Ungarn hängt an russischem Öl und nimmt Europa mit ins Boot
30. August 2025
Mit Drohnen und Raketen hatte die Ukraine vor einer Woche die Druschba-Pipeline in Russland bombardiert, danach war Ungarns Versorgung mit russischem Öl unterbrochen. Unmittelbar danach wechselte Ungarns Regierungspartei Fidesz verbal in den Angriffsmodus: der Angriff auf die russische Energieinfrastruktur sei ein "militärischer Angriff auf die Europäische Union" und "eine Bedrohung der Energiesicherheit Europas".
Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban brachte sogar seinen "großartigen Freund" Donald Trump dazu, sich "sehr verärgert" über die Luftschläge zu äußern. Und obwohl das Öl seit Donnerstag wieder fließt, bleiben die Beziehungen zwischen Budapest und Kyjiw angespannt.
Einreiseverbot für ukrainischen Kommandeur
Ungarn heizte die Stimmung sogar weiter an und verhängte ein Einreiseverbot gegen Robert Browdi, den ukrainischen Kommandeur, der den Angriff koordiniert und beaufsichtigt hatte. Er ist ethnischer Ungar mit ukrainischer Staatsbürgerschaft. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach daraufhin von einem weiteren Versuch "die Schuld für den anhaltenden Krieg auf die Ukraine zu schieben".
In den sozialen Medien hatte der ungarische Außenminister Peter Szijjarto zuvor behauptet, die Ukraine wisse sehr gut, "dass solche Angriffe uns mehr schaden als Russland". An anderer Stelle schrieb er, "der jüngste Angriff auf unsere Energiesicherheit ist ungeheuerlich und inakzeptabel".
Nimmt die Ukraine tatsächlich Ungarn ins Visier?
Fachleute, mit denen die DW gesprochen hat, halten es allerdings für unwahrscheinlich, dass die Angriffe vor allem Ungarn schaden sollten. "Hier geht es darum, Russlands wirtschaftliche Interessen zu untergraben. Und das wichtigste wirtschaftliche Interesse liegt nun mal in fossilen Brennstoffen", sagt Amanda Paul, Analystin bei der Brüsseler Denkfabrik European Policy Centre (EPC) im Gespräch mit der DW.
Laut einem Bericht der Internationalen Energieagentur IEA verdiente Russland im Jahr 2024 durch den Export von Rohöl und Rohölprodukten 192 Milliarden US-Dollar (164 Milliarden Euro). Angesichts russischer Landgewinne und der ungewissen weiteren Unterstützung durch die USA versuche die Ukraine, so Paul, die russische Kriegswirtschaft zu schwächen, indem es deren Einnahmequellen unterbricht. "Die Ukraine führt keinen Krieg gegen Ungarn. Sie verteidigt sich gegen den russischen Aggressor und wenn ihre Verteidigungsmaßnahmen auch Auswirkungen auf Ungarn haben, dann ist es eben so."
Ist die Energiesicherheit Ungarns gefährdet?
Ungarns heftige Reaktion auf die Angriffe lässt sich durch seine nahezu vollständige Abhängigkeit von russischen Ölimporten erklären. Nur die Slowakei hängt noch stärker an Russlands Öl, das weitestgehend durch die Druschba-Pipeline fließt. Und genau diese Leitung war innerhalb einer Woche von drei Angriffen getroffen worden. Folglich forderten Ungarn und die Slowakei in einem gemeinsamen Brief die Europäische Kommission dazu auf, Maßnahmen gegen die Ukraine zu ergreifen, weil diese die Sicherheit der Energievorräte bedrohe.
Zsolt Hernadi, Chef des ungarischen Öl- und Gasriesen MOL, warnte vor einer möglichen Kettenreaktion. "Wenn Ölraffinerien [in der Slowakei und Ungarn] angehalten werden oder mit reduzierter Kapazität laufen müssen, hat das Auswirkungen auf ganz Zentraleuropa", betonte er gegenüber ungarischen Medien. Die EU bestätigte derweil, dass sie die Situation im Auge behalte. Man gehe jedoch nicht von einer Gefahr für die Energiesicherheit der Gemeinschaft aus.
EU-Beitritt: Ungarns Veto führt zu Unstimmigkeiten
Doch nicht nur Energieprobleme belasten die bilateralen Beziehungen zwischen Budapest und Kyjiw. Schließlich blockiert allein die ungarische Regierungskoalition gegenwärtig die Verhandlungen über einen EU-Beitritt der Ukraine. Noch dazu macht die Fidesz diese Haltung auch zu einem Eckpfeiler ihrer Politik.
Der ukrainische Präsident tut wenig dafür, die ungarischen Vorbehalte zu zerstreuen. "Wir haben uns stets für die Freundschaft zwischen der Ukraine und Ungarn eingesetzt. Jetzt hängt diese Freundschaft davon ab, welche Position Ungarn einnimmt", sagte Selenskyj in dieser Woche vor der Presse. Mit seiner Wortwahl spielte er auf den Namen der Pipeline ein: das russische Druschba bedeutet Freundschaft.
Ungarns riskante Abhängigkeit von Russland
Die ukrainischen Angriffe mögen sich nicht gegen Ungarn richten, aber sie machen deutlich, wie verwundbar Viktor Orban sein Land gemacht hat durch die anhaltende Abhängigkeit von russischem Öl. Die EU gewährte Ungarn und der Slowakei eine Ausnahme von den gegen Russland verhängten Sanktionen, doch beide Länder haben keinerlei Anstrengungen unternommen, sich nach anderen Lieferanten umzuschauen.
"Ungarns Abhängigkeit von russischem Rohöl ist von 61 Prozent vor dem Einmarsch Russlands in die Ukraine auf 86 Prozent im Jahr 2024 gestiegen und die Slowakei bleibt zu fast 100 Prozent davon abhängig", so ein Bericht des Center for the Study of Democracy vom Mai 2025. Auch wirtschaftlich lasse sich diese Abhängigkeit angesichts der gestiegenen Preise für russisches Öl immer schwieriger rechtfertigen, sagt Tamas Pletser, Aktienanalyst für Öl und Gas aus Budapest, zur DW. "Es besteht noch immer ein Kostenvorteil, aber der ist gesunken."
Pletser weist darauf hin, dass die EU russische fossile Brennstoffe bis 2027 endgültig auslaufen lassen will. Zumal die Ukraine ihre Kapazitäten für neue Raketentypen ausbaue, um russische Energieinfrastruktur angreifen zu können. Alles zusammen lasse Energieimporte aus Russland immer unsicherer werden. Es sei daher wichtig, zu diversifizieren.
Dazu sei die ungarische Ölindustrie durchaus in der Lage, sagt Pletser weiter. Doch gegenwärtig bestehe nicht der politische Wille, sich von russischem Öl zu lösen.
Warum legt die Ukraine Druschba nicht einfach still?
Sollte die Ukraine den Transport russischen Öls nach Europa um jeden Preis stoppen wollen, könnte sie - zumindest theoretisch - den durch ihr Territorium verlaufenden Abschnitt der Druschba-Pipeline einfach stilllegen. Rechtlich gehöre das über Belarus fließende Öl, sobald es ukrainischen Boden erreicht, jedoch dem ungarischen Unternehmen MOL, erklärt Pletser. "Die Leitung stillzulegen würde also eine ernstzunehmende Eskalation bedeuten. Und ich glaube nicht, dass die Ukrainer sich auf diese Weise mit Ungarn anlegen wollen." Die Ukraine verdiene jährlich etwa 200 Millionen US-Dollar (171 Millionen Euro) durch Transitgebühren, fügt er hinzu. Eine beträchtliche Summe für ein Land, das sich im Krieg befindet.
Durch Angriffe auf Pumpwerke und andere Energieinfrastrukturen auf russischem Boden könne die Ukraine einen solchen Vertragsbruch vermeiden, erläutert er weiter. Für die Ukraine sei dies möglicherweise die beste Chance, die Invasion zu stoppen, ist sich Pletser sicher. "Energieengpässe in Russland wären das Einzige, was Putin an den Verhandlungstisch zwingen könnte."
Adaptiert aus dem Englischen von Phoenix Hanzo.