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Hendricks verteidigt Atomausstieg

15. März 2016

Der beschleunigte Atomausstieg nach der Reaktorkatastrophe in Fukushima hat die Energieversorger schwer getroffen. Vor dem höchsten deutschen Gericht wollen sie ihren Anspruch auf Entschädigungen durchsetzen.

Deutschland Verhandlung Atomausstieg in Karlsruhe
Bild: Reuters/R. Orlowski

Umweltministerin Barbara Hendricks (Artikelbild links) hat den vor fünf Jahren beschlossenen Atomausstieg vor dem Bundesverfassungsgericht verteidigt und Schadenersatzforderungen der Energiekonzerne zurückgewiesen. Die schwere Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima habe "auch in Deutschland eine Neubewertung der mit der Kernenergienutzung verbundenen Risiken erforderlich gemacht", sagte Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) am Dienstag zum Auftakt der zweitägigen Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.

Die Energieversorger Eon, RWE und Vattenfall sehen in dem im Juli 2011 beschlossenen zweiten Atomausstiegsgesetz eine Enteignung und fordern einen grundsätzlichen Anspruch auf Entschädigungen in Milliardenhöhe.

Die Lasten dieser politischen Entscheidung müssten solidarisch von der gesamten Gesellschaft getragen werden, forderte Johannes Teyssen (Artikelbild rechts) vom Energieriesen Eon zum Auftakt der zweitägigen Verhandlung: Der Eon-Chef sagte, es gehe den Klägern "nicht um die Energiewende", sondern um eine faire Entschädigung für den Ausstieg aus der Kernkraft. Matthias Hartung, Vorstandsvorsitzender von RWE Power, betonte, es sei dem Gesetzgeber zwar unbenommen, Risiken neu und anders zu bewerten. "Wir bezweifeln aber die politische Neubewertung eines unveränderten Sachverhalts", betonte Hartung mit Blick auf die von deutschen Atomkraftwerken ausgehenden Gefahren.

Schwierige Ausgangslage

Zur Einführung des Verfahrens verwies der Vizepräsident des Gerichts, Ferdinand Kirchhof, auf das "wechselvolle Schicksal" des bereits 2002 im Grundsatz beschlossenen Atomausstiegs: Damals hatte die rot-grüne Bundesregierung einvernehmlich mit den vier großen Energieversorgern den ersten Atomausstieg beschlossen und im Gegenzug Kontingente für die Stromerzeugung einzelner Atomkraftwerke zugestanden. Die schwarz-gelbe Bundesregierung hob diesen Konsens im Dezember 2010 auf und verlängerte mit diesem sogenannten Ausstieg vom Ausstieg die Laufzeiten der AKW um durchschnittlich zwölf Jahre.

Bundesverfassungsgericht in KarlsruheBild: Reuters/R. Orlowski

Diese "Absicht", so Kirchhof, hob die Bundesregierung dann mit Blick auf Fukushima im Juli 2011 auf und beschloss das Ende der Kernenergienutzung. Die kurz zuvor gewährten Zusatzstrommengen wurden gestrichen und für jedes Kraftwerk ein Abschaltdatum festgesetzt.

Die Kläger sehen darin Hartung zufolge die "Rücknahme von Rechtspositionen", auf die die Energieversorger vertrauen durften. Diese Rücknahme müsse entschädigt werden.

Hendricks wies dies zurück: Das Bundesverfassungsgericht habe bereits 1978 entschieden, dass "allein dem Gesetzgeber die Grundsatzentscheidung für oder gegen die Nutzung der Kernenergie" obliegt. Diese Entscheidung müsse "jeweils im Lichte neuer Erkenntnisse" zum Schutz des Lebens neu bewerten werden. Dies sei nach Fukushima auf Grundlage der Ergebnisse der Reaktor-Sicherheitskommission und der Ethikkommission geschehen. Die Kläger können sich Hendricks zufolge deshalb auch nicht auf ein "schutzwürdiges Vertrauen" in den Fortbestand der Regelung von 2011 berufen.

Das Gericht muss nun prüfen, ob die Streichung von Zusatzstrommengen und die festgelegten Abschaltdaten für die Atommeiler eine Enteignung sind, für die Entschädigung zu zahlen ist, oder ob es sich dabei um eine "Nutzungsregelung" handelt, für die es keine Entschädigung gibt.

Aktion von Atomgegnern vor dem Gebäude des Verfassungsgerichts in KarlsruheBild: Reuters

Überdies muss Karlsruhe klären, ob der dem schwedischen Staat gehörende Vattenfall-Konzern überhaupt klagen darf. Laut Verfassung können nur Bürger auf die Einhaltung von Grundrechten klagen, nicht aber der Staat, der zur Einhaltung der Grundrechte verpflichtet ist, sagte Kirchhof. Ob dieser Grundsatz auch für ausländische Staaten und Unternehmen in deren Besitz gilt, ist ebenfalls offen.

Urteil voraussichtlich erst in Monaten

Sollte der erste Senat unter Vize-Gerichtspräsident Ferdinand Kirchhof den Unternehmen Recht geben, könnten sie im zweiten Schritt auf Schadensersatz klagen. Allerdings verhandeln die Konzerne derzeit mit der Bundesregierung über die Verteilung der gewaltigen Kosten und Risiken beim Abriss der Kraftwerke und der Lagerung des Atommülls. Nach Expertenschätzung geht es um mindestens 48,8 Milliarden Euro. Für ein Entgegenkommen verlangt Berlin die Rücknahme aller Klagen. Es ist also nicht ausgeschlossen, dass es zu einer außergerichtlichen Einigung kommt. Bis zu einem Urteil dürften Monate vergehen.

Vor dem Bundesverfassungsgericht demonstrierten am Dienstag Aktivisten des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Sie warfen den Energiekonzernen "Verzögerungstaktik" vor und verlangten die sofortige Stilllegung der noch laufenden Atommeiler. Armin Simon von der Anti-Atom-Organisation Ausgestrahlt erklärte, Eon, RWE und Vattenfall seien keine Geschädigten, sondern Schadensverursacher.

tko/hb (afp, dpa)

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