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Politik

Ungarn: Die letzten Tage des Klubrádió

Felix Schlagwein
11. Februar 2021

Die Orbán-Regierung hat Ungarns Medienlandschaft fest im Griff. Nun entziehen die Behörden einem der letzten unabhängigen Radiosender die Sendelizenz. Ein Besuch in der Redaktion.

Ungarn Budapest | Klubradio Lizenz verweigert
Bild: Felix Schlagwein/DW

Eigentlich ist alles wie immer bei Klubrádió. Redakteure hasten über die Flure und versinken dann wieder in ihren Bürostühlen, überall klingeln Telefone, im Studio läuft eine tägliche Talksendung. Hinter Mihály Hardy, dem Nachrichtenchef, liegen seine Butterbrote, eingepackt in Alufolie. "Ich bin stolz, hier zu arbeiten", sagt er. "Mit unserem Programm leisten wir der Öffentlichkeit einen Dienst. Das ist sehr selten geworden in Ungarn".

Fünf Mal sei er bereits aus politischen Gründen entlassen oder sein Arbeitgeber geschlossen worden, erzählt Hardy. In wenigen Tagen folgt das sechste Mal. Denn am Sonntag um Mitternacht wird die Budapester UKW-Frequenz 92,9 MHz verstummen.

Das Budapester Stadtgericht bestätigte am Dienstag (9.2.) die Entscheidung der Medienaufsichtsbehörde NMHH vom September vergangenen Jahres, die Sendelizenz von Klubrádió nicht zu verlängern. Damit ist der letzte bedeutende regierungskritische Radiosender in Ungarn abgeschaltet. Senden kann Klubrádió dann nur noch online.

Budapest - Werbeschild in der Nähe des Radiosenders KlubrádióBild: Felix Schlagwein/DW

"Diese allmächtige Regierung will keine kritische Stimme in Ungarn zulassen", sagt András Arató, Direktor und Inhaber von Klubrádió. Trotz des Urteils wirkt er gefasst. Er lacht und macht Witze. Zehn Jahre Kampf gegen die Fidesz-Regierung haben ihn abgehärtet. Kurz nach Viktor Orbáns Amtsantritt 2010 verlor Klubrádió einen Großteil seiner Werbeeinnahmen. Die Regierung habe staatliche Anzeigen abgezogen und Privatunternehmer unter Druck gesetzt, dasselbe zu tun, so Arató. Seitdem lebt der Sender von den Spenden seiner Hörer.

Auch das Sendegebiet wurde nach und nach eingeschränkt - bis das Radio nur noch in der Hauptstadt Budapest sein Programm ausstrahlen durfte. Hier hat Klubrádió täglich rund 200.000 Hörer. Doch bisher hören nur die wenigsten über das Internet zu. Ein großer Teil der Klubrádió-Hörerschaft wird also wohl wegbrechen. "Wir können nur hoffen, dass unsere Hörer uns ins Internet folgen und uns weiterhin finanziell unterstützen", sagt Klubrádió-Direktor Arató.

"Diese Regierung ist mächtiger als die Gerichte"

Der Grund für den Entzug der Sendelizenz sind Regelverletzungen, wie sie geringfügiger kaum sein könnten. Einige Male gab Klubrádió Dokumentationen verspätet ab, mit denen der Medienaufsichtsbehörde NMHH mitgeteilt werden muss, wie groß der Anteil an Gespräch und Nachrichten sowie an ungarischer und ausländischer Musik im Programm ist. Auch soll der Sender die Vorgaben zum Musikanteil einige Male nicht eingehalten haben. Und schließlich soll Klubrádió in einem Fall im Mai 2014 ohne Genehmigung gesendet haben.

Klubrádió-Direktor András Arató: "Wir können nur hoffen, dass unsere Hörer uns ins Internet folgen"Bild: Felix Schlagwein/DW

Vor dem Budapester Gericht machte Klubrádió-Direktor Arató darauf aufmerksam, dass auch andere Radio- und Fernsehsender ähnliche oder dieselben geringfügigen Fehler begangen hätten - aber deren Lizenzen seien verlängert worden. Auf seine Einwände sei die Richterin nicht eingegangen, sagt Arató, sondern habe in ihrer Urteilsverkündung fast wortgleich den Beschluss der Medienaufsichtsbehörde wiederholt. "Das zeigt, wie es in Ungarn um die Rechtsstaatlichkeit bestellt ist. Diese Regierung ist mächtiger als die Gerichte", sagt Arató.

Aufgeben will der Klubrádió-Direktor nicht - er geht gegen das Urteil in Berufung. Zunächst vor Ungarns Oberstem Gerichtshof, zur Not vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH). Außerdem ist Klubrádió weiterhin im Rennen um die Neuausschreibung seiner frei gewordenen Lizenz. Es besteht also noch eine Chance, dass die Station doch irgendwann wieder senden darf. Ob Klubrádió allerdings vor den Parlamentswahlen im nächsten Frühjahr wieder "on air" gehen wird, bleibt ungewiss.

Paralleles Narrativ

Der ungarische Regierungssprecher Zoltán Kovács wies unterdessen alle Vorwürfe der politischen Einmischung im Fall Klubrádió zurück. Die Fidesz-Regierung nehme keinerlei Einfluss auf die Gerichte oder die Medienaufsichtsbehörde, schrieb er in seinem Blog "About Hungary". Für den Verlust der Sendelizenz sei allein das Management von Klubrádió selbst verantwortlich, da es "schamlos Rundfunkbestimmungen missachtet" und "schwere Verstöße" gegen das Mediengesetz begangen habe.

Der Medienanwalt Gábor Polyák von der Medienwatchdog-NGO Mérték Média Monitor bezeichnet die Erklärung des Regierungssprechers als "großen Witz". "Die Medienaufsichtsbehörde ist keinesfalls unabhängig. Alle ihre Mitglieder wurden von Fidesz ernannt", sagt er bei einem Skype-Gespräch mit Journalisten. "Aber es ist typisch für die Kommunikationsstrategie der Fidesz-Regierung, immer ein paralleles Narrativ zu haben." Die Entscheidung gegen Klubrádió hält Polyák für verfassungswidrig und "eindeutig diskriminierend". Auch der Klubrádió-Nachrichtenchef Mihály Hardy sieht in der Erklärung der Regierung nur einen Vorwand: "Klubrádió war ein Loch im Propaganda-Ballon der Regierung, durch das die Wahrheit an die Öffentlichkeit gelangen konnte. Deshalb müssen wir nun sterben."

Weltweiter Aufschrei: Gegenwind für Orbán

Seit Jahren hat die Orbán-Regierung Ungarns Medienlandschaft fest im Griff. Erst im vergangenen Sommer hatte ein regierungsnaher Geschäftsmann das größte Online-Portal Index übernommen. Als der Chefredakteur kurz darauf entlassen wurde, trat die gesamte Redaktion zurück und gründete mit Telex ein neues unabhängiges Nachrichtenportal.Damals demonstrierten Tausende auf Budapests Straßen für die Pressefreiheit. Aktuell sind Proteste wegen verschärfter Corona-Maßnahmen verboten. Dennoch bekommt Viktor Orbán starken Gegenwind - auch international.

Budapest im Juli 2020: Tausende demonstrieren gegen politische Einflussnahme auf das Nachrichtenportal IndexBild: DW/F. Schlagwein

Neben Organisationen wie Reporter ohne Grenzen und dem International Press Institute (IPI) verurteilten Politiker weltweit das Aus für Klubrádió. "Eine weitere Stimme, die in Ungarn zum Schweigen gebracht wird. Ein weiterer trauriger Tag für die Medienfreiheit", schrieb die Menschenrechtskommissarin des Europarats, Dunja Mijatović, auf Twitter.

Das französische Außenministerium zeigte sich besorgt, das US-Außenministerium sprach von einem "erneuten Schlag gegen die Medienpluralität". Auch die Europäische Kommission hat sich bereits eingeschaltet. "Wir stehen in Kontakt mit den ungarischen Behörden, um sicherzustellen, dass Klubrádió weiterhin legal betrieben werden kann", sagte ein Kommissionssprecher am Mittwoch (10.2.). Die breite Unterstützung gibt Klubrádió-Direktor András Arató Hoffnung. "Viktor Orbán ist ein Spieler und bis jetzt hat er sehr viel Glück gehabt", sagt er, "aber alle Spieler verlieren irgendwann einmal".