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UNESCO-Titel weg: Schlag für Liverpool?

23. Juli 2021

Zum dritten Mal streicht die UNESCO einen Welterbetitel. Es trifft Liverpool, eine Stadt, die sich modernisiert - und deshalb gegen die Auflagen verstößt.

Moderne Bürokomplexe am Hafen von Liverpool
Wegen der Bürokomplexe am Hafen hat Liverpool keinen Welterbetitel mehrBild: Jason Wells/Loop Images/picture alliance

Großbritannien belegt den achten Platz im weltweiten Titel-Ranking der UNESCO-Welterbestätten. Doch statt 32 sind es ab sofort nur noch 31 ausgezeichnete Orte. "Der heutige Verlust des Welterbestatus für unsere Stadt ist, auch wenn er erwartet wurde, ein großer Schlag für unser internationales Ansehen und wird sich zweifellos auf unseren Tourismus und auf Investitionen auswirken", schreibt Richard Kemp, Liberaldemokrat und Ratsmitglied der Stadt Liverpool auf Twitter.

Im seinem folgenden Kommentar beschreibt Kemp, welche positiven Auswirkungen der Titel UNESCO-Weltkulturerbe auf die Stadt Liverpool hatte. "Als wir den Status 2004 erhielten, half er uns, neben dem Gewinn des Titels 'Kulturhauptstadt Europas', den nationalen und globalen Blick auf unsere Stadt zu verändern. Bis diese beiden Dinge geschahen, waren wir weltweit nur Beatles und Fußball (...). Die Menschen mieden unsere Stadt, um sie zu besuchen, hier zu leben und zu investieren." Doch trotz dieser offenbar positiven Effekte des Titels, hat sich die Stadt nicht bemüht, die Vorgaben einzuhalten und stattdessen weitere Großbauprojekte forciert - obwohl die UNESCO schon 2012 angedroht hatte, Liverpool wegen "substantieller" baulicher Eingriffe der 136 Hektar großen Hafenfront und des Docks seinen Welterbe-Status zu entziehen. 

Unesco-Titel: Begehrte PR-Maßnahme

In den Liverpool Docks soll das "Bramley-Moore Dock Stadium" entstehenBild: Paul Ellis/AFP/Getty Images

Im UNESCO-Bericht von Juni war bereits nachzulesen, dass groß angelegte Infrastrukturprojekte wie der Wohn- und Bürokomplex "Liverpool Waters" sowie der neue Fußballtempel Bramley-Moore Dock Stadium einen Verlust des Charakters der "maritimen Handelsstadt Liverpool" bedeuten würden. Deshalb wolle man Liverpool den Titel entziehen. Derzeit tagt die UNESCO und entscheidet, welche Landschaften, Denkmäler oder Orte künftig neu auf die Liste der Welterbestätten einen Platz finden dürfen. Bei dieser Gelegenheit können auch Orte, die den Titel nach Ansicht der Unesco nicht mehr verdienen, gestrichen werden. Genau das ist der Stadt Liverpool nun passiert. 

Leidet die UNESCO an Eurozentrismus?

Die Auszeichnung "UNESCO-Weltkulturerbe" bringt PR und wirkt sich positiv auf die Tourismusbranche aus - das macht eine Bewerbung um den Titel interessant. Seit Gründung des "Übereinkommens zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt" vom 16. November 1972 hätten viele Länder diese Attraktivität erkannt, sagt Christoph Brumann, Forschungsgruppenleiter am Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung in Halle. Doch einige Länder profitieren offenbar mehr als andere: In Europa befinden sich laut einer UNESCO-Statistik zahlenmäßig die meisten Welterbestätten.

Nicht für alle scheint der Titel in Stein gemeißelt: "Auch wenn es einen gewissen Verlust an Touristen in Liverpool geben wird, kann die Stadt nun machen, was sie will, und muss sich nicht mehr gefallen lassen, dass sich das Welterbekomitee oder die britische Regierung in ihre Baupläne einmischt", findet Christoph Brumann.

Wie man Welterbestätte wird

Für die Nominierung gibt es vor allem ein Kriterium: Die Stätte muss einen außergewöhnlichen universellen Wert besitzen. Die Länder müssen sich zunächst selbst bewerben, anschließend kommt es zu einer Evaluierung. Bei Kulturstätten tritt der Internationale Rat für Denkmalpflege (ICOMOS) in Aktion, bei den Naturstätten die Weltnaturschutzunion (IUCN). Die beiden Vereinigungen geben ihre Empfehlungen ab, das Unesco-Welterbekomitee, das jedes Jahr aus anderen 21 gewählten Vertragsstaaten besteht, trifft dann die endgültige Entscheidung. 

Die meisten Welterbestätten befinden sich in Europa - zum Beispiel der Kölner DomBild: manfredxy/Zoonar/picture alliance

Christoph Brumann hat dieses Verfahren in seinem im März 2021 erschienenen Buch "The Best We Share: Nation, Culture and World-Making in the Unesco World Heritage Arena" unter die Lupe genommen. Der Ethnologe hat die Abläufe der UNESCO-Sitzungen beobachtet und mit Teilnehmern gesprochen. Dabei fiel ihm eine Schieflage auf: "Eigentlich sollten Kulturerbe und Naturerbe gleichermaßen auf die Welterbeliste kommen. Doch sie besteht zu 80 Prozent aus Kulturerbe." Aus ethnologischer Perspektive sei es unmöglich, einen objektiven Wert von Kultur zu ermitteln, sagt Brumann. Doch genau dieses Ziel verfolge die UNESCO. "Sie will schützen, was für die ganze Menschheit relevant ist. Doch wie findet sie solche Stätten?", habe die paradoxe Ausgangsfrage gelautet.

Christoph Brumann: Lobbyisten beeinflussen UNESCO-Entscheidungen

Nicht immer seien die Kriterien objektiv nachvollziehbar, wie Brumann im DW-Interview sagt. In seinem Buch legt er dar, dass die Dominanz des Globalen Nordens der Idee einer gleichberechtigten Weltgemeinschaft von Anfang an entgegenstand und dass die UNESCO-Mitglieder ihre nationalstaatlichen Interessen seit der Komiteesitzung 2010 in Brasilien mit zunehmender Kompromisslosigkeit durchsetzen. "Es ist ganz offensichtlich, dass Absprachen und Lobbying stattfinden - und auch, dass sich die Staatsvertreter häufig über Verfahrensregeln hinwegsetzen. So lässt sich auf den Sitzungen eigentlich fast alles entscheiden."

Es seien sogar Stätten wie der Naumburger Dom auf die Liste gekommen, obwohl Experten dagegen gestimmt hätten. Im Falle Liverpools habe ihn allerdings gewundert, dass der Titel am Ende tatsächlich aberkannt worden sei. "Die Streichung eines weiteren Titels nach Oman 2007 und Dresden 2009 habe ich nicht für möglich gehalten", so Brumann. Oman war damals abgestraft worden, weil es das Wildschutzgebiet für arabische Oryx-Antilopen verkleinert hatte.

Völklinger Hütte

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Dresden hatte den Titel zwei Jahre später abgeben müssen - wegen des Baus der Waldschlößchenbrücke. Die britische Regierung habe sich allerdings auch nicht genug engagiert, um die Aberkennung herauszuschieben. "Großbritannien hat es versäumt, einen seiner Freunde unter den Komiteestaaten einen Änderungsantrag einbringen zu lassen." Unüblicherweise sei eine Vertreterin des Kulturministeriums und nicht des Außenministeriums in der Konferenz aufgetreten. Hinzu käme, wie Brumann sagt: "Die britische Vertreterin wirkte von der Kleidung angefangen wie aus dem Urlaub zugeschaltet und trat alleine auf, ohne Denkmalexperten und Diplomaten. Das kann die anderen Staaten kaum vom britischen Engagement für den Status überzeugt haben."

China nutzt Einfluss aus

Auch Rückhalt von den internationalen Staatenvertretern habe Liverpool gefehlt: Mit Norwegen sei im Komitee ein "sehr regeltreues Land" vertreten, sagt der Ethnologe. Außerdem habe China den Ausschussvorsitz, eines der Länder, das am meisten Grund habe, "Großbritannien ärgern zu wollen". "Denken Sie an Hongkong oder an die britische Kritik an den Uiguren-Camps. Die beiden Länder haben ein sehr schlechtes diplomatisches Verhältnis."

Das Abstimmungsergebnis lautete 13:5 für die Streichung des UNESCO-Welterbetitels. Wie sich diese Entscheidung in Liverpools Stadtentwicklung und touristischem Marketing wiederspiegelt, wird sich wohl erst in den nächsten Jahren zeigen. 

Zur Zeit machen sich gerade wieder neue Stätten Hoffnung auf den begehrten Titel: Auf der UNESCO-Tagung sind unter den rund 40 Nominierungen für neue Welterbestätten auch wieder fünf Bewerbungen mit deutscher Beteiligung: Die Künstlerkolonie Mathildenhöhe in Darmstadt, das jüdische Kulturerbe in Mainz, Speyer und Worms, die Kurorte Baden-Baden, Bad Ems und Bad Kissingen als Teil bedeutender historischer Bäder in Europa sowie die römischen Grenzwälle Donaulimes und der Niedergermanische Limes.

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