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Ungarn: Internetsteuer abgewendet

Silke Wünsch / Stefan Dege31. Oktober 2014

Eine Steuer auf Internet-Nutzung? Das trieb empörte Gegner zu Tausenden auf Ungarns Straßen. Jetzt zeigen die Proteste Wirkung: Die Regierung Orbán zieht ihre Steuer-Pläne zurück.

Proteste gegen Internet-Steuer in Ungarn 28.10.2014
Bild: picture-alliance/dpa/J. Marjai

Die Steuer könne nicht in der derzeitigen Form eingeführt werden, weil die Diskussion darüber entgleist sei, sagte der ungarische Regierungschef in einem Radiointerview. "Wenn das Volk etwas nicht nur nicht mag, sondern es auch für unvernünftig hält, sollte es nicht gemacht werden", so Orbán wörtlich. Die Internetsteuer liegt also vorerst auf Eis - für das kommende Jahr kündigte Orbán allerdings bereits einen neuen Anlauf an.

Von 2015 an sollten die Ungarn für ihren Datenverkehr zahlen – umgerechnet rund 50 Cent je Gigabyte. Die Pläne waren Teil eines Paketes von Steuergesetzen, über das das Parlament am 17. November abstimmen sollte. Doch lösten sie Massenproteste aus. "In dieser Form ist diese Steuer nicht einführbar", erklärte Ministerpräsident Viktor Orbán nunmehr an diesem Freitag (31.10.) im staatlichen Rundfunk. Begründung: Die Diskussion sei "entgleist".

Eine Besteuerung von Datenvolumen gibt es bisher in keinem Land der Welt. Auch bei der Europäischen Union war das ungarische Gesetzesvorhaben auf Skepsis gestossen. Von einer "schrecklichen Idee" sprach die für digitale Fragen zuständige EU-Kommissarin Neelie Kroes, und von einem "weiteren beunruhigenden Schritt der ungarischen Regierung" in Sachen Medienfreiheit.

Bereits vor vier Jahren versuchte die rechtskonservative Regierung Orbán, die Presse mit einem Mediengesetz an die Leine zu legen. Darin hieß es unter anderem, dass Journalisten dazu verpflichtet seien, "ausgewogen zu berichten und die nationale Identität zu stärken". Um das zu kontrollieren, wurde eine Medienbehörde eingerichtet. Bei Verstößen wären existenzbedrohende Geldstrafen fällig geworden. Das betraf Zeitschriften, Sender, Blogger und Internetportale. Kritiker sprachen von einer "Gleichschaltung" und von einer von oben verordneten "Selbstzensur der Medien". Die EU protestierte vehement gegen das Vorgehen und drohte mit Konsequenzen. So lenkte Regierungschef Orbán lenkte schließlich ein und entschärfte das Gesetz.


"Verleumderische Ton- und Bildaufnahmen"

Das Thema verschwand eine Zeitlang aus den Nachrichten. Dann, im November 2013, beschloss das Parlament hohe Haftstrafen für die Verbreitung mutmaßlich verleumderischer Ton- und Bildaufnahmen. Beim Begriff "verleumderisch" gibt es für die Medienaufsicht einen breiten Interpretationsspielraum. Damit sind Videos mit regierungskritischen Inhalten kaum mehr möglich. Im Juni 2014 dann das: Der Chefredakteur eines unabhängigen Nachrichtenportals wurde nach einer Reihe regierungskritischer Artikel entlassen. Außerdem: Drastische Steuererhöhungen auf Werbeeinnahmen. Kleinen und unabhängigen Publikationen würde dadurch der finanzielle Boden unter den Füßen weggezogen, fürchteten Kritiker. Aus Protest gab es einen Tag lang verschiedene Zeitungen mit leeren Titelseiten, Sendepausen im Fernsehen und Internetportale mit Protestbannern.

Im Juni 2014 blieben in Ungarn viele Bildschirme schwarz.Bild: Getty Images/Afp/Attila Kisebenedek

Die vorgesehene Internetsteuer sollte angeblich die ungarische Staatskasse entlasten. Das Land ist hoch verschuldet. So wird alles Mögliche besteuert, darunter auch der SMS-Versand. Zusätzlich zur höchsten Mehrwertsteuer in Europa (27 Prozent) gibt es noch eine Telekommunikationssteuer und eine Bank-Transaktionssteuer.


Die Steuer ist nicht das wirkliche Problem

Derzeit ist das Internet die einzige Informationsquelle, aus der die Ungarn noch ungefilterte Informationen schöpfen können. Und so war der Hauptgrund für die Empörung über die Steuerpläne nicht die Steuer, sondern der darin vermutete Angriff auf das Interntet.

Der ungarische Regierungschef Viktor OrbánBild: Reuters

Überall macht sich die Erkenntnis breit, dass ein schnelles und freies Internet zum Grundrecht der Menschen gehört. Breitbandausbau und günstige Zugänge liegen weltweit im Trend. Orbáns Pläne wären ein Schritt in die entgegengesetzte Richtung gewesen. Wer das Internet einschränkt, beschneidet die Meinungs- und Informationsfreiheit, ob es so drastisch durch Zensur geschieht wie in China oder im Iran, oder eher im Kleinen – durch das Erschweren der Zugänge, indem man sie verteuert.

Je teurer der freie Informationsaustausch wird, desto kleiner wird er auch. Der Protest ist auch im Netz verfolgbar. Die Facebook-Gruppe "Hundertttausende gegen die Internetsteuer" hat mehr als 230.000 Follower, und auf Twitter zeigen User unter #Hungary4democracy ihren Unmut:

Die Organisation Reporter ohne Grenzen stellt in Ungarn schon länger einen Abwärtstrend in Sachen Pressefreiheit fest. In ihrer Rangliste vom Februar 2014 ist das EU-Land um sieben Punkte auf Platz 64 von 180 gerutscht. Was zunächst nicht allzu dramatisch klingt. Setzt man Ungarn allerdings in den Kontext der anderen 27 EU-Mitgliedsstaaten, dann sieht das Bild ganz anders aus. Und das möchte die EU überhaupt nicht gerne in einem ihrer Mitgliedsländer sehen.

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