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Wie Umwelt und Gerechtigkeit zusammenhängen

Jennifer Collins | Ruby Russell
15. September 2021

Naturkatastrophen treffen diskriminierte Menschen meist besonders stark. Doch was die Resilienz angeht, können marginalisierte Gruppen sogar Vorbild für andere sein, wie eine DW-Recherche zeigt.

DW Global Ideas Webspecial Environmental Jusitice
Die DW-Reihe über Umweltgerechtigkeit will herausfinden, wie Ethnie, Geschlecht, sexuelle Orientierung und Behinderung mit dem Thema Umwelt in Wechselbeziehung stehen

Inmitten der globalen Umweltkrise, von der immer mehr Menschen direkt betroffen sind, wird immer deutlicher: Diese Krise kann nicht diskutiert werden, ohne auch Diskriminierung zu thematisieren - egal ob aufgrund von Geschlecht, Ethnie, Gesellschaftsschicht, sexueller Orientierung oder Behinderung.   

Wie Thenjiwe McHarris sagt: "Es gibt keine Klimagerechtigkeit, ohne Rassengerechtigkeit. Es gibt keine Klimagerechtigkeit, ohne Gender-Gerechtigkeit. Es gibt keine Klimagerechtigkeit, ohne queere Gerechtigkeit." Sie ist eine führende Black Lives Matter-Aktivistin und Mitbegründerin von Blackbird, einer Organisation, die den Aufbau politischer Bewegungen unterstützt.

In den vergangenen Jahrzehnten galt Umweltschutz oft als ein Thema der Elite - ein Luxusproblem derer, die sich nicht um dringendere Probleme kümmern müssen, wie zum Beispiel Essen auf den Tisch zu bringen oder sich gegen Gewalt und Diskriminierung zu wehren. Doch inzwischen reicht es nicht mehr aus, über die "Rettung der Erde" oder den "Schutz der Natur" zu sprechen, als seien diese Ziele von der Bekämpfung sozialer Ungleichheit unabhängig.  

Kampf für Umweltgerechtigkeit - Kampf gegen Umweltrassismus

Umweltkampagnen gegen das Abholzen der Wälder, gegen Müllhalden oder den Bergbau werden häufig von indigenen Völkern angeführt, die ihre Landrechte verteidigen, oder von Gemeinden, die für das Recht auf saubere Luft, sauberes Wasser und die Gesundheit ihrer Kinder kämpfen.  

Robert Bullard, Professor für Stadtplanung und Umweltpolitik an der Texas Southern University in Houston, war einer der ersten, der den Begriff "Umweltgerechtigkeit" in den 1970-er Jahren verwendete. Er zeigte, wie tief verwurzelte Muster rassistischer Ungleichbehandlung dazu führten, dass People of Color mit größerer Wahrscheinlichkeit in der Nähe von umweltbelastenden Kraftwerken oder Mülldeponien lebten und öfter unter den Folgen schlechter Luftqualität litten. 

Auch eine Studie der Organisation Clean Air Task Force und der Bürgerrechtsgruppe The National Association for the Advancement of Colored People aus dem Jahr 2017 belegt das: So seien in den USA People of Color immer noch durchschnittlich 38 Prozent höheren Stickoxidemissionen ausgesetzt als weiße US-Amerikaner. Zudem lebten sie mit 75 Prozent höherer Wahrscheinlichkeit in Gemeinden, die in der Nähe von Öl- und Gasanlagen oder anderen umweltschädlichen Industriestandorten liegen. 

Anfang dieses Jahres erkannte US-Präsident Joe Biden die "unverhältnismäßigen gesundheitlichen, ökologischen, wirtschaftlichen und klimatischen Auswirkungen auf benachteiligte Gemeinschaften" an, als er eine Verordnung unterzeichnete, in der er versprach, "Umweltgerechtigkeit sicherzustellen." 

Viele der Roma in Pata Rât wurden aus ihren Häusern in der Stadt Cluj vertrieben. Sie sind seither gezwungen, auf umweltschädlichen Müllhalden zu lebenBild: Bogdan Dincă/DW

Aber nicht nur afroamerikanische Gemeinden sind von Umweltrassismus betroffen. Tief verwurzelte Vorurteile gegenüber den Roma haben es den Behörden ermöglicht, Gemeinschaften, die der größten ethnischen Minderheit Europas angehören, in gesundheitsgefährdende Umgebungen abzudrängen und sie, in den Worten eines Roma-Aktivisten, wie "menschlichen Müll" zu behandeln

Klima-Ungerechtigkeit auf globaler Ebene 

Alle Menschen auf der Welt durchleben die Klimakrise - aber nicht alle sitzen im selben Boot. Die reichen Länder des globalen Nordens sind für 92 Prozent der in der Vergangenheit entstanden Treibhausgase verantwortlich, die global die Durchschnittstemperatur seit der industriellen Revolution in die Höhe getrieben haben. Selbst China hat sein Kohlenstoffbudget gerade erst ausgeschöpft. Gleichzeitig entstehen in den Ländern, die am wenigsten vom Wirtschaftswachstum durch fossile Energien profitiert haben - und daher weniger Geld für die Anpassung an eine wärmere Welt aufbringen können - die größten Schäden.  

Was ist Klimagerechtigkeit?

09:41

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Und wenn es zu Umweltkatastrophen kommt, zum Beispiel durch vom Klimawandel verursachte Wirbelstürme, Überschwemmungen, Dürren oder den Verlust von Ackerland, Wäldern oder Fischbeständen, gibt es immer Menschen, die noch stärker betroffen sind - nämlich diejenigen, die aufgrund ihrer Ethnie, ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Orientierung, einer Behinderung, ihrer sozialen Schicht oder ihres Einkommens ohnehin schon benachteiligt sind.

Die Umweltkrise verschärft Ungleichheit 

Nach Hurrikan Katrina im Jahr 2005 fragten sich viele US-Amerikaner, ob der Klimawandel nun auch die eigenen Küstenstädte bedrohe. Und dann warf die Katastrophe noch weitere unangenehme Fragen auf.

Während schwarze Gemeinden vergeblich auf Evakuierung und Hilfe warteten - und diejenigen, die in den Trümmern nach Nahrung und Hilfsmitteln suchten, als Plünderer abgestempelt wurden - fragten sich viele, ob die Behörden anders reagiert hätten, wenn New Orleans eine mehrheitlich weiße Stadt gewesen wäre. Lokale Medien berichteten auch, dass einige Notunterkünfte Transpersonen abgewiesen hätten. 

Der Ugander Shawn Mushiga glaubt, dass Permakultur helfen kann, die Widerstandsfähigkeit der LBGTQ+-Gemeinschaft zu stärkenBild: Tony BlackWolf

Eines der Symbolbilder damals war das der toten Ethel Freemans im Rollstuhl. Die 91-Jährige starb völlig dehydriert in der brütenden Hitze vor dem Kongresszentrum in New Orleans, in dem Menschen nach der Flutkatastrophe untergebracht waren. Der US-Interessenverband für ältere Menschen, American Association of Retired Persons, stellte später fest: 73 Prozent der Menschen, die an den Folgen des Hurrikans starben, waren über 60 Jahre alt und der Großteil von Krankheit oder Behinderung betroffen.

Diese Ungleichheiten sind weder verschwunden, noch sind sie auf die USA beschränkt. In jüngster Zeit starben auch in Deutschland und Japan ältere und behinderte Menschen bei fehlgeschlagenen Evakuierungen nach Überschwemmungen.  

Und dann wäre da noch die Hälfte der Weltbevölkerung, die global den Großteil an unbezahlter Arbeit verrichtet - wie die Betreuung von Kindern, älteren und kranken Menschen, die Wasser beschafft und den Großteil der Landwirtschaft zur Selbstversorgung übernimmt. Die Belastungen, die damit einher gehen, nehmen in Zeiten von  Katastrophen und Versorgungsengpässen noch zu - wenn Brunnen versiegen, Ernten ausfallen und sich die Gesundheit der Menschen verschlechtert.  

Gleichzeitig verfügen Frauen in der Regel über weniger finanzielle Mittel, auf die sie zurückgreifen können als Männer. Sie sind oft die ersten, die den Zugang zu Bildung und Arbeit verlieren und werden häufig zu einer frühen Heirat gezwungen. Weibliche Klimaflüchtlinge sind außerdem einem erhöhten Risiko von sexuellem Missbrauch und Menschenhandel ausgesetzt.   

Der Lebensunterhalt und die Unabhängigkeit einer Gruppe Frauen, die an der Pazifikküste Kolumbiens lebt, hängen von sauberem Wasser und gesunden Mangroven abBild: Lia Beltrán Valero

Betrachtet man den ökologischen Zusammenbruch aus dieser intersektionalen Perspektive, erkennt man jedoch nicht nur unser kollektives Versagen, sondern auch Lösungen.  

Der Widerstand von Bürgerrechtsaktivisten wächst

Schwarze Gemeinden, die dafür kämpfen, dass Unternehmen für die Umweltverschmutzung vor ihrer Haustür zur Rechenschaft gezogen werden, standen schon an vorderster Front im Kampf für Umweltgerechtigkeit, lange bevor der Begriff in der politischen Debatte zum Schlagwort wurde. Und viele ihrer Taktiken - zum Beispiel Sitzstreiks und Schulstreiks - haben ihre Wurzeln in der Bürgerrechtsbewegung.  

LGBTQ+-Personen, denen die Unterstützung von Familie, Gemeinde, Kirche oder öffentlichem Dienst verwehrt wurde, haben jahrzehntelange Erfahrung in der politischen Basisorganisation, im Aufbau von Gruppen und in der Bereitstellung alternativer Netzwerke zur gegenseitigen Betreuung und Unterstützung - und sie haben erfolgreiche Kampagnen für Gesetzesänderungen geführt.  

Aktivisten mit Behinderungen sehen sich zwar von einigen nicht inklusiven Umweltbewegungen ausgeschlossen, aber haben mit viel Kreativität alternative Wege erschlossen, um ihre Botschaft zu vermitteln.  

Der behinderte Umweltaktivist Samuel Flach bei einem Theaterstück über den Schutz von Urwäldern Bild: Ursha Rahne

Frauengruppen, wie jene an der afrokolumbianischen Pazifikküste, haben inzwischen festgestellt, dass der organisierte Zusammenschluss zum Schutz ihrer Rechte auf wirtschaftliche Unabhängigkeit, Freiheit von Gewalt und ein sicheres Umfeld für ihre Kinder, mit Umweltschutz Hand in Hand geht. 

Ökofeminismus setzt die Ausbeutung der Arbeit und des Körpers der Frau mit der Ausbeutung natürlicher Ressourcen gleich. In Systemen, in denen Umwelt als Wegwerfprodukt gesehen wird, wird auch einigen menschlichen Lebensbereichen  wenig Wert beigemessen. 

Auf der Suche nach Alternativen sind es gerade diejenigen, die sich seit langem gegen diese Systeme wehren und versuchen Wege zu finden, die eine andere Zukunft weisen.

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