Konflikte zwischen dem Globalen Süden und westlichen Industrieländern haben den UN-Nachhaltigkeitsgipfel 2023 in New York überschattet.
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Im Jahr 2015 haben sich die Vereinten Nationen 17 Nachhaltigkeitsziele gesetzt. Bis 2030 soll die Welt frei sein von Hunger und Armut; alle Menschen sollen Zugang zu Bildung, sauberem Wasser und verlässlicher Energie haben. Auch die Gleichstellung von Frauen und Männern oder die Begrenzung des globalen Temperaturanstiegs auf 1,5 Grad gehören zu den erklärten Nachhaltigkeitszielen.
Jetzt, zur Halbzeit, ist klar: Die meisten dieser Ziele werden verfehlt. Laut einer UN-Halbzeitbilanz gibt es bei mehr als 30 Prozent der Ziele keinerlei Verbesserung oder sogar Rückschritte. Wenn es so weitergeht wie bisher, werden im Jahr 2030 nach UN-Angaben noch immer mehr als 600 Millionen Menschen hungern.
Johannes Varwick ist Politikwissenschaftler und Experte für internationale Beziehungen an der Universität Halle. Er beschreibt gegenüber DW das Problem der Nachhaltigkeitsziele so: "Die Ziele waren sicher ambitioniert, wären aber mit dem entsprechenden politischen Willen nicht vollkommen unerreichbar gewesen. Es haben aber zu wenige Staaten die Verpflichtungen wirklich ernst genommen." Ein Problem sieht er darin, dass internationale Politik "immer kurzfristig und krisengetrieben" sei. "Krisen wie die globale Finanzkrise 2008, die Pandemie oder nun der Ukrainekrieg haben die Prioritäten verschoben. Das ist einerseits nachvollziehbar, anderseits eben kurzsichtig."
Kritik: Deutschland spart bei Entwicklungshilfe
Trotzdem haben sich die 193 Nationen in einer politischen Erklärung erneut zu den Zielen bekannt. "Wir werden mit Dringlichkeit handeln, um die Vision (der Agenda 2030) als Aktionsplan für Menschen, den Planeten, Wohlstand, Frieden und Partnerschaft zu verwirklichen, der niemanden zurücklässt", heißt es darin. UN-Generalsekretär António Guterres forderte eine "Aufholjagd", um die Ziele doch noch zu erreichen.
Auch die Bundesregierung macht Druck. "Die Zeit drängt", mahnte Bundeskanzler Olaf Scholz in seiner Rede. Deutschland stehe dafür ein, die Ziele "weiterhin ganz oben auf der internationalen Agenda zu halten". Mehr Tempo fordert auch die deutsche Entwicklungsministerin Svenja Schulze.
Doch Kritiker machen nicht zuletzt Berlin für mangelnden Fortschritt verantwortlich. Das katholische Hilfswerk Miserior etwa kritisiert, es sei "kein ermutigendes Zeichen", wenn im nächsten Bundeshaushalt 15 Prozent weniger für Entwicklungszusammenarbeit vorgesehen seien. Auch das evangelische Hilfswerk "Brot für die Welt" kritisierte die Kürzungspläne. Die Klimaaktivistin Luisa Neubauer sagte im Sender Phoenix über den Gipfel: "Alle machen große Versprechen und am Ende gehen sie nach Hause und machen nicht, was notwendig ist." Auch in Deutschland sei kein entscheidender Richtungswechsel erkennbar.
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Machterosion des Westens
Während Bundeskanzler Olaf Scholz in New York vor fast leeren Rängen sprach, zog in der Generaldebatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj die Aufmerksamkeit auf sich. Er nutzte seine Rede für eine dringende Warnung vor russischer Aggression. Doch die Dominanz des Ukraine-Kriegs auch bei den Vereinten Nationen ist einer der Konflikte innerhalb der Weltorganisation. Die Länder des Globalen Südens werfen den westlichen Staaten vor, sie nähmen diesen Krieg zu wichtig und vernachlässigten darüber Dinge wie die weltweite Armutsbekämpfung.
Vorübergehend hatten Russland und zehn weitere Länder vor allem aus dem Globalen Süden mit einer Blockade der gemeinsamen Gipfelerklärung gedroht. Sie hatten beklagt, Sanktionen schadeten ihrer Entwicklung. Zahlreiche Entwicklungs- und Schwellenländer haben den russischen Einmarsch in der Ukraine nicht verurteilt und tragen die Russland-Sanktionen des Westens nicht mit.
Johannes Varwick sieht hier eine Machtverschiebung weg vom Westen und hin zu autoritären Staaten wie Russland und China. "Dem politischen Westen fehlt es an Gefolgschaft. Dies zeigt insbesondere das zunehmend bedeutsame BRICS-Plus-Format, dass sich auch als Kampfansage an den Westen verstehen lässt. Auch das jüngste Treffen der G-77 plus China in Havanna zeigt den wachsenden Gestaltungsanspruch des Globalen Südens." Trotzdem sieht er keine wirkliche Alternative zur UN: "Wir haben nichts Besseres als die Vereinten Nationen."
Deutsche Initiativen
Wie geht es weiter mit den Nachhaltigkeitszielen? Die Bundesregierung hat dazu Initiativen gestartet. Bundeskanzler Olaf Scholz und Entwicklungsministerin Svenja Schulze haben in New York zu einer Konferenz im kommenden Juni in Hamburg eingeladen, um mit Regierungsvertretern aus dem Globalen Norden und dem Globalen Süden sowie führenden Vertretern aus Privatwirtschaft, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und internationalen Organisationen "Lösungen für die notwendige sozial-ökologische Transformation zu entwickeln", wie es hieß.
Außerdem bereitet Deutschland, das gerade seine 50jährige UN-Mitgliedschaft feiert, zusammen mit Namibia den für kommendes Jahr geplanten UN-"Zukunftsgipfel" vor. Vielleicht geht ja von der Zusammenarbeit dieser beiden sehr unterschiedlichen Länder das Signal aus, dass Nord und Süd tatsächlich gemeinsam Ziele definieren und dafür kämpfen können.
17 Ziele für die Zukunft
Die 17 nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs) der UN sollen bis 2030 eine gerechtere, umweltfreundlichere Welt fördern und Hunger und Armut abschaffen. Der Aktionsplan wurde im Herbst 2015 auf dem UN-Gipfel verabschiedet.
Bild: Emmanuel Dunand/AFP/Getty Images
Ziel 1: Eine Welt ohne Armut
Bis 2030 soll kein Mensch mehr in extremer Armut leben müssen. Damit geht die Weltgemeinschaft weiter als in den alten Millenniumszielen, die bis 2015 lediglich eine Halbierung der extremen Armut als Ziel hatten. Als extrem arm definieren die UN Menschen, die von weniger als 2,15 US-Dollar am Tag leben müssen.
Bild: Daniel Garcia/AFP/Getty Images
Ziel 2: Eine Welt ohne Hunger
Derzeit haben rund 735 Millionen Menschen nicht genug zu essen, so die UN-Welternährungsorganisation FAO. Bis zum Jahr 2030 soll kein Mensch mehr unterernährt sein. Dabei soll nachhaltige Landwirtschaft eine größere Rolle spielen, Kleinbauern und ländliche Entwicklung sollen gefördert werden.
Bild: picture-alliance/dpa
Ziel 3: Gesundheit weltweit
Rund fünf Millionen Kinder jährlich sterben weltweit, bevor sie fünf Jahre alt sind. Weltweit stirbt alle zwei Minuten eine werdende Mutter während Schwangerschaft oder Entbindung. Bis 2030 soll jeder Mensch Zugang zu Gesundheitsvorsorge, bezahlbaren Medikamenten und Impfstoffen bekommen.
Bild: Maxwell Suuk/DW
Ziel 4: Ausbidlung für alle
Ob Mädchen oder Junge, ob reich oder arm: Bis 2030 soll jedes Kind eine Schulausbildung bekommen, die ihm einen späteren beruflichen Werdegang ermöglicht. Männer und Frauen sollen gleiche Bildungschancen haben, unabhängig von ethnischem oder sozialem Hintergrund und unabhängig von einer Behinderung.
Bild: DW
Ziel 5: Gleichberechtigung für Frauen
Frauen sollen gleichberechtigt am öffentlichen und politischen Leben teilnehmen können. Gewalt und Zwangsehen sollen der Vergangenheit angehören. Und weltweit sollen Frauen Zugang zu Verhütungsmitteln und Familienplanung haben. Letzteres sorgt für Kritik aus religiösen Kreisen.
Bild: Alexandar Detev/DW
Ziel 6: Wasser als Menschenrecht
Rund zwei Milliarden Menschen weltweit haben keinen regelmäßigen Zugang zu sauberem Wasser. Etwa 850 Millionen Menschen haben noch nicht einmal eine Grundversorgung mit Trinkwasser. Bis 2030 sollen alle Menschen Zugang zu sauberem und bezahlbarem Trinkwasser und Sanitäranlagen bekommen. Wasserressourcen sollen nachhaltig genutzt werden.
Bild: DW
Ziel 7: Weltweite Energieversorung
Bis 2030 sollen alle Menschen Zugang zu Elektrizität und Energie haben, vorzugsweise aus erneuerbaren Energiequellen. Die globale Energieeffizienz soll verdoppelt, die Infrastruktur insbesondere in den ärmsten Ländern ausgebaut werden. Heute leben rund 675 Millionen Menschen ohne Stromversorgung.
Bild: Thomas Imo/photothek/picture alliance
Ziel 8: Faire Arbeit für alle
Faire und soziale Arbeitsbedingungen weltweit, Jobchancen für Jugendliche und eine nachhaltige globale Wirtschaft. Punkt acht der neuen Entwicklungsziele gilt für Industrie- wie Entwicklungsländer und beinhaltet auch ein Ende von Kinderarbeit und die Einhaltung internationaler Arbeitsnormen.
Bild: AFP/Getty Images
Ziel 9: Nachhaltige Infrastruktur
Eine bessere Infrastruktur soll eine wirtschaftliche Entwicklung fördern, von der alle profitieren können. Die Industrialisierung soll sozial und ökologisch nachhaltig sein, mehr und bessere Jobs schaffen und Innovationen fördern, die zur Nachhaltigkeit und sozialen Gerechtigkeit beitragen.
Bild: imago/imagebroker
Ziel 10: Eine gerechte Verteilung
Laut UN entfallen auf nur ein Prozent der Weltbevölkerung rund zwei Drittel des wirtschaftlichen Wachstums. Die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auseinander. Deshalb soll die internationale Entwicklungspolitik vor allem der ärmsten Hälfte der Bevölkerung und den ärmsten Ländern der Welt helfen.
Bild: Frederic J. Brown/AFP/Getty Images
Ziel 11: Lebenswerte Städte
In den globalen Ballungszentren sollen Menschen- und umweltfreundliche Lebensräume mit bezahlbarem Wohnraum entstehen. Städte sollen nachhaltiger und grüner werden. Vor allem Entwicklungsländer sollen Unterstützung erhalten, um Städte gegen klimabedingte Naturkatastrophen widerstandsfähiger zu machen.
Bild: picture alliance/blickwinkel
Ziel 12: Nachhaltiger Konsum und Produktion
Recycling, Wiederverwertung der Ressourcen, Eindämmung der Müllmengen insbesondere in der Lebensmittelproduktion und beim Verbraucher: Alle stehen in der Verantwortung. Ressourcen sollen ökologisch und sozialverträglich abgebaut und eingesetzt werden und Subventionen für fossile Brennstoffe sollen auslaufen.
Bild: DW
Ziel 13: Klimawandel in den Griff bekommen
Die Notwendigkeit, sich global auf Maßnahmen zur Eindämmung und Anpassung an den Klimawandel zu verständigen, ist mittlerweile Konsens in der UN. Reichere Länder sollen ärmeren Ländern mit Technologie- und Finanztransfer unterstützen. Gleichzeitig sollen sie ihre eigenen Emissionen massiv senken.
Bild: AP
Ziel 14: Schutz der Weltmeere
Die Weltmeere stehen vor dem Kollaps. Maßnahmen gegen Überfischung, Zerstörung der Küstengebiete und der marinen Ökosysteme sollen durchgeführt, die Meeresverschmutzung durch Müll und Überdüngung deutlich abgebaut werden.
Bild: imago
Ziel 15: Stopp der Umweltzerstörung
Beim Schutz der Wassereinzugsgebiete, der Wälder und der Biodiversität wird den UN-Mitgliedstaaten dringend dazu geraten, die umfassende Umweltzerstörung aufzuhalten. Land, Wald und Wasserquellen sollen besser geschützt und der Umgang mit den natürlichen Ressourcen grundlegend geändert werden.
Bild: WILDLIFE/I.R.Lloyd/picture alliance
Ziel 16: Rechte und Gesetze durchsetzen
Alle Menschen sollen vor dem Gesetz gleich sein. Durch nationale Institutionen und internationale Zusammenarbeit sollen Gewalt, Terror, Korruption und organisierte Kriminalität effektiv bekämpft werden. Bis 2030 sollen alle Menschen gleichberechtigten Zugang zur Justiz erhalten.
Bild: imago/Paul von Stroheim
Ziel 17: Eine solidarische Zukunft
Wie bereits in den Millenniumszielen festgeschrieben, sollen die reichen Länder endlich 0,7 Prozent ihres Bruttonationaleinkommens für die internationale Entwicklungszusammenarbeit bereitstellen. Deutschland gibt bereits 0,73 Prozent für Entwicklungshilfe aus.