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Politik

Umzug nach London - auch nach dem Brexit?

Barbara Wesel
1. Februar 2018

Streit um die Brexit-Übergangsphase: Die EU will Freizügigkeit für ihre Bürger bis Ende 2020, die britische Premierministerin lehnt das ab. Und das EU-Parlament kritisiert bisherige Vereinbarungen zu Bürgerrechten.

Poster: Mass lobby of UK Parliament on 13th September poster  zu Rechte von EU-Bürgern in Großbritannien
Bild: British in Europe

Am Rande ihrer Chinareise hat Premierministerin Theresa May einen neuen Brexit-Streit vom Zaun gebrochen. Sie lehnt es ab, dass die Freizügigkeit für EU-Bürger auch während der Übergangsphase weiter gelten soll. Anfang der Woche hatte die EU ihre Verhandlungsrichtlinien verabschiedet, wonach in der Übergangsphase nach dem Brexit der rechtliche Status Quo im Verhältnis zwischen dem Königreich und den verbleibenden Eu-Staaten fortgeschrieben werden solle.  Ab April nächsten Jahres würde sich also zunächst nichts ändern, außer dass die Briten ihr Stimmrecht verlieren. Das erscheint der EU als einfache und juristisch saubere Lösung. Und das Brüsseler Verhandlungsteam unter Michel Barnier vertritt den Vorschlag selbstbewusst. Schließlich braucht die Regierung in London diese Übergangszeit mehr als die Europäer.

Großbritannien als Vasallenstaat?

Kaum waren die Richtlinien veröffentlicht, fanden die Brexiteers schon die Haare in der Suppe. Großbritannien würde zu einem "Vasallenstaat", lamentierte der Abgeordnete Jacob Rees-Mogg, derzeit führender EU-Gegner. Tatsächlich ähnelt der Vorschlag aus Brüssel dem Verhältnis Norwegens zur Europäischen Union: Das Land hat alle Pflichten, vollen Zugang zum Binnenmarkt, aber keine Mitsprache.

Jacob Rees-Mogg, führender Brexiteer, sieht sich schon als Bürger eines VasallenstaatesBild: picture-alliance/empics/J. Brady

Brexit-Minister David Davis verlangte umgehend besondere Sicherungen gegen neue EU-Gesetze, die in der Übergangsphase  eventuell in Kraft treten könnten. London wünscht sich eine Art "Fairness-Klausel", um sich gegen mögliche Nachteile daraus schützen. Das ist ein eher theoretischer Einwand, denn EU-Regulierungen brauchen in der Regel Jahre, bis sie wirksam werden. Oder ist das ein Fingerzeig darauf, dass die Briten tatsächlich eine viel längere Übergangszeit wollen als die Zeit bis Ende Dezember 2020, die bisher in der Diskussion ist?

Politisch motiviert ist dagegen der Streit um die Rechte von EU-Bürgern, sich in dieser Phase noch in Großbritannien niederlassen zu dürfen. Theresa May glaubt, sie müsse sich hier hart zeigen, weil Migration bei der Brexit-Entscheidung vieler Wähler die wichtigste Rolle gespielt haben soll - und weil ihr die Brexiteers wieder im Nacken sitzen und erneut mit ihrem Sturz drohen.

Verbissene Verhandlungsrunden

An diesem Punkt bahnen wieder sich ein paar verbissene Verhandlungsrunden in Brüssel an. Gestritten wird um die Definition des Enddatums für den Erwerb von Niederlassungsrechten in Großbritannien: Der konkrete Zeitpunkt wird nämlich in der Trennungsvereinbarung vom Dezember 2017 nur theoretisch beschrieben, die Europäer wollen jetzt das Datum der Übergangsperiode einsetzen.

Das britische Gesundheitssystem braucht dringend PflegerBild: Reuters/S. Wermuth

Und obwohl aus zahlreichen britischen Wirtschaftsbereichen inzwischen Rufe nach Ausnahmeregelungen kommen, tragen die Brexiteers hier einen Grundsatzstreit aus. Banken in der City of London wollen weiter in der EU Fachleute rekrutieren, Farmer suchen Saisonkräfte, die Gastronomie in London braucht Servicepersonal und das Gesundheitssystem dringend mehr Krankenschwestern. Die Zahl der Zuwanderer aus der EU hat stark abgenommen, inzwischen macht sich Arbeitskräftemangel bemerkbar. Dennoch hat Premierministerin Theresa May jetzt kategorisch erklärt, dass EU-Bürger, die nach dem 31. März 2019 und damit in der Übergangsphase kämen, kein dauerhaftes Aufenthaltsrecht mehr erwerben könnten. Sie wüssten schließlich, dass Großbritannien kein Mitgliedsland mehr sei. Die Frage ist, ob May an dem Punkt festhält, so dass die Übergangs-Vereinbarung nicht rechtzeitig bis Mitte März fertig wird. Das würde den ohnehin knappen Zeitplan für Gespräche über das künftige Verhältnis weiter verkürzen.

Das unzufriedene Parlament

Der Brexit-Beauftragte des Europaparlaments Guy Verhofstadt hat das neue Gezerre um die Bewegungsfreiheit bereits eindeutig beantwortet: "Bürgerrechte während der Übergangsphase sind nicht verhandelbar". Das Parlament muss den Vereinbarungen mit Großbritannien am Ende zustimmen. Es kann sich in dieser Frage quer stellen.

Und im Brexit-Ausschuss sind viele sowieso noch unzufrieden mit den bisherigen Garantien zum Schutz der Bürgerrechte. Bei einer Anhörung im Europaparlament trug Anne-Laure Donskoy von der britischen Organisation "3 Millions" eine lange Liste von Kritikpunkten vor: Viele würden von dem geplanten Antragsverfahren, wie es Großbritannien zur Feststellung der Rechte von niedergelassenen EU-Bürgern plant, nicht erfasst oder es drohe ihnen die Ablehnung: Obdachlose, Menschen in Pflegeheimen, vorübergehend Arbeitslose oder Geringverdiener etwa würden es schwer haben, die hohe Schwelle für die geforderten Nachweise zu erbringen.

Guy Verhofstadt ist Brexit-Beauftragter des Europaparlaments und kompromisslos Bild: picture-alliance/dpa/P. Seeger

Außerdem erinnert sie an die "feindliche Umgebung" für Zuwanderer, die zur offiziellen Politik des britischen Innenministeriums gehört. "Die häufige unrichtige Auslegung von EU-Gesetzen durch das Innenministerium ist bekannt. Wir brauchen Rechte, die dauerhaft durch den Europäischen Gerichtshof geschützt werden", fordert die Aktivistin.

Auch Rechtsprofessorin Eleanor Spaventa von der Durham University sieht zahlreiche Fälle von EU-Bürgern, die durch das Raster zu fallen drohen: Kinder zum Beispiel oder Mütter, die vorübergehend ihre Kleinkinder zu Hause betreuen, würden nicht geschützt. Das gelte auch für Ehepartner aus Drittländern sowie Pendler und Bürger, die nach längerer Abwesenheit nach Großbritannien zurückkehren - allen drohe bei ihrem Antrag auf Wohnrecht in Großbritannien eine Ablehnung. Besonders kritisch aber sieht die Juristin eine Klausel über "Missbrauch von EU-Recht", die von London eingeführt wurde, die viel zu weit ausgelegt werden könnte.  

Kehrwende oder Vollbremsung?

Der Brexit verfolgt Theresa May bis nach ChinaBild: Getty Images/D. Kitwood

Für Theresa May gibt es hier wieder zwei Möglichkeiten: Entweder macht sie wie schon in der Trennungsvereinbarung vom Dezember eine totale Kehrtwende, oder sie fährt die gesamten Verhandlungen wegen Streits um die Übergangsphase an die Wand. Letzteres scheint zwar unwahrscheinlich, aber in London haben die Freunde des Brexit eine neue Drohkulisse aufgebaut und setzen May wegen ihrer zu weichen Verhandlungsstrategie unter Druck.

In der nächsten Woche will die Premierministerin mit ihrem Kabinett die Umrisse für das künftige Verhältnis zur EU beschreiben. Aber heftiger Streit spaltet weiter nicht nur ihre Minister, sondern auch das Parlament in London und die politischen Parteien in Großbritannien. Es sieht nicht so aus, als ob die britischen Unterhändler in Brüssel demnächst mit einer klaren Verhandlungsposition auftreten würden.