Und über allem thront das Matterhorn
28. Januar 2019Vielleicht beginnt die Liebe auf der Kirchbrücke in Zermatt, wenn man die Sonne über dem Matterhorn aufgehen sieht. Frierend harren die Touristen aus. Alle sind sie gekommen, nur um ihn zu sehen: den Hore, wie die Einheimischen liebevoll ihren Berg nennen. So viele drängen sich dort manchmal mit ihren Kameras, dass man jetzt plant, die Brücke auszubauen, erzählt Mathias Imoberdorf von den Zermatter Bergbahnen.
Dieser Wintertag ist für ihn kein einfacher. Oben auf dem Berg bläst der Wind. Wie lange die neue Dreiseilbahn, die höchste der Welt, heute noch fahren kann, ist deshalb unsicher. Schaukelig könnte es werden, meint er noch, bevor die Fahrt beginnt in der neuen Luxusbahn, mit Ledersitzen und Swarovskisteinen, die außen und innen funkeln, quasi der Ferrari unter den Bergbahnen. Passend für einen Ort wie Zermatt, in dem die Sektkorken ein bisschen öfter knallen als anderswo.
Wie Fliegen sei das, schwärmt Mathias Imoberdorf, während der Glasboden der Gondel 170 Meter über der Gletscherlandschaft plötzlich den Blick freigibt auf das höchstgelegenste Skigebiet Europas. Selbst im Juli kann man hier noch über die Pisten gleiten. Oben auf dem Klein Matterhorn auf 3883 Meter ist es bitterkalt. Und während einem der Wind um die Ohren pfeift, kann man sich gut vorstellen, welchen extremen Bedingungen die Arbeiter beim Bau der Seilbahn ausgesetzt waren. Bei Windgeschwindigkeiten bis zu 180 Stundenkilometern und minus 30 Grad.
Ein Märchenpalast aus Eis
15 Meter tiefer ist es windstill, können die Besucher eintauchen in eine Märchenwelt aus ewigem Eis. Durch einen Tunnel gelangt man in eine riesige begehbare Gletscherspalte. Eiskünstler haben die vielen einheimischen Motive gestaltet: Murmeltiere, Kühe und Adler. Mittendrin ein chinesischer Drache, denn immer mehr Asiaten kommen nach Zermatt, tausende, nur um das Matterhorn einmal zu sehen.
Auch an diesem Tag sitzen sie wieder oben im Restaurant. "Dieser Berg ist unser Star, unser einziger" sagt Imoberdorf schmunzelnd, als einige Gäste begeistert erzählen, dass sie gestern Elton John gesehen haben. Ein Berg also, umschwärmt von Touristen und Einheimischen gleichermaßen, quasi ein Superstar.
Das Dorf unter dem Dorf
Unten im Tal schaut auch Edy Schmid jeden Morgen als erstes nach seinem geliebten Matterhorn. Die Geschichte des Dorfes kennt er so gut wie kaum ein anderer. Und mit einem fröhlichen "Jetzt werden Sie erstmal 150 Jahre älter", lädt er einen ein, sein unterirdisches Museum zu besuchen: "Zermatlantis", direkt unter dem Kirchplatz, mit Originalhäusern von damals, als die Zermatter noch einfache Bauern waren.
Dann bezwang 1865 Edward Whymper aus England das Matterhorn. Der Abstieg endete tragisch, vier Menschen stürzten in den Tod und machten damit Zermatt weltberühmt. Aus Bauern wurden Hoteliers und aus den alten Speichern und Ställen Luxuschalets, wie das Chalet Pico, früher ein Schweinestall. Denn nach der Erstbesteigung strömten die Engländer in Scharen nach Zermatt. Das Originalseil von damals ist im Museum ausgestellt wie ein kostbarer Schatz hinter einer Glasvitrine. Ein Seil mit vielen Geheimnissen: Bis heute ist unklar, wie es zu dem Unglück kam.
Skiort mit Weltruf
Und so lebt der Ort mit seinen 5600 Einwohnern auch von der Tragödie, kommen Touristen auch deshalb immer wieder hierher. Via Zermatt Shuttle mit der Bahn von Täsch direkt ins Herz des Matterhorndorfes. 35.000 Urlauber sind es jetzt im Winter in der Hochsaison. Autofrei ist das Dorf, per Volksabstimmung wurde das 1972 entschieden. Unmengen Elektroautos flitzen durch den Ort. Selbst die Polizei und der Postmann sind nur mit Elektrowägelchen unterwegs. Und wer in Zermatts kleiner Buchhandlung stöbern geht, hat die Qual der Wahl. So viele Matterhorn-Bücher gibt es hier. Mitten zwischen all den Bildbänden und Bergsteigergeschichten auch: "Der Wächter des Matterhorns" von Kurt Lauber. Mehr als 20 Jahre hat er als Hüttenwart auf der Hörnlihütte gearbeitet, dem Ausgangspunkt für Touren auf das Matterhorn. Ein Mann, der sich schon fast verheiratet fühlt mit diesem Berg: "In guten wie in schlechten Zeiten."
Glück und Leid am Matterhorn
Denn immer wieder fordert der Berg Tote. Lauber hat so nicht nur das Glück der Bergsteiger, sondern auch das Leid der Angehörigen erlebt, die oben auf der Hörnlihütte vergebens gewartet haben. Mitten im Dorf neben der Kirche wurde deshalb der Bergsteigerfriedhof errichtet. "I chose to climb, ich wählte das Klettern", steht auf einem der schneebedeckten Gräber, die noch heute mit Kerzen und Blumen geschmückt werden. Die Bewohner haben zu diesen Toten eine tiefe Verbindung. Denn jeder im Dorf hat seine ganz eigene Matterhorn-Geschichte, seine ganz eigene Beziehung zum Berg.
Auf den Spuren von Edward Whymper
So wie Philippe Oswald, der seit zwanzig Jahren in Zermatt lebt und der trotzdem noch jeden Tag ein Foto schießt vom Matterhorn. Geradezu vergnügt führt er einen durch sein Hotel, um dessen Marketing er sich keine Sorgen machen muss. Denn es war sein Hotel, in dem Edward Whymper damals nächtigte und dessen Ruf um die Welt ging.
Heute ist das "Monte Rosa" ein 4-Sterne-Haus direkt am Dorfplatz. Wer genauer hinschaut, kann dort die bronzenen Platten im Steinboden entdecken, die den Erstbesteigern gewidmet sind: Zermatts "Walk of Fame". Im Whymper Salon des Hotels hängen Bilder des berühmten Bergsteigers, und eine Wand von damals mit zarten Jugendstilmotiven wurde freigelegt. "Es gefällt mir einfach, in diesem alten Haus herumzuspazieren", meint Philippe Oswald lachend, der so viele Matterhorn- und Whymper Bilder besitzt, dass er damit ein ganzes Museum füllen könnte.
Ein magischer Berg
"Das Matterhorn ist in Zermatt einfach allgegenwärtig", sagt Kurdirektor Daniel Luggen, der wie der Berg über sein kleines Dorf wacht. Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. "38 Viertausender umgeben Zermatt, aber alle Augen sind immer nur auf ihn gerichtet. Ein Berg, dem wir viel zu verdanken haben."