UN-Sicherheitsrat pocht auf territoriale Integrität Syriens
18. Dezember 2024Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat zu einem "inklusiven und von den Syrern angeführten" politischen Prozess in Syrien nach dem Sturz des Machthabers Baschar al-Assad aufgerufen. Die Bevölkerung des Landes müsse die Möglichkeit haben, "ihre eigene Zukunft zu bestimmen", erklärte der Rat. Er rief zudem Syrien und seine Nachbarn dazu auf, alle Handlungen zu unterlassen, die die regionale Sicherheit untergraben könnten.
"Dieser politische Prozess sollte den legitimen Bestrebungen aller Syrer gerecht werden und sie alle schützen." Die Ratsmitglieder bekräftigten überdies "ihr starkes Engagement für die Souveränität, Unabhängigkeit, Einheit und territoriale Integrität Syriens und riefen alle Staaten auf, diese Grundsätze zu achten".
UN-Sondergesandter mahnt
Kurz zuvor hatte der UN-Sondergesandte für das Land, Geir Pedersen, gewarnt, dass der Konflikt in dem Land mit dem Sturz Assads noch nicht beendet sei. Er verwies auf Gefechte zwischen kurdischen Milizen und Verbänden von Aufständischen, die von der Türkei unterstützt werden, im Norden des Landes. Auch die von Israel angekündigten Pläne, Siedlungen in den besetzten Golanhöhen auszubauen, kritisierte Pedersen. Israel müsse "alle illegalen Siedlungsaktivitäten" dort einstellen, forderte er.
Inzwischen sehe man aber ein Syrien, "das in vielen Teilen ein stabiles Land ist", betonte Pedersen, der per Video aus Syrien in die Sitzung des Rates zugeschaltet wurde. Eine weitere Stabilisierung könne auch zu einem Ende der Sanktionen gegen das Land führen. Ein Ende der Sanktionen, um einen Wiederaufbau Syriens nach dem jahrelangen Bürgerkrieg zu ermöglichen.
Die nun auf das Land und die internationale Gemeinschaft zukommenden Aufgaben seien riesig, sagte Pedersen. Die Infrastruktur sei zerstört. 90 Prozent der Menschen in Syrien würden in Armut leben. Es brauche jetzt politische Prozesse, die alle Bevölkerungsgruppen einbeziehen, freie Wahlen und eine neue Verfassung. Es war die erste Sitzung des UN-Sicherheitsrats zu Syrien seit der Flucht Assads.
Kampfgruppen unter Führung der islamistischen Miliz Haiat Tahrir al-Scham (HTS) hatten am 8. Dezember Damaskus erobert und damit die langjährige Herrschaft Assads in Syrien beendet. Der Machthaber, dem Entführung, Folter und Ermordung von Andersdenkenden vorgeworfen werden, floh nach Russland.
Österreich fordert gemeinsame EU-Strategie
Nach dem Umsturz in Syrien drängt Österreich auf eine gemeinsame EU-Strategie zur Rückführung syrischer Flüchtlinge. "Europa braucht dringend eine umfassende Syrien-Strategie. Es bringt Europa nichts, wenn syrische Staatsbürger lediglich innerhalb Europas umverteilt werden", sagte der österreichische Bundeskanzler Karl Nehammer der deutschen Zeitung "Welt". "Vielmehr muss die Strategie darauf abzielen, den Menschen in Syrien eine Perspektive in ihrer Heimat zu bieten." Dazu gehöre auch der Aufbau einer Demokratie. "Syrien braucht jetzt seine syrischen Mitbürger", sagte er mit Blick auf das Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs am Donnerstag in Brüssel.
Der Kanzler forderte auch einen EU-Sonderbeauftragten, um Gespräche mit der neuen Führung in Syrien zu führen. Nehammer kündigte ferner ein Treffen mit EU-Staaten an, die in der Migration ähnliche Positionen wie Österreich vertreten. "Gemeinsam mit Italien, Niederlande und Dänemark gehört Österreich zu den europäischen Vorreitern, um einen Paradigmenwechsel in der europäischen Asylpolitik voranzutreiben", sagte er. Nach dem Sturz Assads hatten mehrere europäische Länder ihre Asylverfahren für syrische Staatsbürger vorerst ausgesetzt. Österreich kündigte als bisher einziges EU-Land ein "Rückführungs- und Abschiebeprogramm nach Syrien" an.
Europäische Initiativen
Nach der Entmachtung Assads sind mehrere europäische Staaten auf Tuchfühlung zur neuen Führung in Damaskus gegangen. Am Dienstag traf eine Delegation aus Berlin unter Leitung des Nahostbeauftragten des Auswärtigen Amts, Tobias Tunkel, in Damaskus Vertreter der islamistischen HTS-Miliz, darunter deren Anführer Mohammed al-Dschulani, der sich inzwischen Ahmed al-Scharaa nennt. Eine Sprecherin des Auswärtigen Amts erklärte, im Zentrum der Gespräche hätten unter anderem die Erwartungen Deutschlands "mit Blick auf den Schutz von Minderheiten und Frauenrechten" gestanden, um "eine friedliche Entwicklung in Syrien begleiten zu können". Die Delegation nahm auch erstmals die seit 2012 geschlossene deutsche Botschaft in Augenschein.
Auch der französische Sondergesandte Jean-François Guillaume reiste nach Damaskus und versprach, sein Land werde "an der Seite der Syrer" sein. Französische Sicherheitskräfte hissten in der ebenfalls stillgelegten Botschaft ihres Landes die Trikolore.
Nach "konstruktiven" Gesprächen in Damaskus kündigte die Europäische Union an, ihre diplomatische Vertretung in dem Bürgerkriegsland wieder eröffnen zu wollen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen warb bei einem Besuch in Ankara beim türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan für eine "direkte Zusammenarbeit" mit der HTS und anderen Gruppierungen.
Flughafen Damaskus in Betrieb
Vom Flughafen in Damaskus startete unterdessen die erste Maschine seit dem Sturz des Machthabers Assad. Ein Airbus der Fluglinie Syrian Air brachte 43 Personen, darunter Journalisten, nach Aleppo im Norden des Landes. Seit der Flucht Assads hatte es auf dem Airport keine Starts und Landungen mehr gegeben.
Anfang dieser Woche hatte das Flughafenpersonal die drei Sterne der Unabhängigkeitsflagge auf die Flugzeuge gemalt. Diese Flagge war zum Symbol des Aufstands von 2011 geworden. Die neuen Machthaber des Landes haben sie übernommen.
kle/se (afp, dpa, rtr)