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Völklinger Hütte erinnert an Zwangsarbeiter

Laura Döing mit dpa, kna, epd, voelklinger-huette.org
30. Oktober 2018

Granaten und Flugzeugteile stellten Arbeiter in der Nazizeit in der Völklinger Hütte her. Viele von ihnen waren nach Deutschland verschleppt worden. Eine Kunstinstallation erinnert nun an sie.

Installation Zwangsarbeiter
Bild: picture-alliance/dpa/O. Dietze

Stimmen flüstern ihre Namen aus allen Ecken: Rocco Persico, Rita Kotowa, Valentin Setzko - Männer, Frauen und Kinder aus 20 Ländern, verschleppt nach Deutschland aus den von Hitlers Truppen besetzten Gebieten und zur Arbeit unter menschenverachtenden Bedingungen im Stahlwerk in Völklingen gezwungen. Ein Kleiderberg aus schwarzen Hosen und Jacken liegt auf dem Boden, eine Schlucht von aufeinander gestapelten Archivkisten führt auf ihn zu. Das Licht: spärlich. So erinnert der französische Künstler Christian Boltanski an 12.396 Menschen aus Albanien, Belgien, Bulgarien, Dänemark, Estland, Frankreich, Italien, Jugoslawien, Kroatien, Luxemburg, Litauen, Marokko, den Niederlanden, Polen, Serbien, Slowenien, der Sowjetunion, Tschechien, der Ukraine und Ungarn. 

Gang durch die Geschichte: "Die Zwangsarbeiter" von Christian BoltanskiBild: picture-alliance/dpa/O. Dietze

Während des Zweiten Weltkriegs wurden sie nach Deutschland verschleppt. In Völklingen nahe der französischen Grenze im Westen Deutschlands angekommen, wurden ihnen die Ausweise abgenommen. Sie mussten auf ihrer Kleidung ein Abzeichen tragen und in geschlossenen Barackenlagern leben. Per Rundschreiben wurde der Belegschaft des Werks ein freundlicher Umgang mit den Gefangenen untersagt: "Feind bleibt Feind!"

261 Zwangsarbeiter auf Völklinger Hütte in Nazizeit gestorben

Der damalige Chef des Werks, Hermann Röchling, war ein glühender Verehrer Adolf Hitlers. Er gehörte zum Führungsstab der nationalsozialistischen Kriegswirtschaft und war als Chef der Reichsvereinigung Eisen für die gesamte Rüstungsindustrie der Nationalsozialisten verantwortlich. Nach Forschungen der Historikerin Inge Plettenberg starben 261 der Zwangsarbeiter, darunter 60 Kinder und Kleinkinder. Einigen von ihnen wurden in Gefangenschaft geboren und erlebten nicht einmal ihren ersten Geburtstag.

Christian BoltanskiBild: AFP/Getty Images/M. Riopa

Die Installation des Künstlers Boltanski soll bewegen; einen emotionalen Zugang zu diesem dunklen Kapitel des Stahlwerks und Deutschlands schaffen. Die Völklinger Hütte war einst der größte Eisenträgerhersteller Deutschlands. 1873 wurde das Werk gegründet. Auch im Ersten Weltkrieg stellte das Stahlwerk Kriegsgerät her: Hier wurde bis zu 90 Prozent des Rohstahls für die neuen deutschen Stahlhelme, die ab 1916 ausgegeben wurden, gefertigt.

Ebenfalls wurden während des Ersten Weltkriegs Kriegsgefangene aus Russland und Frankreich sowie Zivilarbeiter und Zivilarbeiterinnen aus Belgien und Italien zur Arbeit in dem Werk gezwungen. Insgesamt werden in den Firmenchroniken 1446 Zwangsarbeiter aufgelistet. 143 von ihnen kamen zu Tode.

Auch an sie soll die Installation, die nun ständig auf der Völklinger Hütte zu sehen sein wird, erinnern. Die Zahlen der Opfer sind jedoch nicht eindeutig, merken die Autoren der jetzt erschienenen und online kostenlos verfügbaren Broschüre "Die Zwangsarbeiter in der Völklinger Hütte" an. Es sei gerade für den Zeitraum des Ersten Weltkriegs schwierig gewesen, alle Zwangsarbeiter zu erfassen. Ein Überblick über die Forschungsarbeiten, die die Völklinger Hütte zusammen mit Historikerin Plettenberg als Buch herausgebracht hat, ist online auf Deutsch, Englisch und Französisch veröffentlicht und beinhaltet auch eine Auflistung der aufgefundenen Namen der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter.

Bild: picture-alliance/imageBROKER/W. Dieterich

"Die Industriekultur in allen europäischen Ländern war keine unschuldige Kultur", sagte der Generaldirektor und Geschäftsführer der Völklinger Hütte, Meinrad Maria Grewenig, bei der Vorstellung der Kunstinstallation. Diese steht allerdings nicht für sich allein. In einer multimedialen Dokumentation bekommen Besucher Informationen über die Zwangsarbeit in der Völklinger Hütte. 

In den 1960er Jahren erlebte der Stahl eine Boom-Zeit: Rund 17.000 Menschen arbeiteten in dem Werk. Die weltweite Stahlkrise erfasste jedoch schließlich 1975 auch die Völklinger Hütte; 1986 hörten die Schlote in Völklingen auf zu rauchen. 1994 erklärte die UNESCO die Völklinger Hütte zum Weltkulturerbe. 

Hüttenarbeiter erzählen in weiterer Installation von Christian Boltanski

Auch an die Zeit der rauchenden Schlote erinnert Künstler Boltanski in einer Installation. 91 Spinde aus allen Betriebsteilen der Völklinger Hütte gruppiert Christian Boltanski, magisch beleuchtet, in der 800 Quadratmeter großen Erzhalle. Gesprochene Erinnerungen an die Arbeit in der Völklinger Hütte von ehemaligen Hüttenarbeitern dringen aus den Spinden. Diese Spinde sind Kristallisationspunkte der Arbeit, innen privat und außen Teil der Völklinger Hütte, vermitteln sie auf höchst eindrucksvolle Art eine besondere Form der Erinnerung und Wertschätzung der Arbeit.

In "Erinnerungen" lässt Christian Boltanski ehemalige Stahlarbeiter erzählenBild: picture-alliance/dpa/O. Dietze

Diese Installation wird lediglich bis zum 31. August 2019 auf der Völklinger Hütte zu sehen sein. Der 1944 in Paris geborene Boltanski ist Konzeptkünstler, Maler, Bildhauer und Filmemacher. Er war bisher drei Mal auf der Kasseler Kunstausstellung documenta vertreten und gestaltete 2011 den französischen Pavillon der 54. internationalen Kunstbiennale von Venedig. Boltanskis Arbeiten sind in Häusern wie dem Museum of Modern Art in New York, der Tate in London oder dem Centre Georges Pompidou in Paris zu sehen.

Kultur statt Stahl

Seitdem kein Stahl mehr in Völklingen gekocht wird, finden hier regelmäßig Kulturveranstaltungen statt: So feiern hier jedes Jahr Elektro-Jünger auf dem Elektro Magnetic Festival. Freunde der urbanen Kunst können alle zwei Jahre bei der UrbanArt Biennale Streetart aus der ganzen Welt bestaunen.

Die Weltkulturerbestätte kündigte an, dass ab sofort alle Führungen durch das heutige UNSECO-Weltkulturerbe immer auch die Situation der Zwangsarbeiter in den zwei Weltkriegen behandeln. Die Forschung dazu solle fortgesetzt werden.

Kunst des algerischen Streetart-Künstlers Fouad Ceet auf der UrbanArt! Biennale 2015Bild: picture-alliance/dpa/Dietze

 

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