Ungarn: Alte Synagoge bald in neuem Gewand
23. August 2022Weltweit werden alte Synagogen renoviert und neben den sakralen Funktionen mit neuen Inhalten gefüllt - so auch das 200 Jahre alte jüdische Gebetshaus im ungarischen Kövagoörs. Es ist ein Wunder, dass es überhaupt noch steht. In den 1950er und 60er Jahren wurden in Ungarn viele alte verfallene Synagogen abgerissen. Das Gebäude in Kövagoörs wurde aber zum Denkmal erklärt, und das bewahrte es wahrscheinlich vor dem Schicksal der meisten anderen Synagogen in den ländlichen Gebieten des Landes.
Neben der Synagoge stand früher ein Rabbinerhaus, das aber in den 1960er Jahren abgerissen wurde. Heute weiß niemand mehr, wo genau es sich befand. Aus der Deportation während des Zweiten Weltkriegs kehrten sehr wenige Juden zurück. 1944 deportierte das pro-faschistische Horthy-Regime auf Anweisung Nazideutschlands über 500.000 ungarische Juden, die meisten von ihnen wurden in den deutschen Konzentrationslagern ermordet.
Ohne Religionsgemeinschaft stand die Synagoge in Kövagoörs leer und hatte während der Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg ein turbulentes Schicksal. Eine Zeit lang diente es als Lagerhaus für Baumaterialien, dann wurde es dem Verfall preisgegeben. Draußen Dschungel, drinnen Verwüstung - so empfing im Jahr 2020 die Synagoge ihre neuen Besitzer, vier junge Männer mit jüdischen Wurzeln, die dieses Kleinod retten wollten.
"Wir verliebten uns in sie - wie in eine schöne Frau. Jeder von uns hat ein Ferienhaus in der Gegend, bei den Ausflügen stießen wir auf das verfallene Gebäude. Damals reichte der Dschungel bis zum Turm, die Vorbesitzer kümmerten sich gar nicht um die Synagoge. Wir waren uns schnell einig, dass der Kauf der einzige Weg zu ihrer Rettung war", erzählt Adam Jusztin, einer der Besitzer, im DW-Gespräch. Er und seine Freunde kauften das Bauwerk 2020 und begannen, Pläne zu schmieden.
Die Gegenwart und die langfristigen Pläne
"Wir möchten, dass die 200 Jahre alte Synagoge ihre religiöse Funktion zurückerhält, aber auch für Besucher zugänglich ist, die gerne hierherkommen", so Adam Jusztin weiter. Dazu musste im ersten Schritt die akute Einsturzgefahr beseitigt und das Gebäude stabilisiert werden. Jetzt können die Sanierungsarbeiten beginnen.
Die vier Besitzer haben viel getan, um in das Programm der "Europäischen Kulturhauptstadt Veszprem und Balaton" aufgenommen zu werden. Gelungen ist es ihnen aber nicht. "Wir wollten auf diese Weise zu Infrastrukturinvestitionen kommen, damit der Innenraum renoviert und genutzt werden kann", sagt Adam Jusztin. Es geht nämlich um viel Geld. Nach aktuellen Schätzungen wären drei Millionen Euro nötig, um das denkmalgeschützte Bauwerk wieder in alter Pracht strahlen zu lassen. Auch ohne den Zuschlag wollen sie aus eigener Kraft weitermachen.
Das erste Konzert Mitte August mit dem Budapester Festivalorchester im Hof des Gotteshauses war ein gelungener Versuch, die Synagoge mit Kultur und Musik neu zu beleben. "Kultur verbindet und vermittelt, so bleibt die Geschichte lebendig", so Adam Jusztin.
Die Ausstellung im Synagogenhof heißt "Unvernähte Fäden". Sie ist ein Hinweis darauf, wie wenig der Holocaust und die historische Mitverantwortung Ungarns im Land thematisiert werden. "Uns ist viel daran gelegen, die Erinnerung an die jüdischen Dorfbewohner zu bewahren. Ich möchte, dass wir diese Vergangenheit aufarbeiten, dass wir uns damit auseinandersetzen und das jüdische Leben, die Deportationen, die historische Verantwortung zum Thema des öffentlichen Diskurses und des öffentlichen Bewusstseins machen, damit diejenigen, die vor Ort leben, ihre Geschichte kennen. Das wäre nicht nur lokal, sondern im ganzen Land wichtig", sagt Adam Jusztin.
Die jüdische Gemeinde von Kövagoörs
Vor 200 Jahren umfasste die Religionsgemeinschaft der Synagoge neun benachbarte Siedlungen, darunter Tapolca. Zum Ende des 19. Jahrhunderts wurde in Tapolca die Eisenbahn gebaut, und auch die Industrialisierung ging stärker voran, wodurch Kövagoörs ein wenig an Bedeutung verlor. Die meisten Juden waren Getreide- und Weinhändler, einige hatten eigene Werkstätten im Dorf, in denen sie ihren Beruf ausübten. Die Synagoge wurde 1820 gebaut, das Dorf hatte sogar zwei jüdische Grundschulen. Vor dem Zweiten Weltkrieg lebten 35 jüdische Familien im Dorf, 15 Prozent der Gesamtbevölkerung.
Im Juni 1944 wurden alle 35 Familien deportiert. Zwölf Überlebende kamen zurück, aber die meisten blieben nicht lange in ihrem früheren Heimatdorf. In ihren Häusern wohnten schon andere, ihr Besitz wurde beschlagnahmt, obwohl sie noch am Leben und zurückgekommen waren. Sie waren nicht willkommen. Erzsebet Sternberger und Sandor Stern blieben trotzdem, gründeten eine Familie und bauten eine kleine Firma zur Sprudelherstellung auf. Das Geschäft florierte bis 1949, dann kam ein weiterer Schicksalsschlag: Sie verloren wieder alles, was sie sich erarbeitet hatten, ihr kleines Unternehmen wurde von den neuen kommunistischen Machthabern verstaatlicht. Der Vater, ein anerkannter Spezialist, wurde von der Sprudelgenossenschaft im benachbarten Kekkut angestellt. Ihm ist das bis heute berühmte Mineralwasser Theodora zu verdanken.
Die Ruine der Synagoge hat auch mehreren Schwalbenfamilien Unterschlupf gewährt. Sie haben an den alten Wänden ihre Nester gebaut. Aber wenn die Restaurierung beginnt, müssen die Nester entfernt werden. "Wir wollen niemanden vertreiben!", sagt Andras Viktor, ein anderer der Besitzer, augenzwinkernd. "Wir haben mit dem Vogelschutzverein abgesprochen, dass wir bis zum nächsten Frühling, bis zur Rückkehr der Schwalben, ihnen draußen in der Nähe künstliche Nester bauen."
Für den Freundeskreis der vier engagierten Männer mit jüdischen Wurzeln ist die Renovierung viel mehr als ein Projekt. Ihr Ziel ist es, dass die alte Synagoge in Kövagoörs wieder zu dem Schmuckstück wird, das es einmal war.