prozent. Bei der Bundestagswahl 2013 erreichte die SPD 25,7 Prozent.
Die FDP kann mit acht Prozent von ihrem guten Abschneiden in der Landtagswahl in Schleswig-Holstein profitieren, verzeichnet damit die höchsten Werte im Deutschlandtrend seit Mai 2010 und würde nach diesem Ergebnis wieder in den Bundestag einziehen, den sie nach einer krachenden Wahlniederlage 2013 verlassen musste. Unverändert bleiben die Stimmenanteile der Grünen (8 Prozent) und der Linken (7 Prozent). Die AfD gibt einen Prozentpunkt ab und kommt auf zehn Prozent. Damit könnte im September zum ersten Mal in der bundesdeutschen Geschichte eine rechtspopulistische Partei in den Bundestag einziehen.
Top-Thema: Bundeswehr-Skandale
Ein Thema, das die Deutschen in diesen Tagen besonders beschäftigt, ist die deutsche Bundeswehr. Missstände und rechtsextreme Gesinnung unter den Soldaten bringen die Bundeswehr seit Wochen in Verruf. Derzeit wird die deutsche Armee vom Skandal um den terrorverdächtigen Offizier Franco A. erschüttert. Der mutmaßlich rechtsextreme Oberleutnant hatte sich monatelang als syrischer Flüchtling ausgegeben und offenbar einen Anschlag auf deutsche Spitzenpolitiker geplant. Verteidigungsministerin von der Leyen hat nun umfassende Reformen angekündigt.
Diese Ankündigung scheint ihr aber wenig zu nutzen. Aktuell sind lediglich 38 Prozent der Deutschen mit ihrer politischen Arbeit zufrieden, 16 Prozent weniger als im Vormonat. In der Debatte um rechtsextreme Tendenzen in der Truppe wird zwar nahezu einhellig begrüßt, dass die Ministerin die Vorgänge öffentlich gemacht hat. Zwei von drei Befragten kritisieren aber das Fehlen ausreichender Führung und Kontrolle bei der Bundeswehr. Jeder Dritte geht davon aus, dass rechtsradikales Gedankengut in den Streitkräften weiter verbreitet ist als im Rest der Gesellschaft.
Ja zu einem starken Europa?
Die Briten wollen die Europäische Union verlassen: Erst vor kurzem hat Großbritannien die Scheidungspapiere eingereicht. Auch in anderen europäischen Ländern macht sich Anti-Europa Stimmung breit. Anders in Frankreich: Die Franzosen haben am vergangenen Sonntag den parteilosen Emmanuel Macron zu ihrem neuen Präsidenten gewählt. Seine Botschaft: Ja zu Europa und ja zu einer engeren Zusammenarbeit mit Deutschland.
Gemeinsam für ein starkes Europa - das könnte zum Beispiel bedeuten, dass Deutschland besondere Verantwortung übernimmt und mehr Geld springen lässt, um die EU zu stabilisieren. Etwas mehr als die Hälfte der Deutschen fände das nicht gut. 41 Prozent hingegen sprechen sich für höhere finanzielle Beiträge aus, um Europa zu stärken.
Bedrohliche politische Weltlage
Der deutliche Wahlsieg Macrons und sein Plädoyer für ein starkes Europa in einer unsicheren Welt scheint die Deutschen jedoch insgesamt nicht beruhigt zu haben. Sei es der Konflikt in Syrien, die Präsidentschaft von Donald Trump oder die Auseinandersetzungen mit Russland und der Türkei: Eine große Mehrheit empfindet die politische Lage in der Welt für Deutschland als sehr bedrohlich. Das sind sechs Prozent mehr als noch zu Beginn des Jahres. So düster die Weltlage wahrgenommen wird, so positiv fällt der Blick ins eigene Land aus. 81 Prozent beurteilen die wirtschaftliche Lage in Deutschland als sehr gut oder gut; und ebenso viele Deutsche bewerten die eigene wirtschaftliche Situation positiv.