1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
KunstUngarn

Ungarn: Streit um "Black Lives Matter"-Skulptur

Felix Schlagwein
11. Januar 2021

Eine Skulptur für die "Black Lives Matter"-Bewegung in Budapest sorgt für Unmut bei der Orbán-Regierung. Regierungsnahe Medien fordern ihre Zerstörung.

Skulptur "PRISM" des ungarischen Künstler Péter Szalay
Die Skulptur des ungarischen Künstlers Péter SzalayBild: atothdavid

Sie ist nur einen Meter hoch und noch nirgends zu sehen. Trotzdem sorgt eine Skulptur des ungarischen Künstlers Péter Szalay seit Wochen für Aufregung in Ungarn. Regierungsnahe Medien schäumen vor Wut, selbst der Kanzleramtsminister der rechtsnationalistischen Orbán-Regierung schaltete sich ein. Der Grund: Szalays Kunstwerk, eine Abwandlung der New Yorker Freiheitsstatue aus dem 3D-Drucker. Sie kniet und reckt die rechte Faust gen Himmel, im linken Arm hält sie eine Tafel mit der Aufschrift "Black Lives Matter". Die ungarische Regierung und viele Medien halten diese Bewegung allerdings für gewalttätig und linksradikal.

Zusammen mit sechs anderen Kunstwerken gewann die Skulptur im Dezember eine Kunstausschreibung im neunten Budapester Bezirk. Hier wird sie im April für lediglich zwei Wochen zu sehen sein. Die Auswahl der Kunstwerke erfolgte durch eine Fachjury aus Künstlern und Kunstkritikern. Dennoch steht nun die Bezirksbürgermeisterin Krisztina Baranyi im Kreuzfeuer, weil die Kunstausschreibung von öffentlichen Geldern finanziert wurde.

Auch Kanzleramtsminister Gergely Gulyas wetterte gegen die Skulptur Bild: Getty Images/AFP/A. Kisbenedek

Haltlose Kritik seitens regierungsnaher Medien sei sie gewohnt, sagt die parteilose Bürgermeisterin, die von der Opposition gestützt wird. Doch nun werde sie auf allen Kanälen aufs Übelste beschimpft, ihr werde mit Vergewaltigung und Säureangriffen gedroht, erklärte sie im Gespräch mit der DW. "Dabei war alles, was wir wollten, jungen ungarischen Künstlern eine Chance zu geben, ihre Kunst im öffentlichen Raum zu zeigen", so Baranyi.

Harsche Kritik von Regierung und regierungsnahen Medien

Zuvor hatten regierungsnahe Medien die Debatte um das Kunstwerk angefeuert. Sie wähnen hinter "Black Lives Matter" eine despotische Bewegung, die alles Weiße, Christliche und Konservative zerstören und die Geschichte umschreiben will. Ihr eine Skulptur zu widmen sei so, als würde man eine Statue für Adolf Hitler errichten, befanden gar Kommentatoren im ungarischen Fernsehen. Das größte regierungsnahe Onlineportal Origo sah in der Skulptur den Beginn von "Anstiftung und Hass gegen Weiße und Christen" in Ungarn. Und der berüchtigte Publizist und Mitbegründer von Orbáns Fidesz-Partei, Zsolt Bayer, drohte sogar damit, sie zu zerstören.

Auch aus der Regierung selbst kam Kritik an der Skulptur. Kanzleramtsminister Gergely Gulyás nannte die "Black Lives Matter"-Bewegung "grundlegend rassistisch", weil sie weiße Menschen nicht als gleichwertig ansehe. "Es sind also nicht diejenigen rassistisch, die diese BLM-Statue ablehnen, sondern die, die sie errichten", erklärte Gulyás im Dezember. 

Anders als ihre Regierung schätzen viele Ungarn die Black Lives Matter-Bewegung Bild: Felix Schlagwein/DW

Péter Szalay hält die Kritik an seinem Werk für überzogen. "Die 'Black Lives Matter'-Bewegung hat einen riesigen Einfluss auf unsere globale Gesellschaft, von der ich ein Teil bin. Das aufzugreifen war meine künstlerische Intention", so der Künstler auf DW-Anfrage.

Skulptur in Regenbogenfarben

Auch auf die LGBTQ-Bewegung will Szalay mit seinem Werk aufmerksam machen. Seine Freiheitsstatue wird in Regenbogenfarben gedruckt. Damit greift der ungarische Künstler die aktuelle Beschneidung von LGBTQ-Rechten in seinem Land auf. Mitte Dezember schrieb die Orbán-Regierung in die ungarische Verfassung, dass "die Mutter [eine] Frau und der Vater [ein] Mann" zu sein habe. Das Adoptionsrecht für homosexuelle Paare wurde ebenso beschränkt. Einige Monate zuvor war bereits Transsexuellen verboten worden, ihr angeborenes Geschlecht offiziell ändern zu lassen.

Aus Solidarität hängten im Sommer zahlreiche oppositionelle Bezirksbürgermeister die Regenbogenfahne an die Fassade ihrer Rathäuser, auch Krisztina Baranyi. Doch der Protest ließ nicht lange auf sich warten: Rechtsradikale rissen die Fahnen nieder und zündeten sie an.

Die LGBT-Parade in Budapest 2019 war der ungarischen Regierung ein Dorn im Auge Bild: Attila Kisbenedek/AFP/Getty Images

Künstler Péter Szalay geht deshalb davon aus, dass auch seine Skulptur zerstört werden könnte. Er nimmt es dennoch gelassen: "Ich verurteile diejenigen, die meine Skulptur zerstören wollen, nicht. Wenn es passiert, werde ich es dokumentieren und als Teil meiner Arbeit betrachten", so Szalay.

Bezirksbürgermeisterin Baranyi sagte gegenüber der DW, dass keine zusätzlichen Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz der Skulptur bereitgestellt würden. Vielmehr wolle man das, was sie repräsentiert, schützen. "Viele Politiker in Ungarn wollen nicht über Themen wie Rassismus, Ausgrenzung von Homosexuellen und Roma sprechen, weil sie Angst haben, Wählerstimmen zu verlieren. Aber nach zehn Jahren patriarchalischer und provinzieller Politik der Orbán-Regierung müssen wir dafür einstehen - selbst wenn wir dadurch Wähler verlieren", so Baranyi.  

Kunstfreiheit auf dem Rückzug

Die farbenfrohe Skulptur namens "PRISM" erhitzt zahlreiche GemüterBild: atothdavid

Seit ihrem Amtsantritt vor zehn Jahren versucht die Orbán-Regierung, die Kontrolle über die Kunst- und Kulturlandschaft in Ungarn zu erlangen. Erst im vergangenen Jahr wurde ein Kulturrat eingerichtet, der die "strategische Lenkung der kulturellen Sektoren durch die Regierung" sicherstellen soll. Damit hat die ungarische Regierung entscheidenden Einfluss auf die wichtigsten Kultureinrichtungen im Land. Zuletzt versuchte sie, über eine Stiftung die renommierte Universität für Theater- und Filmkunst (SZFE) unter ihre Kontrolle zu bringen. Die Studenten besetzten daraufhin aus Protest monatelang das Universitätsgebäude - bis sie die Blockade im November aufgrund verschärfter Corona-Auflagen aufgeben mussten.

"In Ungarn gibt es zwar keine Zensur, aber zunehmend zensieren sich Künstler selbst", sagt Zsuszanna Deme, Kristina Baranyis Stellvertreterin im Rathaus des neunten Budapester Bezirks. Sie hat die Kunstausschreibung mitinitiiert. Bildende Künstler seien von Geldern der Ungarischen Akademie der Künste (MMA) abhängig, so Deme gegenüber der DW. Da die ebenfalls der Regierung nahe stehe, würden viele deshalb lieber keine kritische Kunst mehr machen - denn für die gebe es eben kein Geld. Péter Szalay sieht das ähnlich. Die Politisierung der Kunst habe große Gräben in die ungarische Künstlerszene geschlagen. Ein Dialog zwischen Künstlern, die staatlich finanziert würden und jenen, die das ablehnen, sei nicht mehr möglich, so Szalay. In seinem Schaffen selbst fühlt sich der Künstler dennoch frei. Er findet: "Die Kunstfreiheit in Ungarn ist nicht beeinträchtigt."