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Politik

UN: Immer mehr zivile Opfer in Afghanistan

26. Juli 2021

In Afghanistan steigt die Zahl der Opfer der Bevölkerung bei Kämpfen zwischen Armee und Taliban auf Höchstwerte. Fast 2400 Zivilisten sind laut UN im Mai und Juni verletzt oder getötet worden.

Zivile Opfer eines Autobombenanschlags in Herat werden in einer Klinik versorgt (13.03.2021)
Zivile Opfer eines Autobombenanschlags in Herat werden in einer Klinik versorgt (im März)Bild: Shoib Tanha/DW

Dies sei die höchste je erfasste Zahl ziviler Opfer für diese zwei Monate seit dem Beginn der Zählungen im Jahr 2009, heißt es in einem Bericht der Vereinten Nationen. Im gesamten ersten Halbjahr kletterte die Zahl der zivilen Opfer auf 1659 Getötete und 3524 Verletzte. Das entspricht einem Zuwachs von 47 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum, teilte die UN-Mission in Afghanistan, UNAMA, mit. Das ist zugleich vergleichbar mit den Rekordjahren 2016 bis 2018. Damals verzeichneten die Vereinten Nationen in dieser Zeitspanne ebenfalls jeweils mehr als 5000 Opfer.

Im ersten Halbjahr 2021 waren fast die Hälfte der getöteten oder verletzten Zivilisten Frauen und Kinder. Die Zivilisten kamen dem Bericht zufolge vor allem durch Sprengsätze, bei Bodengefechten und durch gezielte Tötungen ums Leben. Für 40 Prozent der Opfer seien die Taliban verantwortlich, für etwa 25 Prozent die Sicherheitskräfte der Regierung.

Die Opferzahlen stiegen vor allem im Mai und Juni an, als die radikalislamischen Taliban ihre Vorstöße intensivierten. Zuvor hatte US-Präsident Joe Biden angekündigt, bis September alle US-Truppen abzuziehen. Der Abzug der internationalen Truppen läuft offiziell seit dem 1. Mai. Die letzten Soldaten der Bundeswehr sind nach fast 20 Jahren Einsatz bereits seit Ende Juni wieder zu Hause.

Taliban auf dem Vormarsch

Parallel zu dem Abzug starteten die radikalislamischen Taliban Offensiven in verschiedenen Provinzen und erzielten erhebliche Geländegewinne. Seither brachten sie schon mehr als 160 der 400 Bezirke des Landes unter ihre Kontrolle, mehrere Grenzübergänge und Teile wichtiger Überlandstraßen. Die Sicherheitskräfte der Regierung versuchen, verlorene Gebiete zurückzugewinnen. Seit September 2020 verhandeln die afghanische Regierung und Taliban in Doha in Katar über eine friedliche Lösung, bisher ohne erkennbare Fortschritte.

Ein Großteil der Gefechte im Mai und Juni habe außerhalb von Städten in Gebieten mit vergleichsweise geringer Bevölkerungszahl stattgefunden, heißt es in dem Bericht weiter. Die UN seien zutiefst besorgt, dass sich die Kämpfe in die dicht besiedelten Städte verlegen könnten. Die UN-Mission für Afghanistan warnte zudem, ohne einen signifikanten Abbau der Gewalt könne 2021 zum Jahr mit der höchsten Zahl an zivilen Opfern werden.

Taliban und Regierung widersprechen

Sowohl die Regierung als auch die Taliban widersprachen dem UN-Bericht. Ein Sprecher der Streitkräfte sagte, die Soldaten hätten viele Gebiete verlassen, um zivile Opfer zu vermeiden. In einem Statement der Taliban hieß es, man habe Zivilisten in den vergangenen sechs Monaten keinen absichtlichen Schaden zugefügt.

Die USA halten ungeachtet der prekären Sicherheitslage an ihren Abzugsplänen bis Ende August fest. Der für Afghanistan zuständige US-General Kenneth McKenzie sagte am Sonntag in Kabul, man habe in den vergangenen Tagen die Luftschläge zur Unterstützung der afghanischen Streitkräfte verstärkt. Unklar ist, ob die Luftschläge auch nach dem Abzug fortgesetzt werden. Angesichts der Offensive der Taliban hatte die Regierung in Kabul am Samstag eine nächtliche Ausgehsperre für alle Städte des Landes erlassen. Heftige Kämpfe zwischen den Aufständischen und Regierungstruppen gingen auch in den vergangenen Tagen weiter.

2400 Visa für Ortskräfte ausgestellt

Nach der Rückkehr der letzten deutschen Soldaten aus Afghanistan sind bereits 905 ehemalige Helfer und Familienangehörige nach Deutschland ausgereist. Nach Angaben des Verteidigungsministeriums haben 491 ehemalige Ortskräfte, die in den vergangenen beiden Jahren für die Bundeswehr gearbeitet haben, eine Zusage zur Aufnahme in Deutschland erhalten. Hinzu kämen 1991 Familienangehörige. Bislang seien 905 davon in Deutschland eingetroffen.

Das Auswärtige Amt hat nach eigenen Angaben 2400 Visa für Ortskräfte und ihre Angehörigen ausgestellt. Damit sei allen Helfern und Familienangehörigen, die in Masar-i-Sharif einen entsprechenden Antrag gestellt haben, die Einreise erlaubt worden, sagte eine Sprecherin des Amtes in Berlin.

Ein einheimischer Dolmetscher (rechts )und ein Bundeswehrsoldat im gemeinsamen Einsatz bei Kundus (2011)Bild: picture-alliance/dpa

Die Bundesregierung hatte angekündigt, allen afghanischen Mitarbeitern von Bundeswehr und Polizei, die ab 2013 ein Visum für Deutschland angestrebt haben, dieses zu bewilligen. Damit sollen die Helfer nach dem Abzug der internationalen Truppen vor Racheakten der Taliban geschützt werden.

Nur befristeter Aufenthalt

Die Bundesregierung prüft derzeit Möglichkeiten, die Ortskräfte und ihre Angehörigen bei der Einreise nach Deutschland zu unterstützen. Es könnten Tickets für Linienflüge bezahlt oder Charterflüge bereitgestellt werden, sagte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums. Er verteidigte ausdrücklich die Entscheidung, den Betroffenen nur eine befristete Aufenthaltsgenehmigung zu erteilen. Die Menschen kämen nach Deutschland, um hier Schutz zu erhalten. Wenn sie wieder die Möglichkeit hätten, sicher in ihrem Land zu leben, könnten sie dorthin zurückkehren. Wenn die Lage nach Ablauf der Frist nicht besser sei, würden die Aufenthaltstitel verlängert.

Berlins Sozialsenatorin Elke Breitenbach rief derweil die Bundesregierung auf, ehemalige afghanische Ortskräfte von Bundeswehr und Polizei bei der Ausreise besser zu unterstützen. Die Linken-Politikerin sagte dem Rundfunk Berlin-Brandenburg, "diese Menschen sind konkret bedroht". Schnelle Hilfe vor Ort müsse dafür sorgen, dass die Betroffenen Beratung, Visum und Flugtickets erhalten "und dann sehr schnell nach Deutschland kommen können".

kle/AR (dpa, epd, rtr, afp)

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