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Nachhaltiger Tod

6. September 2016

Das deutsche Bestattungsrecht ist eines der strengsten Europas. Jetzt werden Waldbestattungen immer beliebter. Wie nachhaltig ist eine Beerdigung im Wald? Global Ideas-Reporterin Tamsin Walker hat nachgefragt.

Ein Schild mit dem Wort: "Friedwald"
Bild: Tamsin Walker
Meine morbide Faszination für alles, was mit dem Tod zu tun hat, führe ich darauf zurück, dass ich neben einem Bestatter aufgewachsen bin.

Meine Kindheit hindurch beobachtete ich immer wieder das Ankommen und Abfahren von Trauergemeinden und Leichenwägen. Ich erfand Geschichten über die leblosen Körper und war fest davon überzeugt, dass man die Leichen in dem flachen Gebäude untergebracht hatte, das ich von der Wiese, auf der ich immer spielte, aus sehen konnte.

Als ich viele Jahre später nach Deutschland zog, hatte ich mehr als genug über freie Bestattungen gelernt und war dementsprechend verblüfft über die harten Gesetze, die dieses Land seinen Toten auferlegte.

Imposante Gräber auf einem alten Friedhof mitten in BerlinBild: Tamsin Walker
Normalerweise pachtet man hierzulande für 20 bis 30 Jahre eine Grabstelle auf einem Friedhof, wo die Grabsteine oft durch Kiesel oder akurat geharkte Erde voneinander getrennt stehen. Vernachlässigt man die Pflege eines Grabs, muss man mit empfindlichen Geldbußen der Friedhofsverwaltung rechnen.

Wenn die Pachtdauer ausläuft und die Familie die Gebühren für die Verlängerung nicht zahlt, dann wird das Grab kurzerhand geräumt, um Platz für jemand anderen zu schaffen.

Seit 1934 dürfen Feuerbestattungen durchgeführt werden, und mehr und mehr Menschen machen von dieser Möglichkeit Gebrauch. Doch die Regeln für eine Einäscherung sind streng. In jedem Bundesland außer Bremen, wo das Gesetz im letzten Jahr geändert wurde, werden die sterblichen Überreste in eine Urne abgefüllt und anschließend vom Bestattungsunternehmer beigesetzt. Für Familienangehörige ist es damit unmöglich, die Asche ihrer Angehörigen an einem für sie bedeutungsvollen, selbstgewählten Ort zu verstreuen. Der Friedhof, so scheint es, steht über allem.

Ich habe mich auf den Weg gemacht zu Susanne Jung, Mitbegründerin des Berliner Bestattungsunternehmens “Funeral Ladies”, und sie gefragt, welche Philosophie diesen Regeln zu Grunde liegt.

“Da fragen sie die Falsche”, antwortete sie verwundert. “Ich glaube nicht, dass irgendwer versteht, warum wir das nicht dürfen. Das sind sehr alte Gesetze, die schlichtweg nie geändert wurden. Diejenigen, die die Asche ihrer Verstorbenen haben wollen, müssen in die Schweiz. Ist das nicht der Wahnsinn? Hier hat sich eine rechtliche Grauzone aufgetan.”

Ausgewählte Bäume werden mit einer Schleife markiert bis sie gepachtet werdenBild: Tamsin Walker
Vor dem Hintergrund eines solchen Graumarkts kommen Konzepte für umweltfreundliche Bestattungen als extrem radikal und nicht umsetzbar daher. Doch schließlich erlaubten die deutschen Behörden die Eröffnung des ersten sogenannten Friedwalds vor 15 Jahren. Seitdem sind im ganzen Land knapp 60 solcher Waldfriedhöfe entstanden.

Tief im deutschen Wald

Einen dieser Friedhöfe habe ich besucht. Für den Unwissenden ist der 40 Minuten östlich von Berlin gelegene Friedwald ein ganz normaler Wald. Außer den diskreten Namensschildern an der Rinde der Bäume und farbigen Bändern, die vereinzelt um Bäume gebunden sind, weist nichts darauf hin, dass es sich hier um einen Ort der letzten Ruhe handeln könnte. Der Förster Thomas Weber erklärt mir, dass die Bänder freie Grabstätten markieren.

Weber beschreibt den Forst als eine lebendige Gemeinschaft aus Bäumen, Pflanzen und Tieren. Er sagt, dass Leute, die zu Beerdigungen in die Wälder gehen, ganz automatisch nach oben, zu den Baumwipfeln und in den Himmel schauen. Das, so sagt er, öffne Brust und Herz auf eine Art und Weise, die helfen könne, den Schmerz, den man empfindet, zu überwinden.

Thomas Weber beschreibt den Friedwald als eine lebende Gemeinschaft, zu der die Asche zurückkehrtBild: Tamsin Walker
"Natürlich muss man loslassen, aber man hat einen starken Begleiter an der Seite. Man kann sich anlehnen, und man sieht, es lebt um diesen Baum, und auch dieser Baum lebt. Man ist in einer Lebensgemeinschaft, die weitergeht, und es gibt auch Menschen, die die innere Vorstellung haben: Wenn die Asche freigegeben wird im Boden, nimmt der Baum die Nährstoffe auf und das ist ein Kreislauf. Das kann jeder für sich empfinden."

Feuerbestattung contra Beerdigung

Die Art und Weise, wie Weber spricht, lässt keinen Zweifel daran, dass er ein großer Verfechter dieser neuartigen Umnutzung altgewachsener deutscher Wälder ist. Er selbst, so sagt er, möchte dort ebenfalls zur letzten Ruhe kommen. Doch sind Waldbestattungen umweltfreundlicher und nachhaltiger als konventionelle Beerdigungen?

Letzten Endes ist es doch so, dass selbst im Wald der Körper erst dann unter die Erde gebracht werden kann, nachdem er er verbrannt worden ist und seine Asche in eine biologisch abbaubare und, man ahnt es bereits, versiegelte Urne gefüllt worden ist.

Neues Leben schiebt sich durch die toten Blätter am WaldbodenBild: Tamsin Walker
Einerseits wird durch das Verbrennen der leblosen Körper die Atmosphäre mit Kohlendioxid belastet. Die Höhe des CO2-Fußabdrucks hängt vom jeweiligen Krematorium ab. Andererseits benötigt man für Beerdigungen viel Fläche. Ein weiteres Problem ist die Kontamination der Böden. Nicht nur diejenigen Leichen, die bei der Einbalsamierung mit Chemikalien vollgepumpt wurden, sind belastet.

"In unseren Körpern befinden sich viele Schwermetalle, weil wir Fisch oder Meeresfrüchte gegessen haben", erklärt Susanne Jung. "In den nächsten 20 Jahren könnten wir ein großes Problem mit der Kontamination der Friedhöfe bekommen, ganz einfach, weil wir kontaminiert sind."

In einem Land, in dem die Menschen gerade erst begonnen hätten, das Todestrauma zu überwinden, das seit den zwei Weltkriegen vorherrsche, möchte niemand darüber sprechen, dass der tote Körper zur Belastung der Böden beiträge. “Aber so ist es.”

Während das Thema noch immer totgeschwiegen wird, seien Waldbestattungen eher das Ergebnis einer pragmatischen Denkweise denn eines Gedankens an die Umweltverträglichkeit, so Jung.

"Der Trend geht dahin, dass sich die Leute nicht mehr um die Pflege der Gräber kümmern wollen, deshalb halten sie nach natürlichen Wegen Ausschau, um das Problem zu umgehen", erklärt Jung und fügt hinzu, dass sich auch viele schlecht bei dem Gedanken fühlen, das Grab nicht ausreichend nach dem Grab sehen zu können.

Der Wald bietet da die perfekte Lösung. Jung sieht darin die Rückkehr zu alten Traditionen, und spricht deshalb eher von "naturnaher Bestattung" als von "umweltfreundlicher Bestattung". Unabhängig davon, welchen Begriff man bevorzugt, sind diese Wälder eine willkommene Alternative zu den althergebrachten Bestattungsmethoden.

Trotz Blumen fühlt sich ein regulärer Friedhof weniger nach einer "lebendigen Gemeinschaft" anBild: Tamsin Walker
Nachdem ich den Wald verlassen hatte, habe ich mich noch eine Weile auf eine Bank auf einem alten Berliner Gottesacker gesetzt. Obwohl der Friedhof riesig war und sich weniger steril anfühlte als andere, war er doch von hohen Mauern umgeben, abgeschottet vom tosenden Leben dahinter. Den Wald dagegen hatte ich ganz anders empfunden - als einen Ort, an dem die Seelen der Verstorbenen eins werden mit der Welt, die sie umgibt.
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