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Politik

Und jetzt, Katalonien?

Mariel Müller
6. Oktober 2017

Die Katalanen schauen mit großer Unsicherheit in die Zukunft, mit Misstrauen auf die Medien und mit zunehmendem Groll auf die Politiker beider Seiten des Konflikts: Puigdemont und Rajoy. Aus Barcelona Mariel Müller.

Barcelona Katalonien Demonstration neu
Bild: DW/M.Müller

"Nein nein, lieber kein Foto, ich will nicht, dass Puigdemont das sieht!", Zviad lacht zwar, als er das sagt, aber er bleibt hart bei seinem Fotoverbot. Er meint es ernst. Der große Mann mit dem weichen Blick ist Besitzer einer kleinen Autowerkstatt. Vor 15 Jahren ist er von Madrid nach Barcelona gezogen. "Zuagroaster", würde man ihn in meiner bayerischen Heimat nennen. Eigentlich ist er ganz zufrieden, erzählt er. Das Geschäft laufe gut. Auf die Zukunft angesprochen, runzelt er aber die Stirn. "Die Situation gerade macht mir Sorgen. Niemand weiß, was als Nächstes passieren wird." Es sei nicht korrekt, was Carles Puigedmont, der katalanische Präsident, da mache, Spanien sollte sich nicht teilen.

Eine Frau in Shorts kommt mir entgegen. Es ist ein ungewöhnlich warmer Oktobernachmittag. Ich laufe durch Gràcia, ein "In-Viertel" Barcelonas, wo sich Cafés und Tapas-Bars aneinander reihen. Auf einem kleinen Platz unterhalten sich zwei Frauen und ein Mann mittleren Alters angeregt. Die Worte "Unabhängigkeit erklären" fallen und ich frage sie, ob ich mich dazustellen darf. "Na klar, aber unsere Namen sagen wir nicht", lautet die prompte Antwort. Warum nicht? "Wir wollen nicht, dass Arbeitskollegen unsere Meinung kennen. Die Gemüter sind zur Zeit sehr erhitzt."

"Europa muss einen Vermittler schicken"

Wie es weitergeht mit Katalonien, will ich wissen. "Europa muss einen Vermittler schicken, das ist ganz klar", sagt der Mann. "Sonst eskaliert die Lage", und es trete der Fall ein, den alle drei fürchten: Die spanische Regierung wendet Verfassungsartikel 155 an, entmachtet die Regionalregierung und entzieht Katalonien die Teilautonomie. "Lächerlich", sagt eine der Frauen. Der Artikel sei de facto schon seit Wochen in Kraft. "Sie haben unsere Finanzen unter Kontrolle, die Militärpolizei haben sie geschickt, was wollen sie denn noch?" Trotzdem habe sie Angst, sagt sie, dass ihre Rechte noch weiter beschnitten werden könnten. "Am Ende können wir nicht mal mehr protestieren, alles wird unterdrückt und wir dürfen nichts mehr machen."

“Sense Por” - “Ohne Angst” steht auf dem Transparent über der Placeta de Sant MiqueBild: DW/M.Müller

Die drei haben beim Referendum für "ja" gestimmt. Sie hoffen, dass der katalanische Präsident Puigdemont bald in Verhandlungen mit Ministerpräsident Mariano Rajoy einen guten Deal für Katalonien herausschlagen wird. "Wir haben es satt, dass alle am Tisch Langusten zu essen bekommen und wir nur Reis", echauffiert sich eine Frau. Das Problem seien die hohen Steuern und dass nichts von dem Geld in Katalonien ankomme. "Aber keiner hier will Grenzen, wir haben alle Familie in Rest-Spanien, auch aus der EU wollen wir nicht raus", sind sie sich einig. Ebenso sollen die wirtschaftlichen Vereinbarungen mit Spanien und anderen EU-Ländern weiterhin gültig bleiben, damit Kataloniens Wirtschaft nicht leiden müsse. Aber wollen Sie dann die "Unabhängigkeit", was auch immer das heißen mag, oder nur einen besseren Finanzdeal mit Madrid?, frage ich. Stille.

Lieber für einen Finanzdeal statt für Unabhängigkeit protestieren

Genau das hatte mir nämlich der Taxifahrer Javier Burgada auf dem Weg nach Gràcia mitgegeben. "Wenn Madrid schon vor Jahren Zugeständnisse hinsichtlich der Steuereinnahmen gemacht hätte, wäre diese ganze Separatismus-Bewegung gar nicht erst so groß geworden." Seinen Freunden, die die Unabhängigkeit befürworten, hätte er deshalb vorgeschlagen, für einen besseren Finanzpakt auf die Straße zu gehen, statt für die Unabhängigkeit. Darauf wollte sich aber keiner einlassen, lacht er.

Auf dem kleinen Platz in Gràcia findet eine der Frauen zuerst eine Antwort: "Das würde uns ja ziemlich schlecht aussehen lassen, wenn man das so formuliert." Es sei natürlich viel mehr als das, sagt die andere. Dass wir nicht respektiert werden von ganz Spanien zum Beispiel.

Als sie zum Bus müssen, dreht sich der Mann nochmal um und ruft mir zu: "Berichte ja richtig!"

Nuria Melendo, Mitte Dreißig, Sommersprossen, OP-Schwester, hätte sich eine neutrale, unparteiische Institution gewünscht, die die Leute über die tatsächlichen Vor- und Nachteile der Unabhängigkeit informiert. "Die Politiker drehen die 'Fakten' (Anführungszeichen zeigend) so hin, wie sie sie wollen. Und auch die Medien unterstützen entweder die eine oder die andere Seite. Wir, die arbeitende Bevölkerung, haben doch keine Zeit uns Expertenwissen zu Politik und Wirtschaft Kataloniens anzulesen." Nuria heißt nicht wirklich Nuria, auch sie will nicht, dass ihr Name in dem Zusammenhang im Internet zu finden ist.

Sehenden Auges in Konfrontation gesteuert

Eine Straße weiter stellt José Rodriguez einen Fuß in eine Haustür. Seit dem frühen Morgen ist er unterwegs, eine Stunde braucht er wohl noch für die restlichen Umschläge. Als ich ihn nach der Zukunft Kataloniens frage, stöhnt er laut auf. "Mit ein bisschen Ruhe werden wir wieder dahin zurückkommen, wo wir waren", sagt er. "Ich hätte nie gedacht, dass es so weit kommen würde,  dass diese Politiker es so weit kommen lassen." Bei dem Gedanken wirkt er gleich wacher. Beide, Rajoy und Puigdemont, seien sehenden Auges auf eine Konfrontation zugesteuert – und die Katalanen werden es seiner Meinung nach ausbaden müssen. "Die Leute wissen überhaupt nicht was ein 'unabhängiges Katalonien' bedeutet. Die Regionalregierung hat nur von der wirtschaftlichen Unabhängigkeit gesprochen, aber niemand will Grenzen."
Für Elísabet war am Vorabend auf der Heimweg im Bus eine persönliche Grenze erreicht. Sie seien an einer kleinen Menschengruppe mit spanischen Flaggen vorbeigefahren, als diese plötzlich anfingen, gegen den Bus zu treten. "Ich dachte, die kippen den um. Ich hatte richtig Angst." Leute aus dem Ausland seien das gewesen, "aus Madrid meine ich", korrigiert sie sich. "Die werden bezahlt, damit die herkommen um einen Krieg anzufangen!" Eine Kundin nickt eifrig: "Polizisten der Guardia Civil (Anm.: die spanische Militärpolizei) verkleiden sich als normale Leute, um genau so etwas zu provozieren."

Bäckerin Elísabet: “Es ist schon ein wie ein halber Krieg”Bild: DW/M.Müller
Briefträger José Rodriguez ist gegen die UnabhängigkeitBild: DW/M.Müller

Die Situation zur Zeit sei schon wie eine 'Semi-Guerra', ein halber Krieg, sagt Elísabet. "Die Politiker müssen jetzt miteinander reden. Das hätten sie schon längst tun sollen."

Da fällt mir Taxifahrer Javier Burgada wieder ein, der sich Sorgen um seine zukünftige Kundschaft, größtenteils Touristen, macht: "Wir werden 50 Jahre zurückgeworfen, nur weil das ein paar Politiker beschließen." Die Mehrheit der Katalanen, "die schweigende Mehrheit" wolle keine Unabhängigkeit. Europa werde noch auseinanderbrechen, befürchtet er. "Fängt Katalonien an, ziehen andere in Belgien, Italien oder Deutschland nach."

Was Deutschland angeht, kann ich ihn zumindest ein bisschen beruhigen: Die Bayernpartei, die schon lange die Abspaltung Bayerns von Deutschland fordert, hat bei der Bundestagswahl gerade einmal 0,8 Prozent geholt.