1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Im Visier der Verschwörungstheoretiker

Richard A. Fuchs
22. November 2018

Öffentlich streitet Deutschlands Politik derzeit noch über den UN-Migrationspakt. Doch jetzt gerät mit dem Flüchtlingspakt auch das zweite UN-Abkommen unter Beschuss.

Flüchtlinge an der griechisch-mazedonischen Grenze
Flüchtlinge an der griechisch-mazedonischen GrenzeBild: picture-alliance/dpa/K. Nietfeld

68 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht, sagen die Vereinten Nationen - die meisten davon innerhalb ihres eigenen Heimatlandes. Rund 25 Millionen haben sich über die Grenze in Nachbarländer gerettet oder sind weltweit geflohen. Das ist 70 Jahre nach Verabschiedung der Genfer Flüchtlingskonvention ein neuer, trauriger Rekord. Der UN-Flüchtlingspakt, im Englischen "Global Compact on Refugees" (GCR), will diesem Leid mit einer internationalen Kraftanstrengung begegnen. Ziel ist es, die Lebensbedingungen für Flüchtlinge zu verbessern und Erstaufnahmeländer zu entlasten. "Wir schulden das Millionen von entwurzelten und vertriebenen Menschen, und wir schulden es ihren großzügigen Aufnahmeländern", sagt UN-Flüchtlingshochkommissar Filippo Grandi.

Zwei Abkommen, zwei Zielgruppen

Dr. Steffen Angenendt, Leiter der Forschungsgruppe "Globale Fragen" von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin Bild: SWP

Dabei sollte man den Flüchtlingspakt nicht mit dem Migrationspakt verwechseln. Während der UN-Migrationspakt globale Mindeststands im Umgang mit Arbeitsmigranten einfordert, dreht sich der zweite Pakt um Flüchtlinge, die Schutz vor Krieg und Verfolgung suchen und sich dabei auf die Genfer Flüchtlingskonvention berufen können. "In der Öffentlichkeit geht das heillos durcheinander, zum Teil aus Unwissenheit, zum Teil wird die Konfusion politisch instrumentalisiert, um Stimmung zu machen", sagt Steffen Angenendt, Leiter der Forschungsgruppe 'Globale Fragen' von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) im Gespräch mit der DW.

Die Vorgeschichte der beiden Abkommen ist lang: Im September 2016 einigten sich die UN-Vertragsstaaten auf die "New Yorker Erklärung für Flüchtlinge und Migranten". Der Startschuss für eine über zweijährige Debatte. So unterschiedlich beide Abkommen sind, sie haben eins gemeinsam: Sie sind rechtlich nicht bindend. Das wird im Vertragsentwurf an mehreren Stellen betont.

Im September 2016 verabschiedeten die Mitgliedstaaten der UN die '"New Yorker Erklärung". Seitdem wird auf UN-Ebene an einem Flüchtlings- und an einem Migrationspakt gearbeitet. Bild: picture-alliance/dpa/Photoshot/L. Muzi

Zwischen Juni und Oktober einigte man sich auf UN-Ebene auf einen gemeinsamen Text für das Flüchtlingsabkommen. "Die Verhandlungen waren öffentlich, die Texte frei zugänglich, das ist also das exakte Gegenteil von Geheimniskrämerei wie es jetzt aus populistischen Kreisen hineininterpretiert wird", sagt der Forscher von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.

Die Vertreter von 176 Ländern stimmten dem Vertragstext zu, auch Deutschland. Nur die USA votierte dagegen, weil sich der weltweite Lösungsansatz des Flüchtlingspakts nicht mit der Souveränität des Landes vertrage, argumentierte die US-Vertreterin der Trump-Regierung. Kanzlerin Merkel bekräftigte am Mittwoch im Deutschen Bundestag, dass sowohl Flüchtlings- wie auch Migrationspakt im ureigenen deutschen Interesse seien.

Ein Weltflüchtlingsforum soll Erfolge messen

Ein Blick in den 20-seitigen Vertragsentwurf zeigt, wo die Schwerpunkte des künftigen UN-Flüchtlingspakts liegen: Der Text gibt Empfehlungen für internationale Standards, sei es bei der Registrierung von Flüchtlingen, sei es bei ihrer Unterbringung oder bei der Ausgestaltung von Bildungs- und Gesundheitsangeboten. Es wird über die Bedingungen für eine dauerhafte Aufnahme von Geflüchteten gesprochen, zuallererst aber über Wege für ihre sichere und freiwillige Rückkehr in die Heimat. "Eine vom UN-Flüchtlingshilfswerk entwickelte digitale Plattform wird den Austausch guter Lösungen ermöglichen", heißt es im englischen Originaltext. Zwei Mal im Jahr soll bei einem Weltflüchtlingsforum Bilanz gezogen werden. 

Das Auswärtige Amt in Berlin bestätigte auf Anfrage, dass Deutschland die meisten Anforderungen erfüllt oder sogar übererfüllt. Für viele Erstaufnahmeländer wie den Libanon, Jordanien oder die Türkei gilt das nicht, sagt SWP-Wissenschaftler Angenendt. Hier will der Pakt ein freiwilliges Netzwerk internationaler Unterstützung und Lastenteilung aufbauen. "Wer gegen dieses Ziel und damit gegen diesen Pakt ist, der muss die Frage beantworten, was passiert, wenn diese Länder unter ihrer Last zusammenbrechen?"

Afghanische Flüchtlinge in einem Park in Ankara: der UN-Flüchtlingspakt will Gastgeber-Länder wie die Türkei dabei unterstützen, menschenwürdige Bedingungen für die Flüchtlinge zu schaffen. Bild: Getty Images/AFP/A. Altan

Dass einzelne Länder entlastet werden müssen, das steht mit Blick auf die Zahlen außer Frage. Bisher beherbergen zehn Staaten, darunter Deutschland, 80 Prozent der weltweiten Flüchtlinge. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen UNHCR erhält Gelder von gerade einmal 15 Staaten. Deutschland stellte 2017 rund 480 Millionen US-Dollar zur Verfügung und war damit zweitgrößter Geldgeber nach den USA. Mehr globale Solidarität, wie es der Flüchtlingspakt vorsieht, erscheint da angebracht.

Politische Attacken und Unwissenheit bestimmen die Debatte 

Besonders an einem Punkt entzündet sich in Deutschland aber die Kritik am Flüchtlingspakt, meist verbreitet von Politikern und Sympathisanten der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland (AfD). Darunter der AfD-Bundestagsabgeordnete Gottfried Curio, der in dem Flüchtlingspakt ein Instrument für einen ungeregelten Zuzug von Flüchtlingen erkennen will. Er verweist auf die im Vertragstext zitierten "Resettlement"-Programme, also die Möglichkeit, dass Länder auf freiwilliger Basis fest vereinbarte Kontingente von Geflüchteten austauschen. Curio schürt gezielt Ängste, wenn er Deutschland als "Siedlungsgebiet" bezeichnet.

Ein Blick auf die Fakten des Vertragsentwurfs zeigt: Der UN-Flüchtlingspakt benennt eine Reihe von Werkzeugen, die Staaten auf freiwilliger Basis nutzen können, um sich mit überforderten Erstaufnahmeländern solidarisch zu zeigen. Eines von fünf dieser Werkzeuge können Kontingent-Programme sein. "Das ist eine bewährte Praxis, die Staaten in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder genutzt haben, wenn es angemessen und machbar erschien", sagt Angenendt. Die Souveränität des Aufnahmelandes werde nicht berührt, weil er selbst entscheide, ob und wie viele Geflüchtete aufgenommen werden.

Im April hat sich die Bundesregierung dazu bereiterklärt, 10.000 syrische Flüchtlinge von der Türkei im Rahmen eines solchen Programms aufzunehmen. Den Betroffenen gibt dies einen legalen Zugang zum Flüchtlingsstatus, ohne sich auf den lebensgefährlichen Weg über das Mittelmeer machen zu müssen.

Ein kleiner Junge, der in einem Flüchtlingslager in Griechenland lebt. Seine Zukunft: ungewiss. Bild: imago/ZUMA Press/N. Economou

Im Dezember ist eine Abstimmung auf UN-Ebene geplant

Die aggressiv vorgetragene Kritik an Migrations- und Flüchtlingspakt stuft der Wissenschaftler als "politisch motivierte Desinformationskampagne" ein. Dass der Flüchtlingspakt ins Schussfeld geraten sei, überrascht ihn dabei nicht. "Der Flüchtlingspakt bietet alles, was eine schöne Verschwörungstheorie braucht". Es gehe um Flüchtlinge, um die vermeintlichen "Globalisten" von der UN und um internationale Solidarität, ein Wort, das in Zeiten von US-Präsidenten Trump in vielen Köpfen zum Schmähwort verkommen sei. Je mehr Menschen jedoch den tatsächlichen Inhalt des Vertrags kennen, desto schneller lasse sich die haltlose Kritik entzaubern, hofft der Forscher. In knapp einem Monat will die UN-Generalversammlung über den Flüchtlings- und den Migrationspakt abstimmen. Viel Zeit für weitere Diskussionen - am besten sachliche.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen
Den nächsten Abschnitt Top-Thema überspringen

Top-Thema

Den nächsten Abschnitt Weitere Themen überspringen