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Ungarn streitet mit IWF

4. August 2010

Der Ministerpräsident Ungarns, Viktor Orban, will nicht mehr sparen, sondern Konjunkturprogramme auflegen. Die EU und der IWF lehnen diesen Kurswechsel ab. Ungarns finanzielle Lage könnte sich 2011 drastisch zuspitzen.

Viktor Orban (Foto: AP)
Viktor Orban schert ausBild: AP

Der Ende April gewählte, neue konservative Regierungschef Ungarns, Viktor Orban, fühlt sich stark, denn schließlich verfügt er im Parlament über eine satte Zwei-Drittel-Mehrheit. Orban fühlt sich sogar so stark, dass er jetzt einen Streit mit dem Internationalen Währungsfonds und der Europäischen Union vom Zaun bricht. Der Premier kündigte an, Ungarn werde in diesem Jahr das Defizit-Ziel von 3,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) erreichen. Weitere Sparauflagen werde er aber nicht erfüllen, obwohl diese mit dem IWF und der EU als Gegenleistung für einen Notkredit von 20 Milliarden Euro vereinbart waren. Diesen Kredit hatte Ungarns damalige sozialistische Regierung vor zwei Jahren ausgehandelt, als das Land am Rande der Zahlungsunfähigkeit stand.

Ungarn soll es alleine versuchen

Die konservative Fidesz-Partei gewann die Wahlen im AprilBild: AP

Viktor Orban will im kommenden Jahr ohne internationale Hilfen auskommen und verzichtet auf die letzten Tranchen des IWF-Kredits. Die Schulden, die nächstes Jahr bedient werden müssen, will die konservative Regierung auf dem freien Kapitalmarkt refinanzieren. Ob das gelingen wird, ist fraglich. Zwei Ratingagenturen drohen vorsorglich mit einer Abwertung ungarischer Staatsanleihen. Allerdings konnte Ungarn noch vor einer Woche langfristige Anleihen erfolgreich am Markt absetzen.

Viktor Orban will seinen Landsleuten keine weiteren Sparmaßnahmen zumuten - stattdessen kündigte er in dieser Woche ein umfassendes Konjunkturprogramm an, um das Wachstum anzukurbeln. So will er die staatlichen Steuereinnahmen verbessern. Das Parlament beschloss gegen den Widerstand des Internationalen Währungsfonds eine spezielle Bankensteuer, die ebenfalls die Staatskasse füllen soll. IWF und Europäische Union kritisierten, die Steuer könne den angeschlagenen Bankensektor weiter destabilisieren und zu einer Kreditklemme führen.

Regierung nimmt Zentralbank ins Visier

Die neue ungarische Regierung versucht nun auch, den Gouverneur der ungarischen Zentralbank, Andras Simor, abzusetzen, der den neuen finanzpolitischen Kurs nicht mittragen will. Orban kürzte Simors Gehalt um 75 Prozent, um ihn zum Rücktritt zu zwingen. Simor kündigte an, er wolle bis zum Ende seiner Amtszeit 2013 Chef der Zentralbank bleiben. Unterstützt wird er von der Europäischen Zentralbank in Frankfurt am Main, die in Orbans Vorgehen einen massiven Angriff auf die Unabhängigkeit der ungarischen Zentralbanker sieht. Der Konflikt mit der Zentralbank könnte sich auch negativ auf die Verhandlungen Ungarns mit der Europäischen Union auswirken.

Orban will mehr Zeit von der EU

Olli Rehn, EU-Währungskommissar: Droht in Ungarn die nächste Krise?Bild: AP

Die EU verlangt von Viktor Orban, dass er im nächsten Jahr ein Defizit von drei Prozent des BIP erreicht und damit nach sechs Jahren das Schuldenkriterium der EU-Verträge wieder erfüllt würde. Orban verlangt nun mehr Zeit von der EU und will die Rückführung des Defizits strecken.

EU-Währungskommissar Olli Rehn hatte vor der Sommerpause erklärt, die ungarischen Sparmaßnahmen im Staatshaushalt seien so nicht ausreichend. Der IWF-Experte Christoph Rosenberg sagte der Nachrichtenagentur Reuters, 2011 werde in Ungarn eine massive wirtschaftliche Anpassung erforderlich. Der Chef der Osteuropabank, Thomas Mirow, warnte in einem Interview im "Handelsblatt", ein instabiles Ungarn könnte auch andere osteuropäische Länder gefährden.

Wahlkampf?

Bei der Europäischen Union in Brüssel hofft man, dass sich die Turbulenzen mit Ungarn im Oktober beilegen lassen. Denn am 3. Oktober werden in Ungarn regionale Parlamente gewählt. Die markigen Pläne, die Viktor Orban im Moment vorstellt, könnten Teil des Wahlkampfes sein. Nach den Wahlen am 15. Oktober muss Premier Orban seinen Haushaltsplan für 2011 der EU-Kommission vorstellen. Vielleicht, so hoffen EU-Diplomaten, ist die Regierung in Budapest dann wieder kompromissbereit.

Viele Ungarn haben Kredite in Schweizer Franken oder Euro aufgenommen. Diese Schulden müssen sie nun mit einem schwächer werdenden ungarischen Forint abbezahlen. Sollte der Forint im kommenden Jahr weiter an Wert verlieren oder sollten die Finanzmärkte gar auf die Idee kommen, gegen den Forint zu wetten, würde es für Kreditnehmer in Ungarn sehr viel schwerer, Zinsen und Tilgung zum Beispiel für Häuser und Wohnungen zu zahlen.

Bei Orbans Besuch in Berlin am 21. Juli 2010 lobte Bundeskanzlerin Angela Merkel noch die "sehr energischen Schritte", die der Regierungschef unternommen habe, um die finanzpolitischen Schwierigkeiten zu meistern. Der Streit mit dem IWF und der EU werde die wirtschaftlichen Beziehungen deutscher und ungarischer Unternehmen nicht beeinträchtigen, meinte die Kanzlerin. Ungarn müsse "langfristig auf stabile finanzpolitische Füße" kommen.

Autor: Bernd Riegert (dpa, rtr, afp)
Redaktion: Nicole Scherschun

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