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Einmal schlechtes Gewissen to go, bitte

24. Februar 2019

Plastiktüten und Einwegbecher sind schlecht für die Umwelt. Aber auch DW-Reporterin Hannah Fuchs kauft manchmal welche. Sie fragt Umwelt-Psychologen, warum es so schwer ist, das eigene Verhalten zu ändern.

Kaffee im Pappbecher
Bild: DW/H. Fuchs

Eigentlich achte ich auf meine Müllproduktion. Und ich versuche, im Alltag möglichst wenig Plastikabfall zu fabrizieren, mein Mittagessen in wiederverwendbaren Dosen mitzunehmen und KEINE Einwegbecher zu kaufen.

Wie gesagt – eigentlich.

Gerade heute habe ich mir auf dem Weg ins Büro einen bitter nötigen Kaffee gekauft. In einem Pappbecher. Erwischt! Schätzungsweise 110 Gramm CO2 landen damit auf meinem Klimakonto. Und ja, ich hatte ein schlechtes Gewissen. Davor und danach. Währenddessen hielt es sich in Grenzen, der Kaffee ließ mich die Untat kurz vergessen.

Lesen Sie hier: Mehrweg-Becher statt Pappe und Plastik – der neue Umwelttrend bei Coffee to go?

Einwegbecher vs. Lieblingstasse: Ein schwacher Moment an einem MontagmorgenBild: DW/H. Fuchs

Aber nun ist der Koffeeinzauber verflogen, und dieser Parasit von Wegwerfbecher steht neben mir auf dem Schreibtisch. Er starrt mich an: "Ich wusste, du kannst mir nicht widerstehen", denkt er. Daneben steht meine heißgeliebte Porzellantasse, der die Enttäuschung förmlich anzusehen ist. Aber hey, ich werde den Pappbecher vorerst als Tischmülleimer weiter benutzen. Recycling also. 

Ich bin nicht allein – stimmt's?

"Sich schlecht fühlen – das muss jeder für sich entscheiden", sagt Gerhard Reese, Leiter des Studiengangs "Mensch und Umwelt: Psychologie, Kommunikation, Ökonomie" an der Universität Koblenz-Landau. "Das ist eine Sache, die von gesellschaftlichen Normen und unseren eigenen Moralvorstellungen abhängt."

DW-Autorin Hannah Fuchs hat einen Kaffeebecher mehr auf dem Gewissen - aber ist das wirklich so schlimm?Bild: Rainer Keuenhof

Und tatsächlich befinde ich mich mit meinen 31 Jahren in guter Gesellschaft. Denn genau meine Altersgruppe greift laut Umfragen am häufigsten zum Mitnehmkaffee. Und wie steht's mit dem Gewissen?

Die meisten Menschen in meinem Alter – und vermutlich auch viele andere – würden sich selbst wahrscheinlich als durchaus umweltbewusst bezeichnen.

 "Umweltbewusstsein" bedeutet streng genommen das Wissen um den Klimawandel und die Bereitschaft, etwas dagegen zu tun.

Doch diese Einsicht allein führt nicht zwangsläufig zu einer Änderung des eigenen "Umweltverhaltens" – also Abfallvermeidung, Energie- und Wassersparen, nachhaltigeren Konsum oder Engagement für den Umweltschutz.

Doch warum nicht? Wenn mich das Bewusstsein allein zum konsequenten Handeln bringen würde, dann hätte ich mir heute keinen Coffee to go gekauft. Genauso wenig wie die rund 460.000 Menschen allein in Berlin, deren Einwegbecher laut einer Studie heute im Müll landen. 

In der Psychologie nennt man so etwas Intentions-Verhaltenslücke. 

Umweltverhalten: Viele Dinge bestimmen unser Handeln

Damit – und wann zum Beispiel Leute ihr Umweltverhalten ändern – beschäftigt sich die relativ junge Disziplin der Umweltpsychologie. 

Umweltpsychologe Gerhard ReeseBild: Philipp Sittinger

"Ein Grund sind natürlich unsere Routinen, die wir uns über viele Jahre der Sozialisation angeeignet haben", sagt Reese. Er selbst sei in einem Haushalt großgeworden, in dem es zwei Autos gab." Da war es selbstverständlich, dass man mit 18 Jahren den Führerschein macht." Solche Gewohnheiten müsse man erst mal durchbrechen.

Außerdem haben Menschen ein Problem damit, etwas aufzugeben, sagt Elke Weber, Professorin für Energie und Umwelt an der Princeton University.

"Untersuchungen haben ergeben, dass die Gefahr, etwas zu verlieren, doppelt so stark empfunden wird als die Vorfreude, etwas zu bekommen." 

Das heisst: die positiven Auswirkungen, die unser geändertes Verhalten für den Planeten hat, bewegen uns weniger stark als der Verlust unserer persönlichen Freiheiten – Auto fahren, zum Beispiel. 

Ist der Klimawandel noch immer nicht präsent genug?

Dabei gibt es fast täglich schlechte Neuigkeiten von Umwelt und Klima: Wir leben Jahr für Jahr über unsere Verhältnisse, wir gefährden unsere Ozeane durch Müll und Mikroplastik, klimabedingte Naturkatastrophen nehmen nachweislich zu, das 2-Grad-Ziel, besser noch 1,5 Grad, gilt als letzte Chance, unsere Erde zu retten – was in Klimaverhandlungen wieder und wieder thematisiert wird. Gar nicht zu sprechen von Luftverschmutzung, Abholzung, Artensterben, Monokulturen, Überbevölkerung...

Lesen Sie mehr: Die 5 größten Umweltprobleme

"Der Klimawandel als Konstrukt hat durchaus ein paar Faktoren, die es uns Menschen schwierig machen, zu handeln", sagt Umweltpsychologe Gerhard Reese. Einerseits sei er gefühlt für die meisten Menschen sowohl zeitlich als auch örtlich noch sehr weit weg. "Wir werden davon vielleicht erst mal nicht so viel mitbekommen, außer zum Beispiel Dürreperioden oder Hitze in Deutschland."

Und zum anderen sei das Thema einfach auch sehr abstrakt. Auch Elke Weber sieht dieses Problem. Menschen seien zurückhaltender, wenn ihr Tun nicht sofort einen sichtbaren Effekt hätte. Und beim Umweltschutz würden wahrscheinlich erst kommende Generationen tatsächlich eine Auswirkung spüren, "aber der Aufwand, der heute geleistet werden müsste, ist dagegen etwas sehr Reales", sagt sie. 

"Nur darüber nachdenken hilft nicht"

All diese Aspekte führen dazu, dass viele Menschen schlichtweg nicht genauer über die Konsequenzen nachdenken. "Und nur darüber nachdenken hilft natürlich auch nicht", sagt Reese.

Was jedoch helfen könnte, so der Umweltpsychologe, seien politische Entscheidungen. Verbote, die einen Rahmen ermöglichen, in dem "umweltgerechtes Verhalten gefördert anstatt gehemmt wird". Ein Beispiel: Das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), das dazu geführt hat, dass Bürger in Deutschland in erneuerbare Stromerzeugung investierten.

Lesen Sie hier: EU sagt Plastikmüll den Kampf an

Umweltschutz abgucken? Funktioniert!

Doch immerhin, viele Menschen ergreifen laut einer YouGov-Umfrage auch eigene Maßnahmen, um nachhaltiger zu leben: So verzichtet der Großteil der Befragten möglichst auf Plastik, sie versuchen, Dinge erst zu reparieren, anstatt gleich neue zu kaufen und Energie verantwortungsvoll zu nutzen. 

Reese sieht auch unser Umfeld als wichtigen Orientierungspunkt für das eigene Verhalten. "Wenn zum Beispiel ganz viele meiner Bekannten Vegetarier sind, dann werde ich mich wahrscheinlich nach dem Grund fragen", sagt Reese, "und es vielleicht auch selbst probieren."

Die "Big Points" des Alltags

Aber zurück zu meinem Wegwerfbecher. Gerhard Reese bezeichnet Alltagsentscheidungen wie meine als "schöne, aber wichtige Verhaltenskosmetik" – die eben in der Masse zu wichtigen Veränderungen führen können.

Noch wichtiger seien jedoch die sogenannten "Big Points". Das heißt zum Beispiel: Wohnfläche reduzieren, Alternativen zum Auto nutzen, statt mit dem Flugzeug mit der Bahn in den Urlaub zu fahren.

Lesen Sie mehr: Zug versus Flugzeug: Wie viel kostet Reisen wirklich?

Was meinen Ausrutscher von heute morgen etwas relativieren würde. 

Denn vor dem Hintergrund, dass jeder Einwohner in Deutschland durchschnittlich 11,6 Tonnen CO2 pro Jahr emittiert, läuft der Coffee-to-go-Becher mit seinen 110 Gramm CO2 unter "Peanuts", schreibt Michael Bilharz, Nachhaltigkeitsexperte beim Umweltbundesamt in seinem Strategiekonzept "'Key Points' nachhaltigen Konsums".

Um den eigenen CO2-Fußabdruck zu reduzieren, müsse man in der Einheit "Tonnen" statt in der Einheit "Gramm" denken und sich deshalb intensivere Gedanken über die Big Points machen.

Nichtsdestotrotz sei der Verzicht auf Coffee-to-go-Becher und das Unterstützen von Mehrwegbecher-Initiativen ein Beitrag gegen Littering, also achtlos in die Gegend geworfenen Müll, und überquellende Abfallkörbe in Städten.

Das Verbannen von Einwegbechern ist deshalb also durchaus sinnvoll. Wenn man aber über seine Verantwortung zur Klimakrise nachdenkt, sollte das schlechte Gewissen jedoch eher aus den Big Points resultieren. 

Im Kollektiv die Welt retten

Gerhard Reese sieht hier die Gemeinschaft in der Pflicht. "Viele sagen, 'Ich kann als einzelner nichts tun'. Das ist ein Stück weit richtig", sagt der Umweltpsychologe. Aber genau das sei es eben auch, was uns Menschen hemme.

"Wir müssen es schaffen, das Gefühl des Individuums auf eine kollektive Ebene bringen", glaubt er. Heißt: Wir müssen die Herausforderung als Gemeinschaftsaufgabe sehen.

"Und ansonsten", sagt Reese am Ende unseres Gesprächs, "schaffen Sie sich doch einen wiederverwendbaren Kaffeebecher an."

Den hab ich schon – nur nie da, wo ich ihn auch brauche. Doch das werde ich ab sofort ändern. 

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Hannah Fuchs Multimedia-Reporterin und Redakteurin mit Fokus auf Technik, digitalen Themen und Psychologie.
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