1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Ungarn: "Die EVP hat Orbán rausgeworfen"

3. März 2021

Der ungarische Politologe Péter Krekó über den Austritt der EP-Abgeordneten von Ungarns Regierungspartei aus der EVP-Fraktion und darüber, wie sich dieser auf die EU und das deutsch-ungarische Verhältnis auswirkt.

Viktor Orban im TV zur Wahl des EVP Spitzenkandidaten
Wird es in Zukunft nicht mehr geben: Ungarns Premier Viktor Orbán spricht auf dem EVP-Kongress in Helsinki 2018Bild: DW/M. Luy

DW: Herr Krekó, wie bewerten Sie den Austritt der Fidesz-Abgeordneten im Europaparlament aus der Fraktion der Europäischen Volkspartei EVP?

Péter Krekó: Formal ist es ein Austritt, aber eigentlich geht es um eine Entscheidung, die gegen den Willen von Premier Viktor Orbán und seiner Partei Fidesz gelaufen ist. Orbán sitzt gern mit am Tisch der politisch Mächtigsten und zu denen gehört die EVP. Sie ist die einflussreichste europäische Parteienfamilie mit einem riesigen Netzwerk und einer langen Tradition. Auch wenn Orbán seine Entscheidung jetzt als Austritt verkauft - im Grunde ist es ein Ausschluss, ein Rauswurf von Fidesz gewesen.

Welche Konsequenzen hat diese Entscheidung für die europäische Politik und für Ungarn?

Es ist eine gute Entscheidung für die Europäische Volkspartei und für den europäischen politischen Mainstream, denn die Grenze zwischen denjenigen politischen Akteuren, die sich der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit verpflichtet fühlen, und denen, die das nicht tun, wird eindeutiger und klarer. Das kann in diesen Zeiten, in denen die Europäische Union immer wieder Krisen durchmacht, auch wegen Regierungen wie der Orbáns, nur gut für Europa sein. Für und in Ungarn wird der Austritt der EP-Abgeordneten des Fidesz aus der EVP-Fraktion nichts zum Besseren ändern. Orbáns Regierung wird weiterhin daran arbeiten, den Rechtsstaat zu schwächen. Orbáns Anti-Brüssel-Narrativ wird sich weiter verstärken und er wird die EU noch mehr als Sündenbock darstellen.

Fidesz-Anhänger mit Parteilogo bei einer Wahlkampfkundgebung im 2018 in der ungarischen Stadt SzekesfehervarBild: Getty Images/L. Balogh

Ist das der Auftakt zum Hungexit?

Nein, ich glaube nicht, dass es einen Hungexit geben wird. Orbán weiß, dass die EU Ungarn und die ungarische Wirtschaft stabilisiert. Da geht es um den für Ungarn wichtigen Freihandel oder um die milliardenschweren Finanzhilfen für Ungarn. Es ist ja auch bekannt, dass gerade Mitglieder aus Orbáns Familie und Geschäftsleute aus seinem Umfeld sehr stark von EU-Geldern profitieren. Ein EU-Austritt liegt deshalb nicht in Orbáns Interesse. Dennoch wird Orbán versuchen, die ungarische Öffentlichkeit noch weiter gegen die EU aufzuwiegeln.

Bisher hat das nicht unbedingt funktioniert. Zwar folgen die meisten Ungarn Orbán in seiner Flüchtlingspolitik - aber nicht im Europa-Bashing. In den vergangenen Monaten hat Orbán durch seine europafeindliche Rethorik in Wahlumfragen sogar verloren...

Ja, die ungarische Öffentlichkeit ist ungleich europafreundlicher als zum Beispiel die britische. Man kann sogar sagen, dass sie massiv und stabil europafreundlich ist. Es ist Orbán nach einem Jahrzehnt Herrschaft nicht gelungen, das grundsätzlich zu ändern. Ich glaube daher nicht, dass die ungarische Gesellschaft einen Hungexit mittragen würde.

"Auch Sie haben ein Recht zu wissen, was Brüssel vorhat", steht auf diesem Anti-EU-Plakat der Fidesz-Regierung von 2019Bild: Martin Fejer/est&ost/Joker/picture-alliance

Der seit Jahren andauernde Streit zwischen Fidesz und der Mehrheit der EVP-Parteien symbolisierte im Kleinen die Unfähigkeit der EU, Orbáns antidemokratischer Umgestaltung in Ungarn wirksam etwas entgegenzusetzen. Ist nun ein Wendepunkt erreicht?

Die Entscheidung der EVP gegen Fidesz ist ein außergewöhnlicher Wendepunkt und ein großer Einschnitt. Bisher war Fidesz der böse Bube, der mit den guten Jungs am Tisch sitzt, jetzt ist Fidesz bloß noch der böse Bube. Am wichtigsten erscheint mir dabei, dass die deutschen Christdemokraten und Christsozialen, die ja lange schützend vor Fidesz standen, einen schrittweisen Prozess der Ernüchterung durchgemacht haben.

Wird die EVP-Entscheidung auch dazu führen, dass die EU ab jetzt konsequenter gegen Demokratieabbau vorgeht und den neuen Rechtsstaatsmechanismus strenger anwendet?

Das ist schwer zu sagen. In den Verfahren nach dem neuen Rechtsstaatsmechanismus haben ja die einzelnen Mitgliedsstaaten noch ein erhebliches Mitsprache- und Entscheidungsrecht. Da muss man die Praxis abwarten.

Fidesz und die CDU/CSU hatten ja immer ein besonderes Verhältnis, auch spielt die deutsche Wirtschaft in Ungarn eine herausragende Rolle. Wie wird sich der Bruch zwischen Fidesz und der EVP auf das deutsch-ungarische Verhältnis auswirken?

Salopp gesagt, haben Orbán und Fidesz gedacht, dass, wenn sie nur genügend Panzer und andere Waffen in Deutschland kaufen und ausgezeichnete Beziehungen zu den deutschen Autokonzernen und anderen Großunternehmen pflegen, auch die politischen Beziehungen gut sind. Die jetzige Entscheidung der EVP zeigt die Grenzen dieser Politik. Es ist eben nicht so, dass die Wirtschaftsbeziehungen immer alles in der Politik mitbestimmen. Und es ist in jedem Fall auch ein Einschnitt für die Identität von Fidesz, wenn die Partei künftig nicht mehr der formale Verbündete der herrschenden politischen Kraft in Deutschland und Europa sein wird.

 

Bild: Peter Kreko

Péter Krekó, Jahrgang 1980, ist politischer Analyst und seit 2011 Direktor des Budapester Forschungs- und Politikberatungsinstitutes "Political Capital". Er studierte Sozialpsychologie und promovierte 2014 über die Sozialpsychologie von Verschwörungstheorien. Seine Forschungsschwerpunkte sind Desinformationspolitik, der russische politische Einfluss in Westeuropa sowie der europäische Populismus und Radikalismus. Derzeit arbeitet er als Gastforscher am Wiener Institut für die Wissenschaften vom Menschen (IWM).