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Politik

Umweltprotest in Serbien: Die Öko-Revolte

6. Dezember 2021

Schon das zweite Wochenende in Folge legen Demonstranten in Serbien landesweit den Verkehr lahm. Sie protestieren gegen ein geplantes Bergwerk, aber auch gegen den autokratischen Präsidenten.

Serbien Belgrad | Demonstranten blockieren Brücke
Demonstranten blockieren eine Autobahn in Belgrad am 4.12.2021Bild: Darko Vojinovic/AP/picture alliance

Serbiens populärste Fernsehstation, Pink TV, ein schriller Boulevard-Sender, schaltete am Sonnabend (4.12.2021) auf Live-Berichterstattung um. An rund fünfzig Orten im ganzen Land blockierten Demonstranten zu dieser Zeit Straßen und Verkehrsknotenpunkte. Selbst den Verkehr auf der Autobahn durch die serbische Hauptstadt Belgrad legten sie lahm. Pink TV sendete dazu stundenlang Live-Bilder.

Das inoffizielle Sprachrohr des serbischen Staatspräsidenten Aleksandar Vucic war jedoch nicht mit echter Berichterstattung über die Proteste befasst, sondern eher mit ihrem Kleinreden und Diffamieren. "Sehen Sie, es sind zwanzig Leute, die die Autobahn blockieren und das Land terrorisieren", regte sich der Chef des Boulevardblattes Informer im Programm von Pink TV auf. Die Demonstranten seien aus dem Ausland bezahlt, um Chaos zu stiften.

Ein paar Dutzend oder Tausende?

Eine Drohne von Pink TV zeigte durchgehend einen Ausschnitt der "Gazela"-Brücke in Belgrad, auf dem tatsächlich nur ein paar Dutzend Menschen umherliefen. Wäre die Kamera auf eine der beiden Enden der Brücke gerichtet gewesen, hätten Zuschauer viele tausende Menschen gesehen. Friedlich, aber laut und wütend.

Es ist das zweite Wochenende in Folge, dass tausende Menschen in Serbien sich zu landesweiten Straßenblockaden zusammenfinden. Ausgelöst haben die Proteste zwei umstrittene Gesetze, verabschiedet von Vucics regierender Serbischen Fortschrittspartei (SNS), die im oppositionslosen Parlament über eine Drei-Viertel-Mehrheit verfügt. Das eine Gesetz erleichtert Volksabstimmungen, das andere die Enteignung von Privatland bei Infrastrukturprojekten von "nationaler Bedeutung".

Savo Manojlovic von der Bürgerinitiative "Kreni Promeni" (Bewegen-Bewirken), die als erste zivile Kraft zum Protest aufgerufen hatte, fordert, die Gesetze zurückzuziehen oder sie zumindest entscheidend zu ändern. Wenn dies nicht geschehe, sagt Manojlovic der DW, würden die Blockaden fortgesetzt, jeden Sonnabend, jeweils immer eine Stunde länger. "Der Ball liegt beim Präsidenten, er bestimmt, ob die Blockaden weitergehen", sagt der Aktivist.

Lithium und Umwelt

Beide Gesetze, so sehen es die Demonstranten, sind auf ein großes Investitionsprojekt des britisch-australischen Konzerns Rio Tinto, eines der größten Bergbauunternehmen der Welt, zugeschnitten. Rio Tinto plant in der Nähe der westserbischen Stadt Loznica ein riesiges Berkwerk. Dort wurden nach der Jahrtausendwende die größten Lithium-Vorkommen Europas entdeckt - jenes "weiße Gold", das derzeit vor allem für Autobatterien händeringend gebraucht wird.

"Bergwerk - Nein, Leben - Ja" steht auf dem Transparent am Eingang des vom Konzern Rio Tinto geplanten Bergwerks im Dorf Gornje Nedeljice in WestserbienBild: DW/Jelena Djukic Pejic

Loznica liegt am malerischen Unterlauf des Flusses Drina, dem Grenzfluss zu Bosnien und Herzegowina, ein landschaftlich und touristisch reizvolles Gebiet. Hier will Rio Tinto rund zweieinhalb Milliarden US-Dollar in die Lithiumförderung investieren. Der Bergbaukonzern hat zu diesem Zweck bereits Teile einer Fläche von mehr als 300 Hektar gekauft. Einige Anwohner sollen enteignet werden - dazu dient das neue Enteignungsgesetz.

Umweltaktivisten und Bürgergruppen aus der Region befürchten, dass Rio Tinto nicht nur jene Fläche zerstört, sondern die ganze Umgebung. Denn bei der Lithiumförderung und -produktion fallen hohe Mengen an Arsen an, das auf Abraumhalden gelagert werden soll. Umweltschützer befürchten, dass dabei das Grundwasser, die Flüsse und der Boden vergiftet werden. Landwirtschaft und Tourismus wären dann in der Gegend kaum mehr möglich, viele Menschen müssten wegziehen oder umgesiedelt werden.

Weckruf für die Gesellschaft

"Das Enteignungsgesetz hat die existentiellen Ängste der Menschen verursacht. Es war der Weckruf für eine angehäufte, aber bisher noch schlummernde Unzufriedenheit im Land", sagt der Soziologe Jovo Bakic der DW. "Es zeigt sich, dass die Gesellschaft doch nicht tot ist."

Den Grund, warum Bakic die serbische Gesellschaft als verschlafen empfindet, sieht er vor allem Aleksandar Vucic, dem allgegenwärtigen Präsidenten des Landes und Chef der SNS. Seit fast zehn Jahren regiert er das Westbalkan-Land mit eiserner Hand, hält die wichtigsten Medien an der kurzen Leine und verteufelt alle Kritiker. Vucic und seine Partei SNS - die eine Rekordzahl von 700.000 Mitgliedern hat, also zehn Prozent der gesamten serbischen Bevölkerung - wird vorgeworfen,Wahlen zu manipulieren, Jobs via Partei-Mitgliedsbuch oder durch Gnade von SNS-Funktionären zu verteilen und gute Kontakte zur organisierten Kriminalität zu pflegen.

All dem widerspricht Vucic in häufigen Fernsehauftritten in zumeist melodramatischer Weise, gern auch mit Zahlen, die auf einen Aufschwung der serbischen Wirtschaft hindeuten. Für ihn ist die milliardenschwere Investition von Rio Tinto eine Chance, Serbien als Zentrum einer Zukunftstechnologie zu etablieren.

Lenkt der Präsident ein?

Die Proteste verstehe er nicht, sagte Vucic am Sonnabend im westserbischen Dorf Gornje Nedeljice nahe der geplanten Lithium-Mine, wo er sich vor laufenden Kameras mit Bürgern traf und sich ihre Probleme anhörte. Dabei versprach er auch, das Enteignungsgesetz ändern zu lassen, ohne allerdings zu präzisieren, in welcher Weise. Kurze Zeit später erklärte er jedoch gegenüber seinem Haussender Pink TV: "Ihr könnt mich nur töten oder durch Wahlen besiegen. Ich will mich dem Druck nicht beugen. Bei mir kann die Straße nicht die Politik bestimmen."

Der serbische Staatspräsident Aleksandar VucicBild: Elman Omic/AA/picture alliance

Es ist unklar, ob Vucic die kurz zuvor angekündigte Gesetzesänderung damit wieder zurückgenommen hat. Beobachter vermuten jedenfalls, der serbische Präsident werde versuchen, die Protestierenden noch vor Neujahr mit kleineren Zugeständnissen zu beruhigen. Zwar gab es in Serbien in den vergangenen Jahren des Öfteren Demonstrationen gegen Korruption und Demokratieabbau - aber noch nie mit Straßenblockaden, die das Land lahmlegen.

Tennisstar Djokovic unterstützt Proteste

Die Proteste finden wenige Monate vor wichtigen Wahlen statt. Im April 2022 wird es drei Urnengänge an einem einzigen Tag geben: die Präsidentschafts- und die Parlamentswahl sowie die Lokalwahl für das Belgrader Stadtparlament. Vucic und seine SNS sind an Erdrutschsiege bei Wahlen gewöhnt. Das könnte sich laut einer neuen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Demostat ändern. Derzufolge können Vucic und die SNS serbienweit zwar mit einem sicheren Sieg rechnen. In der Hauptstadt könnte es jedoch knapp werden. Dort kommen die SNS und ihre kleineren Partner derzeit auf 46 Prozent, während die beiden größten Oppositionsbündnisse 35 Prozent erreichen und weitere Parteien es über die Wahlhürde schaffen könnten.

Bereitschaftspolizei versucht die Umweltproteste in Belgrad am 27.11.2021 zu verhindernBild: Milos Miskov/AP Photo/picture alliance

"Wir haben einen Überschuss an Demokratie", sagte Vucic vor wenigen Tagen ironisch. Er rief die Polizei dazu auf, sich von den Demonstranten fernzuhalten, auch wenn diese mit ihren Blockaden Gesetzesbrüche begingen. Damit wollte er offenbar Bilder wie von den Protestaktionen am letzten November-Sonnabend (27.11.2021) vermeiden. An diesem Tag hatte ein SNS-Mitglied in der westserbischen Stadt Sabac versucht, Demonstranten mit einer Baumaschine von einer Brücke zu verjagen. Maskierte Hooligans hatten auf die Protestierenden mit Knüppeln und Hämmern eingeschlagen. Das hatte in der Öffentlichkeit große Empörung ausgelöst.

Am vergangenen Sonnabend (4.12.2021) hingegen verliefen die Proteste weitgehend friedlich. Doch die Studiogäste von Pink TV und regierungsnahe Boulevardblätter werden sich nun unerwartet mit einem weiteren Thema beschäftigen müssen. Novak Djokovic, derzeit die Nummer Eins der Tennis-Weltrangliste, der in Serbien vergöttert wird und bisher als unpolitisch galt, unterstützte die Demonstrationen mit einem Foto auf Instagram. Auf dem Bild sind tausende Demonstranten in Belgrad zu sehen. Djokovic schrieb dazu: "Reine Luft, Wasser und Nahrung sind Schlüssel für Gesundheit."