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PolitikAfrika

UN-Sondergesandte: "Äthiopiens Kriegsparteien müssen reden"

Mimi Mefo Takambou
10. November 2021

Die UN-Sonderberaterin für Völkermordprävention, Alice Wairimu Nderitu, bekräftigt im DW-Interview, dass die Konfliktparteien in Äthiopien einen Waffenstillstand aushandeln und in einen nationalen Dialog treten müssen.

Alice Wairimu Nderitu, Sondergesandte des UN-Generalsekretärs (Foto: Tessa Walther/DW)
Alice Wairimu Nderitu, Sondergesandte des UN-Generalsekretärs, ist eine Konfliktbewältigungs-Expertin mit großer internationaler ErfahrungBild: Tessa Walther/DW

Alice Wairimu Nderitu, aus Kenia, ist Sonderbeauftragte des UN-Generalsekretärs für die Verhütung von Völkermord. Als erfahrene Mediatorin im Bereich Friedensförderung und Gewaltprävention ruft sie die äthiopische Regierung dazu auf, eine weitere Eskalation der Gewalt zu verhindern und Spannungen zwischen den Gemeinschaften abzubauen.

DW: Die Lage in Äthiopien verschlechtert sich zusehends. Die Internationale Gemeinschaft, allen voran die Vereinten Nationen, sind alarmiert. Was muss passieren, um die Situation zu entschärfen?

Alice Wairimu Nderitu: Zunächst einmal sollte der Sicherheitsrat der Afrikanischen Union dringend eine Sitzung zu Äthiopien einberufen.

Das andere Gremium, das aktiv werden muss, ist die IGAD [die zwischenstaatliche Behörde für Entwicklung, die aus acht Staaten in Nordostafrika, darunter Äthiopien, besteht - Anm.d.Red.]. Die Grenzziehung zwischen vielen afrikanischen Ländern wurde von den Kolonialmächten vollzogen. Diese Grenzen aus den Zeiten des Kolonialismus trennen nach wie vor viele ethnische Gemeinschaften in Afrika. Die Oromo zum Beispiel sind eine Volksgruppe, die sowohl in Äthiopien als auch im Norden Kenias lebt. Die Somali leben sowohl in Somalia als auch in Äthiopien und die Luo siedeln sowohl in Äthiopien als auch im Südsudan. Die Gefahr eines grenzüberschreitenden Konflikts, eines Übergreifens des derzeitigen äthiopischen Konflikts auf Nachbarländer, ist also derzeit sehr, sehr groß.

Wir brauchen das Eingreifen der IGAD. Äthiopien und seine Nachbarländer müssen gemeinsam dafür sorgen, dass grenzüberschreitende Konflikte verhindert werden, bevor sie entstehen. Ich begrüße die Erklärungen des kenianischen Präsidenten Uhuru Kenyatta und seines ugandischen Amtskollegen Yoweri Museveni, dass sie nun daran arbeiteten, Äthiopien zu unterstützen, damit der Konflikt nicht eskaliert und auf andere Nachbarländer übergreift. Es ist ein sehr positiver Schritt.

Verlassener Panzer der Truppen der TPLF (Tigray People's Liberation Front) nahe der Stadt MehoniBild: Eduardo Soteras/AFP/Getty Images

Welche Maßnahmen zur Eindämmung der Krise in Äthiopien sind kurzfristig zu erwarten?

Dieser gewaltsame Konflikt ist gekennzeichnet durch die bisherige Weigerung der Konfliktparteien, miteinander zu sprechen. Diese Verweigerung des Dialogs muss sofort aufhören. Mit Konfliktparteien meine ich die Führung der TPLF [Tigray People’s Liberation Front], die Führung der OLA [Oromo Liberation Army] und auch den äthiopischen Premierminister Abiy. Es gibt keine andere Option: Sie müssen einen Dialog führen. Die Welt wird sich nicht zurücklehnen und zulassen, dass in der Region weiterhin Krieg und Gewalt im Namen der Souveränität angewendet werden. Die Kernbotschaft, die wir im Namen der Vereinten Nationen und der Internationalen Gemeinschaft aussenden, lautet: Souveränität bedeutet Verantwortung. Und die Konfliktparteien in diesem Konflikt müssen endlich Verantwortung für ihr Handeln übernehmen.

Was wäre die beste Lösung für den aktuellen Konflikt in der Region Tigray?

XXL-Plakat im Zentrum von Addis Abeba: Premierminister Abiy Ahmed weigert sich bislang, mit der TPLF zu sprechen Bild: Tiksa Negeri/REUTERS

Dies ist ein äthiopisches Problem, es ist kein Tigray-Problem. Wenn wir Tigray heute lösen und nicht gleichzeitig im Auge haben, was in Oromia passiert, dann schaffen wir das nächste Problem. Man spricht viel über die Gefahr, dass die Tigray-Truppen die Hauptstadt Addis Abeba überrennen. Aber man sollte sich darüber im Klaren sein, dass diese Gefahr im Moment eher von der OLA als von der TPLF ausgeht.

Am Ende des Tages müssen sich die Kriegsparteien an einem Tisch zusammensetzen und Entscheidungen treffen. Ist es das, was jetzt passieren muss?

Der äthiopische Premierminister, die TPLF, die äthiopischen Führer - sie müssen jetzt alle an den Verhandlungstisch und reden. Der äthiopische Premierminister hat immer wieder gesagt, dass er nicht mit der TPLF reden könne, weil es sich um eine terroristische Organisation handle. Wir müssen Abiy Ahmed bitten, sich daran zu erinnern, dass er Friedensnobelpreisträger ist. Als solcher sollte er immer bereit sein, sich an den Verhandlungstisch zu setzen. Anstatt darüber nachzudenken, ob es sich bei der TPLF um eine Terrororganisation handelt, sollte er sich darüber Gedanken machen, wie er Leben retten kann. Es darf nicht sein, dass Äthiopier sterben, nur weil Abiy nicht mit gewissen Landsleuten an einem Tisch sitzen will.

Abiy Ahmed wurde 2019 für seinen Einsatz für Frieden mit dem Friedensnobelpreis geehrt. Was bedeutet das?

Ich denke, dass der Friedensnobelpreis Premierminister Abiy Ahmed auf eine andere Ebene gehoben hat. Der Premierminister sollte mit allen Äthiopiern reden, egal, ob sie aus Tigray, aus Amhara oder aus der Oromia-Region stammen. Premierminister Abiy sollte aufstehen und sagen: Keine Toten mehr. In diesem Land wird niemand mehr sterben, denn ich werde jetzt in den Dialog treten. Abiy sollte sich jetzt mit [dem Gesandten der Afrikanischen Union, dem ehemaligen nigerianischen Präsidenten Olusegun] Obasanjo, mit der TPLF und mit der OLA und allen anderen beteiligten Seiten an einen Tisch setzen und eine Lösung finden. Wir [von den Vereinten Nationen] sind hier, um einen Dialog auf jede erdenkliche Weise zu unterstützen.

Alice Wairimu Nderitu ist seit November 2020 Sonderbeauftragte des UN-Generalsekretärs für die Verhütung von Völkermord. Bereits zuvor hatte sich die Kenianerin einen Namen als Vermittlerin in verschiedenen Konflikten vor allem in Kenia und Nigeria gemacht. Von 2009 bis 2013 leitete sie die Nationale Kommission für Zusammenhalt und Integration (NCIC) in Kenia.

Das Interview führte Mimi Mefo Takambou.

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