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Politik

Orbáns Feldzug gegen die "Soros-Söldner"

1. August 2018

Die ungarische Regierung geht mit immer schärferen Gesetzen und zweifelhaften Methoden gegen Nichtregierungsorganisationen vor. Keno Verseck hat mit Betroffenen gesprochen.

Deutschland | Soros' Open Society Institut zieht an den Potsdamer Platz in Berlin
Die Open Society Stiftung zieht an den Potsdamer Platz in Berlin Bild: DW/F. Hofmann

In der Budapester Molnár-Straße Nummer 19 geht in diesen Tagen still eine Ära zu Ende. Hier hatte bisher die Open Society Stiftung des US-Börsenmilliardärs George Soros ihr europäisches Hauptquartier. Nun werden in den Räumen des unscheinbaren Bürogebäudes die Akten verpackt und die Rechner vom Netz genommen. Man zieht um. Mitarbeiter bemühen sich in Gesprächen um einen nüchternen Ton. Doch allen ist bewusst, dass dieser Umzug einen Epochenwandel anzeigt.    

Zum 31. August verlegt die Open Society Stiftung ihren Sitz nach Berlin. Der Grund ist das "repressive politische und gesetzliche Klima in Ungarn", wie die OSF-Leitung bereits im Mai mitteilte. Damit geht in Budapest zu Ende, was dort vor dreieinhalb Jahrzehnten begonnen hatte: Der US-Börsenmilliardär George Soros hatte in der ungarischen Hauptstadt seit 1984 antikommunistische Oppositionelle unterstützt und nach dem Wendejahr 1989 von dort aus zivilgesellschaftliche Aktivitäten in der gesamten mittel- und südosteuropäischen Region finanziell gefördert. "Es ist wichtig zu betonen, dass wir zwar physisch in Berlin sein werden, aber die Unterstützung für die Region nicht abgeschafft wird", sagt der langjährige Stiftungsmitarbeiter und Leiter des OSF-Mittelosteuropa-Programmes Péter Nizák. "Doch es stimmt, tatsächlich geht ein Kapitel zu Ende."

Kriminalisierung von NGOs, die angeblich "illegale Migration fördern"

Der OSF-Umzug nach Berlin ist Ausdruck dafür, unter welchem Druck zivilgesellschaftliche Organisationen in Ungarn, aber auch anderswo in der Region stehen. Sie sind eine der letzten und wichtigsten Säulen unabhängiger Staats- und Machtkontrolle - und damit ein beträchtliches Hindernis für Machthaber wie Viktor Orbán, deren Staatsumbau autoritäre Züge hat und mit Korruption und Intransparenz einhergeht. 

Feindbild von Viktor Orbán: Der US-Milliardär jüdisch-ungarischer Abstammung George Soros Bild: Getty Images/S. Gallup

Ende Juni hatte Ungarns Premier im Parlament ein Paket von Gesetzes- und Verfassungsänderungen verabschieden lassen, das den Namen "Stop Soros" trägt und eine Handhabe zur Kriminalisierung zivilgesellschaftlicher Organisationen bietet, wenn diese "illegale Migration fördern". Zugleich wurden auch Einschränkungen des Asylrechts, der Versammlungsfreiheit sowie ein neuer Zweig der Gerichtsbarkeit eingeführt. Vor zehn Tagen verabschiedete das ungarische Parlament außerdem eine sogenannte "Einwanderungssondersteuer" - eine 25-prozentige Strafsteuer auf alle Einnahmen von Nichtregierungsorganisationen, wenn diese "illegale Migration fördern".

Dabei sind das nur die neuesten Maßnahmen beim Vorgehen der Orbán-Regierung gegen zivilgesellschaftliche Organisationen. Bereits vor vier Jahren, im Juli 2014, hatte Orbán in seiner inzwischen berühmten Bad Tusnáder Rede über den Aufbau eines illiberalen Staates in Ungarn ein hartes Vorgehen gegen zivile Aktivisten angekündigt. Zeitgleich hatten ungarische Behörden zivile Organisationen monatelang wegen angeblicher Steuervergehen schikaniert. Im September 2014 gipfelte das in einer spektakulären Polizeirazzia gegen die NGO Ökotárs und der Verhaftung ihrer Leiterin Veronika Móra. Seit 2017 müssen Nichtregierungsorganisationen in Ungarn, die umgerechnet mehr als 23.000 Euro jährlich von ausländischen Geldgebern erhalten, sich als "aus dem Ausland finanziert" deklarieren.

Psychologischer Druck und Listen mit "Soros-Söldnern" in Zeitungen

Parallel zu solchen gesetzlichen Maßnahmen stehen zivilgesellschaftliche Organisationen auch zunehmend unter psychologischem Druck: Vor der Parlamentswahl Anfang April veröffentlichte die Regierungszeitung "Magyar Idök" angebliche Investigativberichte, denen zufolge "Soros-Aktivisten" in Ungarn staatsfeindliche Unruhen provozieren wollten. Nach der Wahl listete das regierungsnahe Blatt Figyelö 200 "Soros-Söldner" auf, darunter das gesamte Personal mehrerer NGOs. Seit einigen Wochen versammeln sich Aktivisten des Fidelitas-Jugendverbandes von Orbáns Regierungspartei Fidesz immer wieder vor den Büros von Organisationen wie Amnesty International oder dem ungarischen Helsinki-Komitee und kleben deren Eingänge mit roten Aufklebern zu. Die warnende Aufschrift: "Einwanderung unterstützende Organisation".

Auch die Budapester Organisation "Menedék" (Obdach), die anerkannten Flüchtlingen bei der Integration in Ungarn hilft, wurde Mitte Juni mit solchen Aufklebern zugeklebt. Menedék-Leiter András Kováts sagt, die ungarische Regierung erzeuge in der Öffentlichkeit bewusst einen "permanenten Konflikt- und Kampfzustand". Die Auswirkungen spürt Menedék unmittelbar: So etwa bietet der Verein pädagogische Weiterbildungskurse für Kindergärten mit ausländischen Kindern an, es geht um Integrationshilfe. Nachdem darüber Anfang Juni ein Hetzartikel im regierungsnahen Portal "Pesti Srácok" erschienen war, hätten Kindergärtnerinnen nachgefragt, ob sie sich strafbar machten, wenn sie den Kurs besuchen würden, erzählt Kováts. Auch habe die Organisation in den letzten Wochen mehrmals Absagen erhalten, als sie Veranstaltungsräume anmieten wollte - die Vermieter hätten befürchtetet, Anklagen wegen der "Förderung illegaler Migration" zu erhalten. 

Proteste gegen die "Stop Soros"-Gesetze im Juni in BudapestBild: picture-alliance/AP Photo/B. Mohai

"Wir sollen langsam weichgekocht werden"

In welche absurden Situationen zivile Organisationen in Ungarn geraten, zeigt auch das Beispiel der Stiftung "Az emberiség erejével" (Mit der Kraft der Menschlichkeit) in der südungarischen Stadt Pécs. Sie betreibt Projekte für benachteiligte Menschen in der Region, unter anderem ein Bildungszentrum für Kinder aus sozial schwachen Familien. Weil der Verein finanziell von der Open Society Stiftung unterstützt wird, starteten ungarische Regierungsmedien vergangenes Jahr eine Kampagne, in der sie behaupteten, Soros wollte mit Hilfe der Pécser Stiftung in Südungarn Migranten ansiedeln und die Region islamisieren. Der Stadtrat von Pécs verabschiedete eine Resolution, in der es hieß: "Wir rufen alle Pécser Bürger, Unternehmen und Organisationen auf, dem Soros-Kampagnenzentrum keinerlei Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen." Daraufhin erhielt die Stiftung, die auf der Suche nach neuen Büroräumen war, eine Absage für einen bereits unterschriftsreifen Mietvertrag.

Zwar fand die Stiftung vor einigen Wochen schließlich doch noch neue Büroräume, doch Zoltán Mester, der Sprecher der Stiftung, erzählt vom bedenklichen Stimmungswandel der letzten Monate. Menschen hätten Angst, für die Stiftung zu spenden, an staatlichen Schulen herrsche ein informelles Verbot, die Stiftung zu Veranstaltungen einzuladen. "Ich habe den Eindruck", sagt Mester, "dass wir langsam weichgekocht werden sollen." 

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