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Politik

Ungarn: "Es gibt freie Presse, aber keine Pressefreiheit"

3. Mai 2021

In Ungarn sind die klassischen Medien Print, Radio und Fernsehen überwiegend in Regierungshand. Relevante Informationen bieten vor allem unabhängige News-Portale. Leser und Leserinnen danken es ihnen mit Spenden.

Ungarn Zeitungen - Pressefreiheit - Nepszabadsag
"Die Freiheit der Presse in Ungarn ist am Ende", verkündete die Zeitung "Népszabadság" (Volksfreiheit) schon 2016Bild: picture alliance/dpa/B. Mohai Hungary

Journalist - das war für Attila Babos immer ein Traumberuf. Der 44-jährige kommt aus dem südungarischen Pécs, zu deutsch Fünfkirchen, und hat einen Uniabschluss in Kulturmanagement. Doch bald nach seinem Studium, im Jahr 2004, fing er bei einer Lokalzeitung an: Beim "Dunántúli Napló" (Transdanubien-Journal), einem Blatt mit langer Tradition und damals großer Reichweite in Südungarn.

Leicht sei es nie gewesen, Stadt- und Kommunalverwaltungen kritisch auf die Finger zu schauen, erzählt Babos der DW - egal, von welchen Politikern sie geführt wurden. Dennoch machte er in seiner Berichterstattung nie Abstriche. Im Dezember 2016 wurden der Journalist und andere Kollegen über Nacht entlassen. Ein Geschäftsmann und Schulfreund des ungarischen Premiers Viktor Orbán hatte seine Zeitung gekauft, zusammen mit einem Dutzend weiterer Lokalblätter. Für unabhängigen Journalisten war kein Platz mehr.

Attila Babos, Mitgründer des ungarischen Internet-Portals "Szabad Pécs" (Freies Pécs)Bild: Privat

Kurz darauf gründete Babos mit zwei Kollegen ein unabhängiges Internet-Portal: "Szabad Pécs" - Freies Pécs. Die drei wollten weiter guten und kritischen Lokaljournalismus machen. Sie wussten nicht, dass daraus eine Odyssee, aber auch eine Erfolgsgeschichte werden würde - mit der sie in Ungarn zu einiger Bekanntheit gelangten.

Sponsor sagte aus Angst wieder ab

Es ist eine exemplarische Geschichte darüber, wie Medien unter Viktor Orbán drangsaliert werden und wie unabhängige journalistische Stimmen dennoch überleben können - sogar im medial nahezu vollständig regierungsdominierten Umfeld außerhalb der ungarischen Hauptstadt.

Anfangs finanzierte Babos das Portal aus eigener Tasche. Später kamen Leserspenden hinzu. Dennoch arbeiteten die drei Journalisten oft unentgeltlich. Ein Unternehmer, der das Portal sponsern wollte, sprang wieder ab, weil man ihm, wie Babos erzählt, aus regierungsnahen Kreisen mit geschäftlichen Nachteilen gedroht hatte.

Ungarns Premierminister Viktor Orbán beim EU-Gipfel in Brüssel am 16.10.2020Bild: Johanna Geron/AFP/Getty Images

Trotz allem gelang es den Machern von "Szabad Pécs" immer wieder, kleinere und größere Affären aufzudecken. Die bekannteste, die seit längerem auch vor Gericht verhandelt wird, war 2018 das "Volvo-Gate", ein millionenschwerer Korruptionsskandal um den überteuerten Kauf von Volvo-Nahverkehrsbussen für Pécs, in den die einstige Stadtverwaltung der Orbán-Partei Fidesz verstrickt war. Wegen seiner Verdienste wurde "Szabad Pécs" 2019 vom ungarischen Journalistenverband MÚOSZ ausgezeichnet.

Von Security-Angestellten weggeschubst

Hass und Hetze durch Orbán-Anhänger erfuhr das Portal in Pécs von Anfang an, zugleichen waren Babos und seine Kollegen von jeglichem Informationszugang in der Stadtverwaltung abgeschnitten. Ein Höhepunkt in der Behinderung ihrer Berichterstattung war ein Vorfall im Herbst 2018: Bei der Einweihung der Nationalen Basketball-Akademie in Pécs durch Viktor Orbán wurde Babos von Security-Angestellten unsanft vom Platz vor dem Gebäude weggeschubst - um unabhängige Berichterstattung über die aus Steuergeldern finanzierte Arena zu verhindern, war der Platz kurzerhand zum "Privatgelände" erklärt worden.

Eines von Orbáns Sportprojekten: Die Puskás-Arena in BudapestBild: Tibor Illyes/AP Photo/picture alliance

Seit Herbst 2019 regiert in Pécs ein unabhängiger Bürgermeister, den in der Kommunalwahl Oppositionsparteien unterstützt hatten. Auch die neue Stadtverwaltung muss sich Kritik von "Szabad Pécs" gefallen lassen. Doch die Arbeitsbedingungen seien nun "normaler", sagt Attila Babos, zudem könne das Portal dank einer Finanzhilfe durch die Open Society Foundations des US-Börsenmilliardärs George Soros wenigstens in diesem Jahr zwei Redakteursstellen in Teilzeit finanzieren. Dennoch kommt Babos insgesamt zu einem düsteren Urteil: "Wir haben noch freie Presseorgane in Ungarn, aber wir haben keine Pressefreiheit mehr."

Im Medienranking um 36 Plätze gefallen

Tatsächlich gibt es im klassischen Medienbereich - Print, Radio und TV - kaum noch unabhängige Organe. Die öffentlich-rechtlichen Medien wurden bereits kurz nach Orbáns Machtantritt 2010 auf Regierungslinie gebracht, die meisten privaten unabhängigen Medien in den Jahren seitdem von regierungsnahen Geschäftsleuten aufgekauft. Gelang das nicht, wurden sie von der Einnahmequelle durch staatliche Werbung abgeschnitten oder jahrelang durch die Orbán-treue Medienbehörde NMHH schikaniert, wie das Budapester Klubrádió, das erst alle Sendefrequenzen außerhalb Budapests verlor und - im Februar dieses Jahres auch noch die in der Hauptstadt.

Klubrádió verlor im Februar dieses Jahres seine Sendefrequenz in BudapestBild: Getty Images/AFP/F. Isza

Kein Wunder, dass Ungarn im Ranking der Pressefreiheit in den vergangenen Jahren stark abrutschte - in der aktuellen Rangliste von "Reporter ohne Grenzen" (RSF) belegt das Land nun Platz 92 und ist damit seit 2013 um 36 Plätze gefallen. In der EU liegt nur noch Bulgarien hinter Ungarn.

Digitale Erfolgsgeschichten

Dennoch gibt es auch erstaunliche Erfolgsgeschichten - jenseits der klassischen Medien und so wie im Fall von "Szabad Pécs", also digital. Die bekannteste trägt den Namen "Telex" und ist erst wenige Monate alt. Das Internetportal dieses Namens wird von der früheren Redaktion der einst größten ungarischen Nachrichtenseite, Index.hu, gemacht. Die Redaktion hatte im vergangenen Sommer kollektiv gekündigt, nachdem ein regierungsnaher Geschäftsmann das Portal übernommen hatte und der Chefredakteur entlassen worden war. "Telex" ist vollständig spenden- und leserfinanziert - und erreicht inzwischen täglich im Durchschnitt 500.000 Leser.

Weniger bekannt, aber ebenfalls erfolgreich ist ein unabhängiges, wie "Telex" ausschließlich spenden- und leserfinanziertes Portal, das ausgerechnet im Umfeld von Fidesz entstand: "Válasz Online" ("Antwort Online"), gegründet Ende 2018. Die Macher sind junge Konservative, die sich der nominellen Doktrin von Orbáns Partei verbunden fühlen, die faktische Herrschaft des Premiers und seiner Anhänger aber kritisch sehen.

"Sie sehen uns als Verräter"

Einer von ihnen ist András Bódis, 44, der Anfang 2021 in einer akribischen Dokumentation ein lang gepflegtes Narrativ Viktor Orbáns demontierte - nämlich, dass mehr als 50 Prozent der Medien in Ungarn regierungskritisch seien. Man werde inzwischen "ebenso als Feind betrachtet wie alle, die nicht uneingeschränkt Regierungsnarrative vertreten", sagt Bódis der DW. "Da wir für konservative Werte stehen, sind wir in den Augen der Regierung vielleicht sogar noch die größeren Feinde, weil sie uns als Verräter sehen."

Protest gegen Korruption in Ungarns Hauptstadt Budapest am 14.12.2018Bild: Getty Images/L. Balogh

"Válasz Online" veröffentlicht vor allem lange Analysen und Interviews. Das Portal ist das einzige bedeutsame unabhängige Medium mit explizit konservativer Ausrichtung in Ungarn. Finanziell hat es keine Schwierigkeiten - trotz ausschließlich freiwilliger Leserspenden bei gleichzeitig ausnahmslos offenen Medienangeboten. Im Gegenteil, sagt Bódis, in der Corona-Pandemie habe "Válasz Online" die Zahl seiner Unterstützer sogar verdoppeln können.

Großes Bedürfnis nach unabhängigen Informationen

Bódis erklärt das mit einem "Umbruch in der ungarischen Medienlandschaft, wie man ihn im Westen in diesem Maß nicht kennt". Es gebe kaum noch große Medienkonzerne, im Internet hingegen entstünden immer mehr wichtige unabhängige Portale, die großenteils oder ganz vom Geld ihrer Leserinnen und Leser lebten. Das läge auch an der absurden Situation, dass die regierungsnahen Medien in Ungarn zwar ein Informationsmonopol besäßen - sich aber aus Angst vor der Regierung kaum noch trauen würden, relevante Nachrichten zu veröffentlichen. Deshalb würden selbst viele Sympathisanten der Regierung ihre Informationen aus sogenannten oppositionellen Medien beziehen.

"Insgesamt zeigt sich, dass viele Menschen in Ungarn ein großes Bedürfnis nach unabhängigen Informationen haben", betont Bódis. "Deshalb können Portale wie unseres existieren - und deshalb muss ich sagen, dass ich mich als Journalist in Ungarn zur Zeit nicht schlecht fühle."