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PolitikEuropa

Ungarn lockert Einreiseregeln für Russen

31. Juli 2024

Trotz russischer Aggression gegen die Ukraine öffnet EU-Ratspräsident Ungarn seine Tore für Arbeiter aus Russland und Belarus. Provokation oder wirtschaftlich nötig? Die EU prüft.

Russischer Pass
Russischer Pass: Ungarn weitet Gastarbeiter-Regelung ausBild: VGVMEDIA/Pond5/IMAGO

Ungarn vergibt seit dem 9. Juli an Bewerberinnen und Bewerber aus Russland und Belarus "Nationale Karten". Das sind keine Schengen-Visa, mit denen man sich ungehindert in weiten Teilen der Europäischen Union aufhalten kann. Es handelt sich um Arbeits- und Aufenthaltserlaubnisse, die für Ungarn gelten. "Nationalen Erlaubnisse" dieser Art kann jedes Mitgliedsland der EU erteilen.

Solche "Nationalen Karten" werden von Ungarn auch an Bürgerinnen und Bürger aus der Ukraine, Moldau, Serbien, Bosnien-Herzegowina, Montenegro und Nordmazedonien vergeben. Den Antrag können Menschen aus diesen acht Ländern stellen, die in Ungarn arbeiten oder eine Firma errichten wollen.

Normale Sicherheitsüberprüfung weiter erforderlich

Die ungarischen Behörden wollen so Arbeitskräfte auch aus Russland gewinnen. Diese sollen vor allem bei der Errichtung eines neuen Atomkraftwerks des russischen Konzerns Rosatom in Ungarn eingesetzt werden. Die Bearbeitung der Anträge für "Nationale Karten" soll beschleunigt werden und keine spezielle Sicherheitsüberprüfung erfordern.

In Bau befindliches ungarisches Atomkraftwerk Paks II (Archivbild): Russische Spezialisten benötigt?Bild: Attila Kisbenedek/AFP via Getty Images

Nach dem Visa-Code, der für alle Mitgliedsstaaten der Schengen-Zone gilt, ist zumindest ein Abgleich mit dem Schengen-Informationssystem (SIS) nötig. Dort sind gesuchte Straftäter oder Gefährder aufgelistet. Außerdem ist eine Erteilung von Visa oder "Nationalen Karten" an einige Hundert Personen aus Russland oder Belarus nicht möglich, die wegen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine mit EU-Sanktionen belegt sind..

Bedenken gegen neue Praxis

Der Vorsitzende der Europäischen Volkspartei, der Deutsche Manfred Weber, hat in einem Brief an den Ministerrat der EU Sicherheitsbedenken gegen diese neue ungarische Praxis geltend gemacht. Russland und Belarus würden in der Europäischen Union als Bedrohung aufgefasst. Möglichen russischen Spionen und Saboteuren würden durch die neue ungarische Praxis Schlupflöcher geboten. Weber forderte, die Staats- und Regierungschefs der EU auf, sich mit der "Nationalen Karte" Ungarns bei ihrem nächsten Gipfel im Oktober zu beschäftigen.

Der grüne Europa-Abgeordnete Sergey Lagodinsky kritisierte in einem Interview des Redaktionsnetzwerks Deutschland die neue ungarische Praxis. Er warnte aber davor, alle Menschen aus Russland und Belarus unter Generalverdacht zu stellen. Der ungarische Premier Viktor Orban erweise sich einmal mehr als Diener des Kremls, so Lagodinsky.

Mit der ungarischen Karte in die Schengen-Zone

Inhaber der "Nationalen Karte" ausgestellt von Ungarn, können damit 90 Tage in alle 29 Staaten der Schengen-Zone reisen, ohne ein normalerweise obligatorisches Schengen-Visum beantragen zu müssen. Die Einreise kann von anderen Schengen-Staaten allerdings verweigert werden, wenn zum Bespiel ein Risiko für die nationale Sicherheit angenommen werden muss.

Kommissionssprecherin Hipper (Archivbild): "Daran ist auch Ungarn gebunden"Bild: EU/Jennifer Jacquemart

Dies ist im Artikel 6 des Grenzgesetzes der EU, dem sogenannten Schengen-Grenz-Code geregelt. Darauf hat die Sprecherin der EU-Kommission, Anitta Hipper, in Brüssel hingewiesen. "Daran ist natürlich auch Ungarn gebunden", so Hipper. Man sei mit ungarischen Behörden im Kontakt, um den Umfang und die Auswirkungen der neuen ungarischen Praxis abzuschätzen.

90 Prozent aller Antragsteller bekommen ein Schengen-Visum

Generell gilt, dass es keine speziellen Visabeschränkungen oder gar Sanktionen gegen Bürgerinnen und Bürger aus Russland oder Belarus in der EU gibt. Sie können trotz des russischen Angriffskrieges Anträge auf ein Schengen-Visum stellen, das zur Einreise für 90 Tage in alle Schengen-Staaten berechtigt. Zur Schengen-Zone ohne Personenkontrollen an den Grenzen gehören 25 der 27 EU-Staaten sowie die Schweiz, Liechtenstein, Norwegen und Island.

Im Jahr 2023 haben nach Auskunft der EU-Kommission 520.000 Russinnen und Russen Schengen-Visa beantragt, 10 Prozent der Visa-Anträge wurden abgelehnt. Im Jahr 2022, also im Jahr des Kriegsbeginns, waren es noch 690.000 Visa-Anträge.

EU-Kommissions-Gebäude in Brüssel: Russland unter den Top 5 bei Schengen-VisavergabeBild: Lukasz Kobus/European Commission

Zum Vergleich: Weltweit wurden 2023 acht Millionen Schengen-Visa erteilt. Russland gehört zu den Top 5 - Ländern bei der Visa-Erteilung. Mögliche Spione könnten also über ein "normales" Visa-Verfahren einreisen und brauchen nicht unbedingt den Weg über Ungarns Arbeitserlaubnis per "Nationaler Karte" nehmen.

Ungarns Außenminister spricht von Propaganda

Der ungarische Außenminister Peter Szijjarto, der zurzeit auch EU-Ratspräsident ist, hat Kritik an der ungarischen Regelung für russische und belarussische "Gastarbeiter" zurückgewiesen. Die vorgebrachten Sicherheitsbedenken seien Teil einer "baltischen Propaganda-Kampagne", sagte Szijjarto der Online-Plattform "Budapest Times". Der Minister meinte, Russen und Belarussen würden ihre Aufenthaltserlaubnisse für Ungarn in einem ordentlichen rechtlichen Verfahren erhalten und bräuchten auch weiterhin Visa für den Schengenraum.

Das ist allerdings nicht ganz korrekt. Für die touristische Einreise in andere Schengen-Staaten reicht für 90 Tage nach dem Schengen-Grenz-Code die ungarische "Nationale Karte". Arbeiten dürfen Russen und Belarussen mit diesem Dokument in anderen EU-Staaten allerdings nicht.

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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