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PolitikNahost

Ägypten: Journalistinnen vor Gericht

Cathrin Schaer
6. März 2023

Reporterinnen eines der letzten unabhängigen ägyptischen Medien sehen sich einem Prozess gegenüber, den Beobachter als politisch motiviert kritisieren. Aktivisten fordern breitere internationale Unterstützung.

Protest für Alaa Abd Demonstration für Pressefreiheit in Ägypten vor der ägyptischen Botschaft in Rom, November 2022
Menschenrechts-Demonstration vor der ägyptischen Botschaft in Rom, November 2022Bild: Riccardo Antimiani/ANSA/picture alliance

Der ägyptische Staat gegen Mada Masr: An diesem Dienstag (07.03) soll in Kairo der Prozess gegen drei Journalistinnen des Online-Magazins beginnen. Mada Masr ist eines der letzten unabhängigen, zugleich eines der bekanntesten ägyptischen Medien: Für seine investigative Berichterstattung ist Mada Masr auch über die Grenzen des Landes hinaus bekannt.

"Wir wissen nicht, was uns erwartet", sagt die Chefredakteurin von Mada Masr, Lina Attalah, vor dem Prozess im DW-Interview. Die betroffenen Teammitglieder seien "ruhig und gelassen, zugleich aber auch in Sorge. Noch bevor das Urteil gefallen ist, werden wir von unserer Arbeit in der Redaktion abgehalten" sagt sie. Mada Masr wolle eigentlich nur berichten, gar nicht selbst Gegenstand von Berichterstattung sein - doch dieses Prinzip werde durch den Prozess faktisch verändert. "Dabei wollen wir einfach nur unsere Arbeit machen können."

Missliebige Recherche über Korruption

Der Fall geht zurück auf den August vergangenen Jahres. Damals hatte Mada Masr eine Geschichte über Korruption in einer ägyptischen politischen Partei ("Zukunft der Nation") veröffentlicht. Die Partei unterstützt den seit 2014 amtierenden Staatschef Präsident Abdel-Fattah al-Sisi.

Mitglieder der Partei hätten in einem staatlichen Korruptionsfall "grobes finanzielles Fehlverhalten" erkennen lassen, hieß es in dem damals veröffentlichten Text. Parteimitglieder und -anhänger legten daraufhin Hunderte von Beschwerden ein. Daraufhin luden ägyptische Staatsanwälte die vier Journalistinnen von Mada Masr zum Verhör.

Attalah und drei der Autorinnen des Artikels - Rana Mamdouh, Sara Seif Eddin und Beesan Kassab - wurden wegen Verleumdung und der Diffamierung von Parteimitgliedern angeklagt. Nach einem ersten Verhör wurden die vier Journalistinnen gegen Kaution zunächst freigelassen.

Kurze Zeit sah sich Attalah einer weiteren Anklage gegenüber, dieses Mal wegen der Einrichtung einer nicht lizensierten Webseite. Dabei habe sie bereits 2018 einen entsprechenden Antrag gestellt, jedoch nie eine Antwort von den zuständigen Behörden erhalten, so Attalah. Das ägyptische Gesetz sieht vor, dass die Regulierungsbehörden einen Antragsteller kontaktieren müssen, wenn seine Lizenz abgelehnt wird.

Reporter ohne Grenzen besorgt

"Al-Sisis Regierung hat keine Mühen gescheut, um Mada Masr zum Schweigen zu bringen", sagt Jonathan Dagher, Leiter der Nahost-Abteilung der Medienrechtsorganisation Reporter ohne Grenzen (ROG), gegenüber der DW. Die Journalistinnen von Mada Masr hätten weder verhört noch verhaftet werden dürfen, so Dagher. "Und sie sollten nicht dafür angeklagt werden, dass sie ihre Arbeit machen, die Öffentlichkeit zu informieren."

ROG sei äußerst besorgt über den Ausgang des Prozesses in der nächsten Woche, sagt Dagher. Sollten die Journalistinnen für schuldig befunden werden, könnten sie im schlimmsten Fall zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und einer Geldstrafe von bis zu 300.000 ägyptischen Pfund (knapp 9200 Euro) verurteilt werden.

"Prozesse gegen Journalisten in Ägypten entsprechen in der Regel nicht den internationalen Justizstandards ", betont Dagher. "Deshalb sitzen derzeit 25 Journalisten in Ägypten hinter Gittern. Mehrere von ihnen wurden in politisierten Prozessen verurteilt und später wegen lächerlicher Anschuldigungen für schuldig befunden."

Im jährlichen ROG-Index für Pressefreiheit steht Ägypten derzeit nur auf Platz 168 - von 180 Plätzen insgesamt.

Praktisch alle Medien stünden unter direkter Kontrolle des Staates, der Geheimdienste oder einer Handvoll millionenschwerer und einflussreicher Geschäftsleute mit Verbindungen zur politischen Elite, heißt es in einem Dossier von ROG zu Ägypten aus dem Jahr 2022. "Unabhängige Medien werden zensiert und von Staatsanwälten ins Visier genommen. Medien, die sich weigern, sich der Zensur zu unterwerfen, werden blockiert, wie im Fall der unabhängigen Nachrichtenseite Mada Masr, die seit 2017 in Ägypten nicht mehr zugänglich ist." Nur jenseits der Landesgrenzen ist die Seite abrufbar.

Allerdings sind Beträge von Mada Masr in Ägypten trotz der Sperrung teils über andere Kanäle und soziale Medien abrufbar. In Ägypten ist das Magazin auch mit Hilfe spezifischer Anti-Zensur-Software erreichbar.

Kein Freund der freie Presse: der ägyptische Staatschef Abdel Fattah al-SisiBild: Kamran Jebreili/AP Photo/picture alliance

Menschenrechtler in Haft 

Der Prozess gegen Mada Masr sei nur das jüngste Beispiel gerichtlicher Schikane, sagte Hossam Baghat, Exekutivdirektor der Menschenrechtsorganisation 'Egyptian Initiative for Personal Rights' (EIPR). Der Aktivist und Journalist weiß, wovon er spricht: Er selbst wurde nach einigen der gleichen Gesetze verfolgt, die im Prozess gegen Mada Masr bemüht werden. Seit 2016 ist es ihm untersagt, das Land zu verlassen. EIPR selbst sehe sich derzeit drei Strafverfahren gegenüber, so Baghat.

Die Menschenrechtslage in Ägypten verschlechte sich unterdessen weiter, sagt Baghat. Dies sei auch eine Folge der Klimakonferenz der Vereinten Nationen (COP27), vom November letzten Jahres.

Während der Klimakonferenz, ausgerichtet im ägyptischen Urlaubsort Sharm El-Sheikh, hatten europäische Diplomaten bessere Menschenrechte und größere Pressefreiheit in Ägypten gefordert. Während der Konferenz trat einer der bekanntesten Aktivisten des Landes, Alaa Abdel-Fattah, in den Hungerstreik. Hoffnungen auf seine Freilassung wurden jedoch enttäuscht: Abdel-Fattah blieb in Haft. Engagement und internationaler Druck reichten nicht aus, um seine Freilassung zu bewirken.

Die Regierungen weltweit hätten mehr tun können, um Druck auf die ägyptische Regierung auszuüben, damit sie ihn freilässt", sagte Dagher von "Reporter ohne Grenzen". "Wir sind enttäuscht, dass die internationale Gemeinschaft nicht alles getan hat, um seine Freilassung zu erreichen."

Insgesamt habe sich Situation nach der COP27 sogar noch verschlechtert, sagt Baghat. "Mehr Menschen werden verhaftet, mehr Webseiten werden blockiert, und es gibt jetzt auch noch mehr juristische Schikanen", so Baghat. Bereits zuvor waren auch Blogger verhaftet worden.  

Sanaa Seif, die Schwester des Menschenrechtsaktivisten Alaa Abdel Fattah, fordert zusammen mit der englischen Grünen-Politikerin Caroline Lucas (r.) vor dem Sitz des britischen Außenministeriums in London die Freilassung ihres Bruders, November 2022 Bild: Kin Cheung/AP/picture alliance

Aktivist: Deutschland könnte mehr tun

Auch deutsche Regierungsvertreter, die an der COP27 teilnahmen, hatten sich seinerzeit kritisch zur Menschenrechtslage in Ägypten geäußert. Im vergangenen Dezember ernannte das deutsche Auswärtige Amt Lina Attalah zudem zu einem der Preisträgerinnen des Deutsch-Französischen Menschenrechtspreises 2022.

Die ägyptische Regierung hat Deutschland deshalb Einmischung in innere Angelegenheiten vorgeworfen. Im vergangenen Monat erhielt Luise Amtsberg, die Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und humanitäre Hilfe, seitens Ägypten die Mitteilung, dass ihr kein Visum für einen geplanten Besuch in dem Land erteilt werde.

"Deutschland nimmt das alles hin", klagt Baghat. Dabei ist Deutschland der zweitgrößte Handelspartner Ägyptens in Europa mit einem Handelsvolumen von rund 5 Milliarden Euro, Tendenz steigend. Zudem existieren viele weitere Beziehungen zwischen den beiden Ländern, unter anderem in Form von Krediten und umfangreichen, wenn auch umstrittenen deutschen Waffenverkäufen.

Deutschland hat Einfluss in Ägypten, nicht zuletzt dank seiner Waffenlieferungen Bild: Joerg Waterstraat/picture alliance

"Die deutsche Regierung könnte sehr viel mehr tun, um gegen Menschenrechtsverletzungen in Ägypten vorzugehen", meint Baghat. Wenn Deutschland zudem Preise wie den an die bald vor Gericht stehenden Redakteurin Attalah vergebe, stehe es in noch größerer Verantwortung, sich gegen diese Verstöße auszusprechen", so Baghat.

Wenn das Gerichtsverfahren beginnt, hofft Attalah auf mehr Unterstützung, sowohl lokal als auch international. "Ich wünsche mir einfach, dass jeder, der das Privileg und ein gewisses Druckmittel hat, sich gegen einen Prozess ausspricht, der die Pressefreiheit gefährdet", sagte sie.

DW hat die ägyptischen Behörden um eine offizielle Stellungnahme gebeten, aber bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels keine Antwort erhalten.

Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.

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